Valenciennes. Lena Oberdorf wohnt in Gevelsberg, geht dort aufs Gymnasium, spielt bei der SGS Essen. Mit 17 ist sie die jüngste der DFB-Frauen bei der WM 2019.

Sie lebt längst auf der Überholspur, obwohl sie noch nicht einmal den Führerschein besitzt. Lena Oberdorf ist die jüngste Fußballspielerin, die je das deutsche Trikot bei einer WM übergestreift hat. Heute könnte die 17-Jährige gegen Spanien (18 Uhr/ZDF/DAZN) ihr Startelf-Debüt geben. Ein Gespräch über die WM in Frankreich, die Schule und Fußballspielen mit Jungs.

Frau Oberdorf, Sie sind 17 Jahre alt und die jüngste Spielerin im WM-Team. Mehr noch, Sie haben beim Auftaktsieg gegen China mit Coolness und Unbekümmertheit überzeugt und sind damit zur jüngsten WM-Spielerin der DFB-Geschichte geworden. Warum wirken Sie überhaupt nicht nervös auf dem Platz und daneben?

Lena Oberdorf: Jetzt gerade in diesem Gespräch überspiele ich das gut (lacht). Auf dem Platz legt sich die Nervosität bei mir aber immer zügig. Es ist ja das gleiche Spiel, das wir alle seit Jahren spielen.

Fühlt sich diese WM noch immer wie ein Traum an?

Ja, irgendwie realisiere ich es immer noch nicht, jetzt hier in Frankreich mit der Nationalmannschaft zu sein. Aber ich freue mich riesig, all diese Erfahrungen sammeln zu dürfen. Hoffentlich werde ich dann irgendwann zu einer etablierten Spielerin heranwachsen.

Erinnern Sie sich noch an den Moment, als Ihre WM-Teilnahme offiziell wurde?

Als ich den Anruf von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bekommen habe, war ich in der Schule und konnte nicht rangehen. Ich saß im Matheunterricht, hatte aber noch weitere zwei Stunden, bevor ich endlich zurückrufen konnte. Sie sagte mir dann, dass ich dabei bin und fragte einige Sekunden später, ob ich noch dran sei. War ich noch, aber ich war einfach komplett sprachlos. Die Bundestrainerin sagte, sie freue sich. Ich sagte: Und ich mich erst! Ich durfte es dann aber keinem in der Schule sagen, das war noch vor der offiziellen Verkündung.

Sie sind ja inzwischen gewohnt, immer die Jüngste zu sein. Das waren sie auch schon im U20- und im U17-Nationalteam schon.

Stimmt, ich kenne es eigentlich nicht mehr anders.

Gibt es jemanden im Team, der Sie ein bisschen an die Hand nimmt?

Das macht Sara Doorsoun, mit der ich auch das Zimmer teile. Sie passt immer ein bisschen auf mich auf, weil ich ihrer Meinung nach manchmal ein bisschen durcheinander bin (lacht). Wir sind ja insgesamt fünf Spielerinnen von der SGS Essen, das ist natürlich schön. Sara war ja auch länger in Essen, bevor sie zum VfL Wolfsburg gegangen ist. Als sie bei meinem ersten Probetraining noch dabei war, habe ich von ihr meinen Spitznamen bekommen. Sie sagte damals: ,Drei Lenas in der Mannschaft sind zwei zu viel. Wie heißt Du? Oberdorf? Dann ab jetzt Obi.‘ Das ist seitdem in Essen so und auch bei der Nationalmannschaft mittlerweile nicht anders.

Zum Fußballspielen brachten Sie Ihr Vater und Ihr älterer Bruder?

Ja, wenn sie im Garten gespielt haben, wollte ich immer mitkicken. Meine ältere Schwester spielt auch Fußball, die ganze Familie ist sportlich, es ist also kein Wunder, dass ich irgendwann im Verein gelandet bei den Bambini des TuS Ennepetal. Bis zur B-Jugend habe ich noch mit Jungs zusammengespielt.

Wie fanden die Jungs das?

Akzeptanzprobleme gab es eigentlich nie. Weil ich schon von Anfang an dabei war, kannten die Jungs das ja gar nicht anders. Auch als ich später zur TSG Sprockhövel gewechselt bin, war das auch kein Problem, denn mit den meisten Jungs ging ich zur Schule, die wussten, dass ich was kann. Manchmal waren sie nur sauer, weil ich zuerst in die Kabine zum Duschen durfte und sie warten mussten. Meist hatte ich aber die Schiedsrichterkabine für mich.

