Stuttgart. . Timo Werner kämpft ständig gegen Widerstände – nicht mal Tore helfen ihm. Joachim Löw unterstützt den Leipziger vor dem Spiel gegen Norwegen.

Unweit des Stuttgarter Stadions ist Timo Werner geboren. Also ist dieser Ort schon mal nicht ganz negativ für den 21-Jährigen besetzt. Anführen ließen sich hier weitere Indizien: Sein erstes Bundesligaspiel bestritt er in der Bad Cannstatter Arena für den VfB im August 2013. Da war er gerade 17. Sein erster Bundesliga-Assist gelang ihm dort, sein erstes Liga-Tor ebenso. Aber dann ist da auch noch das Trainingsgelände gleich nebenan. Hier, so erzählen sie sich in Stuttgart, wurde dieser blutjunge Stürmer gern gemobbt.

Platzhirsche veralberten ihn

Es dürfte also ein Emotionsmix sein, mit dem Werner an diesem Montag zum WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen im Stuttgarter Stadion antreten wird (20.45 Uhr/RTL).

Hier fühlte er sich ganz oben und ganz unten. Er war das Wunderkind des VfB, schoss in der A-Jugend-Bundesliga als B-Jugendlicher mal 24 Tore in 23 Partien und ist bis heute der jüngste Spieler des Klubs, der die 50-Erstliga-Spiele-Marke überschritt. Aber er traf bei den Profis auch auf alte Platzhirsche, die ihn veralberten, wenn er im Training über das Tor schoss.

Er fand dort einen Trainer (Alexander Zorniger), der seinen Küsschen-Torjubel nach- und ihn zum Sündenbock machte. Werner scheint also irgendetwas an sich zu haben, dass sich die Leute immer schon gern an ihm abarbeiteten – und nicht erst jetzt, da er für RB Leipzig spielt und mit einer Schwalbe gegen Schalke selbst dabei mithalf. Er war und ist eine Reizfigur. „Ich habe gelernt, gegen Widerstände anzukämpfen“, sagte Werner der Süddeutschen Zeitung.

Widerstände findet er jenseits von Leipzig meistens. Auch Freitag in Prag, als der Angreifer sein viertes Tor im siebten Länderspiel schoss, sich dafür aber vom Mob in der deutschen Kurve als „Hurensohn“ beschimpfen lassen durfte. Werner konterte das später: „Man weiß ja, welche deutsche Stadt dicht bei Prag liegt“, sagte er und meinte Dresden. Konkurrenz der Vereine als Motiv. Aber das stimmte natürlich nur bedingt. Auch jetzt, im 500 Kilometer von Dresden entfernten Stuttgart, könnte es wieder Pfiffe gegen ihn geben. Als „oberpeinlich“, bezeichnete Bundestrainer Joachim Löw das und appellierte ans Publikum: „Ich erwarte, dass man mit ihm respektvoll umgeht.“

Die größte Reizfigur im deutschen Fußball ist mittlerweile zum größten Aufsteiger unter Löw gereift, weil er einer seltenen Spezies angehört: Werner ist ein echter Stürmer, mit echten Stürmer-Instinkten. Um das zu werden, musste er Stuttgart 2016 verlassen. „Das war für seine Entwicklung wichtig“, sagte Löw. Erst nach seinem Wechsel zu RB Leipzig konnte Werner der Angreifer werden, den Löw brauchte: 21 Tore erzielte Werner in 31 Saisonspielen.

Lob auch für Gomez, Stindl, Wagner

Im Sommer folgte beim Nationalteam der Durchbruch, als er mit drei Treffern und zwei Vorlagen der beste Torjäger des Confed-Cups wurde. In Löws Gunst ist Werner an Mario Gomez vorbeigezogen. Auch der war einst eine Reizfigur.

Mit Gomez, Werner und Lars Stindl verfügt Löw erstmals seit Jahren über eine größere Auswahl im Angriff jenseits von Thomas Müller und Mario Götze. „Das sind unterschiedliche Stürmertypen, und darüber bin ich froh“, sagte Löw. Sogar Sandro Wagner nannte er: „Er hat mich auf und neben dem Platz absolut überzeugt.“

Auch Wagner ist ja eine Reizfigur. Man könnte auf die Idee kommen, dass der Weg dorthin für einen Stürmer in Deutschland nicht weit ist. Timo Werner weiß das. Er ist dort schon früh in seinem Leben angekommen.