Essen. 1999 verlor der FC Bayern ein dramatisches Finale in Barcelona mit 1:2. 20 Jahre später wird die Champions League wieder in Spanien entschieden.
Donnerstags ging ich zum Fußballtraining. Es begann später, die Diskussionen in der Kabine hörten einfach nicht auf. Es gab nur ein Thema: Dieses Wahnsinnsspiel am Abend zuvor. Erzählte einer: „Stellt Euch das mal vor – ich musste zur Toilette, und dann fällt kurz vor dem Abpfiff das 1:1. Da dachte ich doch: Okay, gleich ist Verlängerung, jetzt kannst du gehen. Als ich zurückkam, habe ich mich gefragt: Wie oft wollen die denn noch die Wiederholung zeigen? Ich habe überhaupt nicht kapiert, dass das schon das 2:1 war.“ Zwei Minuten hatte er für den Gang zum Örtchen benötigt.
Am Samstag wird die Champions League entschieden, wieder in Spanien, wie vor 20 Jahren. Was auch immer in Madrid passieren wird: Kaum vorstellbar, dass das, was sich 1999 in Barcelona ereignete, an Dramatik übertroffen werden könnte.
Uefa-Chef schon auf dem Weg zur Siegerehrung
Als es auf die 90. Minute zuging, erhob sich Lennart Johansson, damals Präsident der Uefa, von seinem Sitz auf der Ehrentribüne des Camp Nou, um sich auf den Weg zur Siegerehrung zu machen. Bayern München führte seit der sechsten Minute durch einen Freistoß von Mario Basler gegen Manchester United, der schwergewichtige Schwede stieg also in der sicheren Annahme, gleich den Bayern den Pokal zu überreichen, in den Aufzug. Die Alternative hätte allenfalls eine Verlängerung sein können. Dachte er.
Als er unten ankam, sah Johansson, wie der Name Manchester United in den Pokal graviert wurde, das wollte er noch stoppen. Und er fragte sich: Wieso weinen die Gewinner, wieso tanzen die Verlierer? Da lagen die Herren der Erschöpfung aus München geplättet auf dem Rasen, während die Männer aus Manchester wie berauscht hüpften. Der Uefa-Chef hatte während seiner Aufzugfahrt beide Tore in der Nachspielzeit verpasst. Das von Teddy Sheringham in der 91. und das von Ole Gunnar Solskjaer in der 93. Minute, ebenfalls nach einer Ecke, ebenfalls ein Abstauber im Fünfmeterraum.
Normalerweise bin ich an solchen Abenden im Dienst. Ob in der Redaktion oder im Stadion – bin ich am Start, meinen die Spiele, kippen zu müssen. Den Ruf des Seuchenvogels habe ich mir bei meinen Kollegen redlich erworben. Doch dieses eine Mal erwischte es andere.
Hymnische Verehrung des FC Bayern
Vor Ort war Ralf Wilhelm, ein routinierter Reporter, der fälschlicherweise glaubte, schon alles erlebt zu haben. Fünf Minuten vor dem Abpfiff klickte er den Senden-Button an und schickte den Kollegen daheim seine hymnische Verehrung des FC Bayern. Thomas Lelgemann, als Redakteur spätdiensterprobt, freute sich über die frühe Belieferung. Er brachte den Text in die Form, da hörte er den TV-Reporter brüllen. Ausgleich. Warten. Dann: der Horror. „Beim 2:1 ging der Puls in Höhen, die nicht messbar waren.“
Für den Redakteur hieß das jetzt: neue Überschrift formulieren, neues Aufmacherfoto auswählen, und: den Text komplett ändern! In solchen Fällen ist der Reporter im Stadion raus, für den Andruck zählt jede Minute. Für so einen Abend lässt du dir vom Nervenkostümverleih am besten ein ganz dickes Fell liefern.
Thomas Lelgemann nennt das Erlebnis von ‘99 „die größte Herausforderung meines Berufslebens“. Er weiß auch noch, wie Ralf Wilhelms erster Satz lautete. „Von Europas Gipfel grüßt der Deutsche Meister.“