Hat es Sie fußballerisch weitergebracht, mit den Jungs zu spielen?

Auf jeden Fall. Körperlich bringt das einiges, ich würde auch jedem Mädchen empfehlen, so lange bei den Jungs zu spielen, bis es nicht mehr geht. Da lernt man, sich durchzusetzen.

Sie leben in Gevelsberg und spielen beim Bundesligisten SGS Essen. Pendeln Sie regelmäßig?

Ja, ich mache zwar meinen Führerschein, aber da habe ich gerade erst den Theorieteil bestanden und die ersten Fahrstunden hinter mir. Bisher fahren meine Eltern und mein Opa mich zum Training. 45 Minuten pro Strecke, wenn kein Stau herrscht.

Kapitänin Alexandra Popp kommt auch aus Gevelsberg. Ist sie dort eine Art Legende?

Auf jeden Fall. Wer in Gevelsberg Fußball spielt, kennt den Namen Alexandra Popp.

Ist sie ein Vorbild?

Ich habe nicht ein Vorbild, sondern setze mir das eher aus Eigenschaften verschiedener Personen zusammen. Ich hätte beispielsweise gerne die Technik von Dzsenifer Marozsan und das Kopfballspiel von Alexandra Popp. Das würde sich gut mit meinen Stärken ergänzen. Ich bin flexibel einsetzbar, habe eine gute Übersicht und hinzu kommt meine Physis, ich bin ja schon etwas robuster gebaut.

Und Sie mussten schon während des Trainingslagers für die Schule lernen, vor ein paar Tagen schrieben Sie im Teamhotel in Frankreich eine Klausur …

Ich bin freigestellt, muss hier aber alles nacharbeiten, was ich verpasse, und damit auch Klausuren während der WM schreiben. Ich konzentriere mich hier aber hauptsächlich auf meine Abiturfächer: Englisch- und Sport-LK, Mathe und Pädagogik. Aber schwerer als die Klausur war definitiv unser erstes Spiel gegen China. Auf dem Platz passieren Dinge, mit denen man nicht immer rechnet. Für eine Klausur kann man lernen, man weiß ungefähr, was drankommt. Bei China wusste man das nur ein bisschen, bis zum Turnierstart ändern sich ja häufig noch Details.

Ist das nicht vielleicht sogar gut, durch den Schulstoff mehr Ablenkung zu haben und deshalb befreiter aufspielen zu können, weil man eben nicht nur die WM im Kopf hat?

Ich denke schon, dass mir die Ablenkung gut tut.

Bei allen Spielerinnen steht das Geburtsdatum auf den offiziellen Listen. Bei Ihnen aus Datenschutzgründen nicht.

Hier merke ich wirklich häufiger, wie jung ich eigentlich noch bin. Es gab im Trainingslager in Bayern beispielsweise eine Situation, in der mir das eklatant auffiel. Die Bundestrainerin hat sich mit Alexandra Popp über eine Fernsehserie unterhalten, ,Unsere kleine Farm‘. Ich kannte die nicht, und da haben mir die beiden erklärt, was früher so im Fernsehen lief.

Werden die technisch stärkeren Spanierinnen heute anders spielen als die körperlich hart agierenden Chinesinnen?

Jeder Gegner geht hart in die Zweikämpfe und will den Sieg, das haben wir ja dann auch gegen China in der zweiten Halbzeit so gemacht, und das wird sich auch gegen Spanien nicht ändern. Wir werden uns kontinuierlich steigern.

Über Lena Oberdorf:

Lena Oberdorf besucht die elfte Klasse des Gymnasiums Gevelsberg, kommendes Jahr stehen die Abiturprüfungen an. In ihrem ersten Jahr als Bundesligaspielerin kam die sowohl im defensiven als auch offensiven Mittelfeld eingesetzte Oberdorf für die SGS Essen auf neun Tore in 16 Spielen. Essen stellt gleich fünf WM-Spielerinnen ab. Der Grund aus Oberdorfs Sicht: „Es ist das gute Verhältnis im Verein, es geht zu wie in einer zweiten Familie. Um sich gut zu entwickeln, muss man sich auch wohlfühlen. Das ist in Essen immer gegeben.“