Essen. Tore im Sitzen, Tore im Liegen, Tore aus allen Lagen: „Bomber der Nation“ – das war ein Ehrentitel. Über den Fußball-Weltmeister Gerd Müller.
Als er gerade ging, sprach ich ihn an. Ich wusste, er mochte keine Interviews, aber ich musste es versuchen. Ich stellte mich ihm vor, wir lachten, weil sich Müller und Müller begrüßten, dann bat ich ihn um ein Gespräch bei nächster Gelegenheit. Gerd Müller sagte nicht zu, aber ich könnte mich ja mal melden.
1995 war das, im edlen Ambiente der Spielbank in Aachen. 21 Jahre, nachdem Deutschland gegen die Niederlande in München mit 2:1 Weltmeister geworden war, trafen sich die Stars von damals zu einem Revival-Spiel auf dem Aachener Tivoli, und wir Sportjournalisten hatten das Vergnügen, gegen unsere niederländischen Kollegen das Vorspiel auszutragen. Und später an der Feier teilnehmen zu dürfen.
Ein paar Jahre vorher hatte ich schon mal versucht, Gerd Müller zu erreichen, da hatte mich seine Frau Uschi am Telefon abgewimmelt. Diesmal dachte ich zu lange über einen geeigneten Anlass nach, das erhoffte Interview kam nie zustande. Es wurmt mich bis heute, dass ich mit Gerd Müller nie über seine Fußballkunst gesprochen habe.
Würdigung einer Legende
Dieser Mann hatte uns als Jugendliche fasziniert wie kaum ein anderer. Tore im Sitzen, Tore im Liegen, Tore aus allen Lagen: „Bomber der Nation“ – das war ein Ehrentitel. „Ohne die Tore von Gerd Müller“, hatte Franz Beckenbauer mal gesagt, „wären wir beim FC Bayern immer noch in unserer alten Holzhütte an der Säbener Straße.“
Gerd Müller ist heute 73 Jahre alt, wegen seiner Alzheimer-Erkrankung lebt er in einem Pflegeheim. Er fehlte sehr, als am Montagabend im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund die erste Elf für die neue Hall of Fame geehrt wurde. Aber einer seiner Mitspieler von einst holte ihn in den Abend hinein.
Zum Ende des offiziellen Teils der Veranstaltung stand Paul Breitner auf und erzählte, dass er Gerd Müller erst zwei Tage zuvor besucht hatte. Er zog den Hut vor dessen Frau, weil sie sich täglich um ihn kümmert. Sie habe ihn beauftragt, den Preis für ihn entgegenzunehmen.
Ein ergreifender Moment
„Für mich ist Gerd Müller der Größte von uns allen“, sagte Paul Breitner und bat das Publikum, sich zu Ehren des Ausnahmestürmers zu erheben. Ein ergreifender Moment. Für die Großen auf der Bühne. Und für deren Bewunderer im Saal.
Dies war der beeindruckendste Augenblick des Abends, ein Abschluss mit Würde. „Fantastisch“ seien Paul Breitners Worte gewesen, sagte Günter Netzer. „Und so wichtig!“
Spät am Abend beim Bier konnte ich Paul Breitner darum bitten, noch etwas mehr über Gerd Müller zu erzählen. „Nicht nur wir Bayern-Spieler haben von ihm profitiert“, sagte er. „Der gesamte deutsche Fußball hat ihm so unfassbar viel zu verdanken.“ Ganz hoch anzurechnen sei ihm aber auch, „dass er immer bodenständig geblieben ist“.
Ich erzählte Paul Breitner, dass es mir nach seinen Worten ein Bedürfnis sei, trotz der Verdienste all dieser hier versammelten Fußball-Giganten noch einmal besonders an Gerd Müller zu erinnern. „Machen Sie das“, sagte Paul Breitner. Dann stockte er kurz. Er presste die Lippen aufeinander und wiederholte leise: „Machen Sie das.“