Essen. Die Bundesliga startet, doch eine Spielzeit voller Zweifel und Fragen steht bevor. Wir erklären die Probleme und Zwänge der Liga in Corona-Zeiten.

Noch nie hat eine Fußball-Saison zu ihrem Start so viele Fragen aufgeworfen wie die kommende. Noch nie stand die gesamte Profibranche schon vor einer Spielzeit vor dermaßen vielen Unwägbarkeiten wie diesmal. An diesem Freitag beginnt die Bundesliga mit dem Spiel des Titelverteidigers FC Bayern gegen den krassen Außenseiter FC Schalke 04 (20.30 Uhr/ZDF und DAZN) – und schon die kurzfristige Entscheidung, wegen gestiegener Corona-Zahlen in München keine Zuschauer in der Arena zuzulassen, zeigt, wie sehr das Infektionsgeschehen das Spielgeschehen beeinflussen kann.

Kommt die Zeit der Juristen?

Wieder wagt der Profifußball in Deutschland schier Unmögliches. Obwohl sich das Infektionsgeschehen stetig verändert, wurde die Saison 2020/21 eisern durchgeplant – mit Englischen Wochen, einer verkürzten Winterpause und Hygienekonzepten, die das alles wieder über den Haufen werfen könnten. Läuft alles schief, könnte es die Saison der Juristen werden.

Es braucht in den kommenden Monaten nicht viel, um einen sportlich fairen Wettbewerb in den Ligen aus den Angeln zu heben, befürchtet etwa der Dortmunder Sportrechtler Prof. Markus Buchberger. „Es kann immer mal sein, dass Corona einschlägt und eine Mannschaft aus dem Rennen genommen wird“, sagt der Jurist. Die Folgen könnten gravierend sein: Spielausfälle, die sich aufaddieren, bis der Terminplan implodiert. Wie juristisch heikel die Abstiegsfrage dann werden kann, hat im Sommer das Beispiel Dynamo Dresden gezeigt.

Über allem aber schwebt die Frage, wie lange die Vereine finanziell durchhalten, die nicht zum elitären Zirkel der Liga gehören. Buchberger befürchtet, dass sich das wahre Ausmaß der Finanznot Anfang Oktober zeigt, wenn die Transferperiode endet. Viele Klubs haben sich mit Investitionen zurückgehalten. Wenn sich das Fenster schließt, könnten Vereine auf Spielern sitzen bleiben, deren Erlös fest eingeplant war. Auch ist der Marktwert von Fußballprofis durch die Pandemie gesunken, ihr Verkauf bringt nun weniger ein. Die Not lindern könnte ein weiterer Gehaltsverzicht der Profis. Doch die Corona-Klauseln müssen in Verträgen exakt formuliert werden. Wie gesagt: Es könnte die Saison der Juristen werden.

Gewagtes Stadionerlebnis

Die Party begann, und an Corona dachte niemand mehr. Als Arminia Bielefeld den Aufstieg in die Bundesliga perfekt machte, strömten tausende Anhänger zum Stadion und feierten. In Braunschweig und Stuttgart bot sich das gleiche Bild. Die Lage im Juni war recht entspannt, am Tag der Party in Bielefeld wurden 256 Neuinfektionen in Deutschland gemeldet. Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen am Donnerstag, kurz vor dem Bundesliga-Start mit Zuschauern: 2194.

Die Corona-Pandemie ist immer noch da, genauso wie das flirrende Verlangen nach Normalität. Die schrecklichen Bilder von mit Leichen gefüllten Armeefahrzeugen aus Italien liegen lange zurück, lange genug offenbar, um Antworten auf die Frage zu verlangen: Wie können wir mit dem Virus leben?

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In der Fußball-Bundesliga findet dieser Wunsch das passende Test-Labor. Die Klubs haben Geld und das von Geld getriebene Bedürfnis, den Betrieb fortzusetzen, um ihn zu retten. Im Vergleich mit anderen Sportarten haben sie am ehesten die Möglichkeiten, die notwendigen Hygieneregeln für die Rückkehr von Zuschauern umzusetzen. Das Problem bleibt aber das gleiche wie im Juni: Niemand kann auch nur eine Prognose wagen.

Der Versuch ist gewagt. In Rostock, in Dresden waren tausende Menschen bei den Pokalspielen bereit, ins Stadion zu gehen. Aber konnten alle die Gefahren des Coronavirus einschätzen? Offensichtlich nicht. Das Gelingen des Testbetriebs wird davon abhängen, wie verantwortungsbewusst sich jeder einzelne Fan im Stadion verhält.

Der Wettbewerb ist zu eintönig

Es ist eigentlich ein Wunder, dass die Wettbüros überhaupt noch Meistertipps auf den FC Bayern München annehmen. Die sportliche Übermacht des Triple-Siegers ist erdrückend – und nur ein Wunder könnte in der neuen Saison den neunten Titel in Folge verhindern.

Der Champions-League-Sieg machte die in Deutschland ohnehin schon finanziell weit enteilten Bayern noch viel reicher. Auch in Corona-Zeiten konnten sie ihre Mannschaft weiter verstärken — von Manchester City kam Nationalspieler Leroy Sané. Und dass weiter fünf Auswechslungen erlaubt sind, nutzt den Bayern am meisten. So können wirklich alle Stars mit Spielpraxis bei Laune gehalten werden. Nach der Corona-Pause gewannen die Bayern bisher jedes Spiel – auch gegen Paris, Barcelona oder Dortmund. Ein Wettbewerb um den Titel? Wer glaubt daran?

