Hamburg. Einen Kaffee gab es, sicherlich zu seinem Bedauern keine Zigarette dazu, aber die Frage, die ihm gereicht wurde, die konnte Joachim Löw auch genießen. Welche Qualität schätzt der Bundestrainer eigentlich an Claudemir Jeronimo Barretto, gerufen Cacau?

Tja, der Cacau, sinnierte der Mann, der nach Umfrageergebnissen Deutschlands beliebtester sein soll, „der Cacau, der war ja das erste Mal bei der Asienreise dabei”. Und, richtig, daran kann man sich noch erinnern. Eingesetzt wurde der Stuttgarter aus Brasilien auf dieser Tour der klimatischen Qualen sogar, doch nicht umfangreich. Erst jetzt, beim letzten Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft am heutigen Mittwoch gegen Finnland in Hamburg (18 Uhr, ARD) wird er sein Debüt in der Startformation feiern können. Ein Debüt, ermöglicht durch einen Überzeugungstäter.

Claudemir Jeronimo Barretto, gerufen Cacau.
Claudemir Jeronimo Barretto, gerufen Cacau. © ddp

Auch Piotr Trochowski, der Hamburger, wird von Löw auf den Naturrasen geschickt werden, und Andreas Beck soll auf der rechten Verteidigerposition noch einmal sein Potenzial demonstrieren, und Arne Friedrich und Thomas Hitzlsperger sollen spielen, weil sie zum elitären Kreis gehören, beim Triumph gegen Russland aber nicht oder nur kurz mittun durften. Der Fall Cacau jedoch ist ein besonderer. Dieser Fall hätte zum Politikum werden können, zu einem nicht unbedeutenden in der Historie unserer Republik. Doch seit die WM-Qualifikation mit dem heroischen Auftritt von Moskau besiegelt wurde, kann sich Liebling Löw sehr viel erlauben. Mario Basler reaktivieren? Warum nicht, ist der Herr, der heute einen fast schon Frohsinn verbreitenden, fast schon hellgrauen Rolli trägt, nicht ein Weiser des Fußballs? Muss er doch sein. Hat doch gewonnen.

Welcher Eintrag ins Geschichtsbuch aber wäre vorgenommen worden, wenn die Nationalmannschaft das Scheitern kennen gelernt hätte? Löw wären dann noch immer nur wenige Fehler vorzuwerfen gewesen. So faszinierend gewaltig wie das Gemüseangebot auf einem türkischen Markt ist die Auswahl im Spitzensegment deutscher Stürmer nicht. Allein die Entscheidung, Stefan Kießling, der in der Bundesliga schon sechs Mal für Bayer Leverkusen traf, nicht zu nominieren, konnte im Vorfeld kritisch ausgeleuchtet werden. Was ist ein Trainer, der Kießling, der doch immerhin an Cacaus Stelle vierter Mann im Angriff hätte sein können, daheim lässt? Ein Überzeugungstäter? Oder doch ein Sturkopf, ein unbelehrbarer? Die Waage nimmt ihre Arbeit auf. Wird eine Niederlage in eine Schale geworfen, senkt sich die tief hinab und trifft einen Kopf, einen Sturkopf.

Den Begriff „Keilstürmer” hat Löw beim Kaffee mit Vergnügen ins Spiel geworfen. Über Keilstürmer würde die Nationalelf ja verfügen. Mario Gomez, Miroslav Klose, ja, auch über Stefan Kießling, „der in unseren Überlegungen natürlich eine Rolle spielt”. Cacau jedoch, der sei kein Keilstürmer, der habe andere Vorzüge, der könne „um die Stürmer herumspielen”, der sei „unglaublich beweglich” und „technisch gut”: „Der Cacau, der hat diesen Ideenreichtum am Ball, der kann auch andere einsetzen.” Und in der rationalen, analytischen Welt des Bundestrainers sind das die Kriterien, die Gewicht haben, die Funktionskriterien.

Seit 2000 lebt Cacau, der 28-Jährige, in Deutschland. Für Türk Gücü hat er in München in der Landesliga gespielt und dazu beigetragen „den Abstieg zu verhindern”. Vor zwei Jahren hat er die Staatsbürgerschaft seines Gastgeberlandes angenommen, „als unsere beiden Kinder geboren waren”. Und seine Mutter, „die hat geweint”, als er für die Nationalelf nominiert wurde. Dass über ihren Sohn ein fünfter Mann, Bundestrainer Joachim Löw, beinahe hätte attackiert werden können, würde ihr wohl noch einmal die Tränen in die Augen treiben. Andererseits sollen in der Ferne ja nicht alle Winkelzüge und Finessen deutscher Politik emsig verfolgt werden, nicht einmal die der deutschen Fußballpolitik.