Essen. Die Fußball-Nationalelf reist am Mittwoch ins Trainingslager in Südtirol. Bundestrainer Joachim Löw muss vor der WM noch vier Spieler streichen.

Joachim Löw ist wieder ein glücklicher Trainer. Der 58-Jährige reist heute in die Gemeinde Eppan nach Südtirol. An der Weinstraße zwischen Bozen und Salurn gibt es Obstwiesen und ein Bergpanorama. Man findet gutes Essen, nette Leute, ein italienisches Lebensgefühl. Der Genussmensch Löw passt hier wirklich gut her.

Glücklich ist Joachim Löw aber auch deshalb, weil er in Eppan das sein kann, was er am liebsten ist: ein richtiger Trainer mit einer richtigen Mannschaft in einem richtigen Traineralltag. Bis zum 7. Juni bereitet sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Hotel Weinegg und auf dem Trainingszentrum des FC Südtirol auf die Weltmeisterschafts-Endrunde in Russland vor (14. Juni-15. Juli). Der Erfolgsmensch Löw passt hier gut her. Wie schon bei seinen anderen beiden WM-Teilnahmen hat er sich erneut für diese Region entschieden. Auch 2010 (in Eppan) und 2014 weilte er in Südtirol. 2010 wurde er Dritter, 2014 stand nördlich im Passeiertal die Keimzelle des WM-Erfolgs.

Toni Kroos kommt kommende Woche

Bei allen Annehmlichkeiten, die der Job als Bundestrainer mitbringt, bedauerte Löw stets, dass er selten den täglichen Kontakt mit den Spielern hat. In Eppan wird dieser ausgeprägt sein, denn auf Löw warten einige Baustellen. Er muss eine Entscheidung in der Torwartfrage treffen, vier Streichkandidaten benennen, eine Startelf für den Auftakt gegen Mexiko finden und eine Atmosphäre zwischen Teamgeist und produktiver Konkurrenz schaffen. Nicht zuletzt wird er an einer Geheimwaffe arbeiten. „Im Trainingslager geht es darum, die Basis zu legen für das WM-Turnier, das uns alles abverlangen wird“, sagte Löw.

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Anders als acht Nationalspieler wird Kapitän Manuel Neuer von Beginn an in Südtirol dabei sein. Löw gewährte dem Bayern-Quintett um Mats Hummels, Joshua Kimmich, Thomas Müller, Niklas Süle und dem angeschlagenen Jerome Boateng nach dem verlorenen Pokalfinale einen Kurzurlaub. Sie reisen wie Marc-André ter Stegen, der noch beim FC Barcelona gefragt war, und Antonio Rüdiger, der mit dem FC Chelsea am Wochenende den FA-Cup gewann, erst am Freitag an. Toni Kroos, der am Samstag mit Real Madrid das Champions-League-Finale gegen Liverpool spielt, wird erst in der kommenden Woche erwartet.

Extraspiele für DFB-Kapitän Manuel Neuer

Auf Löws Arbeitsliste ganz oben steht: Entscheidung bei Neuer. Der Bayern-Torwart muss in Eppan den Nachweis erbringen, dass er nach seinem Mittelfußbruch in WM-Form ist. „Ich denke, dass er zur WM nicht nur fit wird, sondern ein großer Rückhalt sein wird“, hatte sein Vereinstrainer Jupp Heynckes vor dem Pokalfinale gesagt. In Südtirol wird Neuer zwei Extra-Möglichkeiten für Spielpraxis bekommen: Die deutsche U20-Nationalelf reist an, um in zwei internen Tests als Sparringspartner zu dienen. Auch beim Testspiel gegen Österreich in Klagenfurt (2. Juni) hat Neuer die Chance, sich zu zeigen.

Bis zum 4. Juni muss Löw aus 27 Spielern seine finale Auswahl treffen und den 23er-Kader bei der Fifa hinterlegen. Ein Torwart und drei Feldspieler müssen noch aussortiert werden. Dass Verteidiger Niklas Süle gestrichen wird, ist entgegen vieler Vermutungen aber unwahrscheinlich. Er wäre der Ersatzmann, sollte Boateng (Muskelverletzung) nicht rechtzeitig fit werden. Der aber sagte dazu: „Ich fühle mich gut, ich bin im Lauftraining und zuversichtlich.“

Die angenehmste Baustelle für Löw ist die Suche nach einem zweiten, defensiven Mittelfeldspieler neben Kroos und einem linken Flügelspieler für die Startelf. Hier hat er ein Überangebot. Sami Khedira oder Ilkay Gündogan für die Mitte sowie Marco Reus, Leroy Sané, Julian Draxler und auch Julian Brandt für links. Trotz des erhöhten Konkurrenzkampfes soll Südtirol auch dazu genutzt werden, einen besonderen Teamgeist zu entwickeln wie 2014. Damals schworen sich die späteren Weltmeister in gemeinschaftlichen Saunagängen auf Brasilien ein.

Schließlich wird Löw das Trainingslager nutzen, an einer nicht mehr ganz so geheimen, deutschen Geheimwaffe zu arbeiten: Standardsituationen. 2014 ließ Löw seine Spieler mit Zettel und Stift eigene Varianten für Freistöße und Ecke in Südtirol entwerfen. In Brasilien fielen dann ein Drittel aller deutschen Tore nach ruhenden Bällen (sechs von 18). Diesem Mittel hatte Löw früher weniger Beachtung geschenkt. Im Südtiroler Trainingslager änderte er das. Es machte ihn zu einem glücklicheren, erfolgreicheren Trainer.