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Doch nicht nur der Titelkampf ist berechenbar. Von den sechs Europapokalplätzen in der Bundesliga sind vier seit langer Zeit vergeben. Auch das ist ein Beispiel dafür, dass die Europapokal-Prämien für die Teilnehmer ein unschätzbarer Vorteil sind. Bayern München und Borussia Dortmund qualifizierten sich in den vergangenen zehn Jahren immer für das internationale Geschäft, RB Leipzig in allen vier Jahren seit dem Aufstieg, Bayer Leverkusen verpasste seit 2010 nur einmal den Europacup.

Und so gibt es nur noch zwei spannende Fragen in der Liga: Wer sind die beiden Teams, die mit den großen Vier durch Europa reisen dürfen? Und wer steigt ab? Da kann es inzwischen auch einstmals große Traditionsvereine treffen.

Überlastung durch Terminhetze

Wenn in diesen Zeiten von gefährdeter Gesundheit die Rede ist, dann meist in Zusammenhang mit Corona. Doch Fußballprofis sehen sich durch die von dem Virus ausgelösten Umstände zusätzlich bedroht. Die bevorstehende Terminhetze durch die Saison kann auch für belastungserprobte Körper verheerende Folgen haben.

Hat der FC Bayern nicht gerade erst die Champions League gewonnen? An diesem Freitag steigen die Triple-Sieger schon wieder ein. Zwischendurch fanden ohne sie zwei Länderspiele und die erste Runde des DFB-Pokals statt. Es wird bereits mehr koordiniert, und es muss noch mehr dosiert werden.

Am Tag vor Heiligabend steht noch eine Pokalrunde an, direkt nach Neujahr wird die Bundesliga fortgesetzt. Winterpause war einmal. Die auch international beschäftigten Spieler kommen nicht mehr zum Verschnaufen. Und am Ende der Saison soll noch die 2020 verschobene Europameisterschaft gespielt werden.

Star-Trainer Pep Guardiola von Manchester City warnte drastisch, der Terminplan werde „unsere Spieler töten“. Er sagte das allerdings schon vor einem Jahr, als Corona noch gar kein Thema war.

Fußballprofis können grundsätzlich wenig Mitleid erwarten, ihre fern jeder Vernunft vereinbarten Gehälter verführen Kritiker zwangsläufig zu Vergleichen mit gesellschaftlich relevanteren, aber unterbezahlten Berufsgruppen. Dennoch: Dass die Fußballprofis exorbitant hoch bezahlt werden, rechtfertigt nicht, sie diesem enormen Verletzungsrisiko auszusetzen.

Verbände und Klubs argumentieren: Das viele Geld für die Profis muss doch auch eingespielt werden Es ist ein teuflischer Kreislauf.

Insolvenzen sind weiterhin denkbar

Für den Normalverbraucher ist es verdammt viel Geld, für die Bundesliga aber eine außergewöhnlich geringe Summe: Knapp über 250 Millionen Euro haben die 18 Erstligisten bislang in diesem Sommer für Transfers ausgegeben. Im Vorjahr waren es rund 745 Millionen Euro. Auch wenn die Transferperiode noch bis zum 5. Oktober läuft, zeigt sich hier, welche gewaltigen Löcher Corona in die Bilanzen reißt.

Borussia Dortmund musste als börsennotierter Klub seine Zahlen offenlegen – und offenbarte ein Minus von 45 Millionen Euro. Auch wenn die Zuschauer jetzt teilweise zurückkehren: Die kommende Saison wird mindestens ebenso hart werden. Vor allem für Klubs, die schon mit finanziellen Problemen in die Krise gingen: wie Schalke 04.

Manch ein Verantwortlicher rechnet hinter vorgehaltener Hand mit Insolvenzen. Denn die Deutsche Fußball-Liga lockerte die Regeln, eine Insolvenz wird nicht mehr mit dem Abzug von neun Punkten bestraft. Das erhöht die Versuchung für klamme Klubs, sich mit einem Schlag der Schulden zu entledigen. Aber: Im Insolvenzfall dürfen Spieler kündigen. Es wären also nicht nur die Verbindlichkeiten weg – sondern auch viele Profis.

Wo bleibt die neue Bescheidenheit?

Jan Kanter
Jan Kanter

„Wir waren wie Junkies. Abhängig von der Droge Fernsehgeld. Und dieses floss direkt in die Spielerlöhne, so hat sich alles hochgeschaukelt.“ Was für Sätze! Als das Coronavirus das Land stilllegte, erfasste auch den Profi-Fußball – von purer Existenzangst beflügelt – eine neue Nachdenklichkeit.

Ilja Kaenzig, Geschäftsführer des Zweitligisten VfL Bochum, der den wuchtigen Junkie-Vergleich formuliert hatte, war nicht allein. Beistand kam in jenen Tagen von den unwahrscheinlichsten Seiten. Fifa-Boss Gianni Infantino regte an, „weniger Turniere“ spielen zu lassen, und Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß sah eine „Chance, dass die Koordinaten etwas verändert werden können“.

Die selbstkritischen Stimmen sind weitgehend verstummt. Wie schwierig ein Wandel wäre, selbst wenn Klubbosse und Funktionäre sich ernsthaft um mehr Glaubwürdigkeit bemühen würden, zeigt ein Transfer. Der FC Chelsea legte für Leverkusens Jungstar Kai Havertz mal eben 80 Millionen Euro auf den Tisch, 20 Millionen könnten als Bonuszahlungen folgen. Ein Alleingang mit Anstand? Unmöglich. Auch weil sich im europäischen Wettbewerb keiner von den Fleischtöpfen verabschieden will.