Essen. Wer keine Ahnung vom Sport hat, könnte auf die Idee kommen, der Begriff “Beinschuss“ käme vom Biathlon. Hier ist unsere Kolumne “Freistoß“.
Kürzlich sah ich in einem dieser tausend Europa-League-Spiele eine etwas aus der Mode gekommene Art der Zweikampfführung. Wobei der Begriff Zweikampf in diesem Fall leicht irreführend ist, denn eigentlich handelt es sich um ein ungleiches Duell. Der eine, der Ballführende, erhebt sich über den anderen, den Attackierenden. In jenem Spiel zwischen zwei Teams, deren Namen ich mir nicht merken konnte, raste ein Linksaußen mit Tempo auf einen Verteidiger zu, verschaffte ihm per Drehung einen Schwindelanfall und spielte ihm – zack – den Ball durch den leichtfertig geöffneten Raum zwischen linkem und rechtem Großzeh. Der Verteidiger rutschte auch noch aus, was ihn besonders hilflos aussehen ließ. Ein Beinschuss, in dieser Perfektion sonst meist nur beim Abschluss zu sehen – Torhüter müssen diese Blamage öfter ertragen.
Beinschüsse wie Tore zählen
Beinschuss: welch ein Wort. Wer keine Ahnung vom Sport hat, könnte auf die Idee kommen, es käme vielleicht vom Biathlon. Mit einem Beinschuss könnte der Zweite ja schließlich verhindern, nur Zweiter zu werden. Aber wenn wir nun mal beim Fußball sind: Auch ein Schuss MIT dem Bein könnte doch grundsätzlich als Beinschuss gelten. Irgendwann aber kam jemand auf die Idee, den Schuss DURCH die Beine so zu taufen. Alternativ ist auch vom Tunneln die Rede.
Dieser Beinschuss weckte in mir Erinnerungen. Zu Jugendzeiten war das unser Sport beim Sport. Beim Training zählten wir Beinschüsse wie Tore, das begann schon beim Fünf gegen Zwei zum Warmmachen. Ab und zu versuchten wir es auch im Spiel, obwohl wir genau wussten, dass der Trainer wegen solcher Mätzchen ausrastete.
In der Schulmannschaft kamen wir damit eher durch, dem Sportlehrer war das egal. Da hatten wir einen Mittelfeldspieler, dem der Ball widerspruchslos gehorchte. Einmal nahm er ihn zwischen die Hacken und hob ihn artistisch von hinten über sich und seinen Gegenspieler hinweg. Dann riss er kurz die Arme hoch und lief mit dem Ball am Fuß weiter. In seiner maßlosen Arroganz bremste er vor dem Torschuss noch ab, wartete er auf einen weiteren Abwehrversuch des Verteidigers – und tunnelte ihn, bevor er den Ball über die Linie schob. Der Schiedsrichter war davon wohl so begeistert, dass er das Tor anerkannte, obwohl der Gegner nicht noch lächerlicher hätte gemacht werden können.
Das hatte mich damals nachhaltig beeindruckt. Als ich aus der Jugend in die erste Mannschaft aufrückte, dachte ich, das lustige Spielchen ginge weiter. Der Mann, dem ich mit 18 beim Training lächelnd einen Beinschuss verpasste, hieß Siggi. Er war 35, etwas unbeweglich, aber sehr kräftig. In vielen Jahren danach habe ich nie wieder versucht, irgendeinen Gegenspieler zu tunneln.