Glasgow. . Deutsche Außenverteidiger: Während sich Jonas Hector auf der einen Seite festgespielt hat, muss Debütant Emre Can auf der anderen erst noch überzeugen.
Der „Fan Club Nationalmannschaft“ ist so etwas wie das betreute Dicht-Dran-Sein an der deutschen Auswahl. Ist man Mitglied, erhält man Karten für Länderspiele und kann Reise dorthin buchen. Der DFB hat ihn 2003 zusammen mit einem Sponsor ins Leben gerufen. Das ist wichtig, um zu verstehen, warum jener Kreis am Sonntag für eine Überraschung gesorgt hat.
Da nämlich, einen Tag vor der EM-Qualifikationspartie gegen Schottland an diesem Montag in Glasgow (20.45 Uhr/RTL und in unserem Ticker), veröffentlichte der „Fan Club Nationalmannschaft“ das Ergebnis einer Umfrage. Wer war der beste Spieler beim 3:1 gegen Polen am Freitag? 6074 Leute wählten mit. Und nicht etwa der Doppeltorschütze Mario Götze landete vorn. Für ihn stimmten nur 24,5 Prozent. Mehr als zweimal so viele Stimmen (55,4 Prozent) erhielt Jonas Hector.
Dieser Hector hat kein Tor geschossen, und wohl nicht viele seiner Wähler hätten ihn vor der Partie auf der Straße erkannt. Denn der 25-Jährige ist noch nicht lange Teil des DFB-Teams. Gegen Polen bestritt er sein sechstes Länderspiel. Aber der Kölner spielt auf einer Position, auf welcher die treuen Begleiter der Nationalelf seit Bestehen ihres Fan-Klubs einen großen Mangel beobachtet mussten. Hector ist Außenverteidiger.
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2004 debütierte Philipp Lahm. Aber der hatte den Makel, dass er nicht auf zwei Positionen gleichzeitig spielen konnte. Also verschob ihn Bundestrainer Joachim Löw später von links in der Viererkette auf rechts. Doch mit Lahm war das wie mit einem zu kurzen Bettlacken: Zog ihn Löw auf die eine Seite, sprang der Schutz auf der Gegenseite wieder ab. Am deutlichsten wurde der Mangel an guten Außenverteidigern bei der WM 2014. Weil Löw Lahm zunächst im Mittelfeld benötigte, ließ er außen mit Innenverteidigern spielen. Lahm ist seit einem Jahr aus der Nationalelf zurückgetreten, und das hat die Baustelle auf den Außenpositionen in der Defensive für Löws noch einmal vergrößert.
BVB-Kapitän Hummels schwärmt: "Jonas ist ein fantastischer Linksverteidiger"
Seit Freitagabend allerdings sieht es so aus, als sei zumindest auf der einen Seite der Baugrube etwas Neues im Entstehen. Hector spielte als Linksverteidiger gegen Polen so formidabel, bereitetet die ersten beiden Treffer vor, dass sich im Anschluss Hector-Fan-Klubs bildeten. Den einen gründete Mats Hummels. Der Dortmunder Innenverteidiger schwärmte: „Jonas ist ein fantastischer Linksverteidiger, technisch gut und aufmerksam“, sagte Hummels. Dem Hector-Fan-Klub Nummer zwei saß Löw vor. Er lobte: „Jonas machte in allen Spielen für uns einen sehr guten Eindruck mit seiner Klarheit, seinem einfachen, sehr gelösten Spiel.“
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Hectors erste Berufung im November 2014 schien ein Beweis für das Löwsche Außenverteidiger-Problem zu sein. Seine Karriere ist heute gar nicht mehr vorgesehen. Bis er 20 war, spielte er in seinem Heimatort Auersmacher noch in der Oberliga – und zwar als Zehner. Vier Jahre später ließ ihn Löw nach wenigen Bundesligapartien für Köln im Nationalteam als Linksverteidiger debütieren. Und die Werte von Freitag dürften dazu führen, dass er ihn so schnell nicht wieder aus der Mannschaft nehmen wird: 72 Prozent seiner Zweikämpfe gewann Hector (nur Jerome Boateng und Ilkay Gündogan waren etwas besser). An vier Torschüssen war er beteiligt. Ob er sich nun festgespielt habe, wurde Hector gefragt. „Ich werde mich nicht darauf ausruhen. Das wird kein Selbstläufer“, sagte er. Als sicher darf gelten, dass Hector auch gegen Schottland spielen wird.
Links also deutet sich ein Ende der Suche an. Zudem präsentierte sich auch Marcel Schmelzer in Dortmund zuletzt wieder in verbesserter Form. Auf rechts allerdings läuft die Fahndung weiter. Emre Can gab dort gegen Polen sein Debüt. Aber seine Werte lasen sich deutlich schlechter: Nur 50 Prozent gewonnene Zweikämpfe, an keinem einzigen Torschuss beteiligt, dazu oft unsicher und nicht unschuldig am Gegentor. Der 21-Jährige ist der 76. Neuling unter Löw, und bei der Bewertung seines Erstlingswerks sollte man nicht vergessen, dass er beim FC Liverpool eigentlich im zentralen Mittelfeld spielt. Weil alles so ungewohnt war, habe ihm das Stellungsspiel Probleme bereitet, gestand Can. Dazu kam: „Ich habe vor dem Spiel gesagt, dass ich nicht so nervös bin. Aber ich glaube schon, dass ich ein bisschen nervös war“, sagte er.
Cans Karriere steht der von Hector diametral gegenüber. Schon mit 15 ging er zum FC Bayern, spielte in allen U-Nationalteams und wechselte nach nur einer Saison bei Bayer Leverkusen in die Premier League. Vor allem zu Beginn der U21-EM im Sommer wurde er als kommender A-Nationalspieler gepriesen. Doch der Sprung sei doch ganz schön groß, fand er nun. Er würde es auf rechts aber trotzdem gern noch einmal probieren.
Greift Löw gegen Schottland wieder auf Rudy zurück?
Löw sagte am Sonntag bei der abschließenden Pressekonferenz vor dem Schottland-Spiel: „Für Emre war es das erste Spiel. Mit seinem Debüt war ich grundsätzlich zufrieden.“ Es gehe für ihn nach dem Abgang von Lahm darum, neue Spieler für diese Position aufzubauen. Ob er Can gegen die Schotten eine zweite Chance zur Bewährung geben wird, wollte Löw nach dem Nachmittagstraining entscheiden. Es könnte auch sein, dass er wieder auf den Hoffenheimer Sebastian Rudy zurückgreift. Der ist eigentlich auch Mittelfeldspieler. Und einen Fan-Klub „Rudy als Rechtsverteidiger“ hat Löw bisher nicht gegründet.