Köln. Nach dem Fall Kevin Pezzoni herrscht in der Fußball-Szene große Entrüstung – bis in höchste Ebenen. Doch niemand bestreitet ernsthaft, dass es ein Promillebereich unter den Anhängern ist, die keine Grenzen mehr zu kennen scheinen. Markige Worte können die Hilflosigkeit aber nicht verdecken.

Eigentlich war Kevin Pezzoni für Joachim Löw kein Thema mehr. Dabei gehörte der 23-Jährige lange zu den auserwählten Fußballern mit dem Adler auf der Brust. Pezzoni war Kapitän der deutschen U 19, fünf Einsätze in der U-21-Mannschaft schmücken seine Vita. Doch seine Karriere geriet ins Stocken, er versank mit dem 1. FC Köln im grauen Mittelmaß, die DFB-Elf war weit weg, weit weit weg.

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Und doch stand Bundestrainer Joachim Löw am Dienstag vor dem wortgierigen Schlund aus Mikrofonen und Aufnahmegeräten, um über den Fußballer zu sprechen, der längst als „Fall Pezzoni“ zur Chiffre geronnen ist – für die innere Bedrohung des Fußballs durch seine vermeintlichen Anhänger. Und so mühte sich Löw, der eigentlich sein Team auf die anstehenden WM-Qualifikationsspiele gegen die Faröer und in Österreich vorbereiten wollte, die angemessenen Worte zu finden. Heraus kamen leicht gedrechselte Sätze: „Es ist inakzeptabel, dass so etwas passieren kann“, sagte der Bundestrainer. „Da muss man sich ernsthafte Gedanken machen, wie man so etwas in Zukunft vermeidet.“

VdV malte ein Horror-Szenario an die Wand

Man muss Joachim Löw diese weiche Replik nicht zum Vorwurf machen. Was soll er auch sagen in diesen Tagen, in denen jeder verbal auf die Pauke haut, der Vorhang sich öffnet für das große Entrüstungsstück: „Das sind keine Fans, sondern Kriminelle, die man weiter beobachten und aus dem Verkehr ziehen muss“, sagte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff. Die Fußballer-Gewerkschaft VdV malte gar in größtmöglicher Öffentlichkeit das Horror-Szenario an die Wand: „Wenn das so weitergeht, haben wir bald Verhältnisse wie in Mexiko, wo Spieler schon zu Tode gejagt wurden“, sagte VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky. Er sagte es auf dem größten Boulevard, der Bild-Zeitung: „Die Hemmschwelle wird immer niedriger, die Hysterie immer größer.“

Zur Wahrheit aber gehört auch die geschürte Hysterie. Anlass dafür bietet insbesondere das Internet zur Genüge. Im weltweiten Netz versammeln sich allzu oft Menschen, deren Pöbelei anderweitig kein Gehör findet. Nun aber dient das Netz als unberechenbarer Multiplikator. Wenn früher am Stammtisch in der Eckkneipe kräftig geholzt wurde, löste sich der verbale Unsinn am nächsten Morgen auf wie der biergeschwängerte Rauch in der stickigen Kaschemme. Heute aber erfahren diese modernen Pranger ungeahnte Aufmerksamkeit. Öffentlichkeit stachelt an, das Trittbrettfahrer-Phänomen tritt auf. Wie geht man damit um, wenn im Internet schon die verbale Hetze gegen den nächsten Spieler des 1. FC Köln losgeht – mit einem plakativen Spruch, dessen Ernsthaftigkeit niemand überprüfen kann? Ist das einfach nur hanebüchener Schwachsinn – oder der verquaste Appell zu einer Straftat?

Plakative Aussprache

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Die Fußball-Szene, das ist in diesen Tagen zu spüren, steht hilflos vor diesem Phänomen. Allerorten fallen Begriffe wie Anzeige, Strafverfolgung, der Ruf nach der Härte des Gesetzes; andere predigen den kritisch-konstruktiven Dialog mit den Anhängern, beschwören die Selbstreinigungskräfte der Fan-Szene, jene erdrückende Mehrheit, der negative Emotionen zwar nicht fremd sind, aber deren Erregungspotenzial vor der Gewaltanwendung doch Halt macht.

Niemand bestreitet ernsthaft, dass es ein Promillebereich unter den Anhängern ist, die keine Grenzen mehr zu kennen scheinen. Jene Fans, die Martin Kind, Präsident von Hannover 96, nun – wir zitieren – „hirnlose Arschlöcher“ nannte. Er habe, sagte der Klub-Boss gestern, diese harten Worte ganz bewusst gewählt. „Eine sehr plakative Aussprache verstehen die besser als eine diplomatische Sprache. Ich sage: Wehret den Anfängen, das ist eine bedrohliche Entwicklung.“

Die Frage bleibt: Wie stoppt man diese Entwicklung? Das Dilemma formulierte, abseits grober Rhetorik, Sebastian Freis. Der 27-Jährige spielt jetzt beim SC Freiburg, nachdem er dem 1. FC Köln – zur Zufriedenheit zahlreicher FC-Fans – den Rücken gekehrt hatte. Er weiß, wovon er spricht. Freis sagte: „Klar ist: Dagegen muss man einschreiten, auch wenn es sicher schwierig ist, genau zu sagen wie.“