Gelsenkirchen. Schalke: Benjamin Stambouli kehrt nach langer Verletzungspause ins Team zurück. Vor dem Saisonstart spricht er über seine Rolle als Fan-Liebling.
Benjamin Stambouli (30) kommt vom Nachmittagstraining. Bis zum Abendessen ist es noch ein bisschen Zeit. Vor elf Monaten bestritt er zuletzt ein Bundesligaspiel - doch wenn der FC Schalke 04 am Freitag zur Saison-Eröffnung beim FC Bayern München (20.30 Uhr, ZDF und Sky) antritt, wird er in der Startelf stehen. „Wo“, sagt er zu Beginn unseres Interviews, „das ist mir egal. Ob in der Innenverteidigung, im Mittelfeld oder im Sturm.“ Danach grinst er und es beginnt ein Gespräch über Schalke, Frankreich, Freunde, Fans.
Herr Stambouli, Sie gelten bei den Fans als Kult-Schalker. Können Sie sich das erklären?
Benjamin Stambouli: Jetzt beginnt mein fünftes Jahr auf Schalke, und jeder weiß, dass ich diesen Verein und unsere Fans tief in meinem Herzen trage. Ich liebe den Kontakt zu unseren Fans, ihre Leidenschaft.
In der Schalker Mannschaft gibt es aber nur Ralf Fährmann und Sie, die Kult-Schalker sind. Ist das ein Problem?
Stambouli: Es gibt viel mehr Spieler, die sich mit dem Verein identifizieren, die ein ‚königsblaues‘ Herz haben, als Sie denken. Viele Spieler beispielsweise haben einen Fangesang als Lieblingslied, einige kommen zu mir und sagen: ‚Benji, ich habe Gänsehaut beim Einlaufen in die Arena.‘ Das ist gut so, denn wenn sich viele Spieler mit einem Verein identifizieren, hat man bessere Chancen auf Erfolg.
Im Sommer waren Sie einen Monat lang vertragslos – ob Sie noch einmal einen neuen Vertrag auf Schalke unterschreiben, war ungewiss. Trotzdem haben Sie schöne Urlaubsbilder aus Ihrer Heimat Südfrankreich im Internet gepostet. Ganz schön gemein…
Stambouli: (lacht) Ich habe in der Zeit viele Nachrichten bekommen. Es waren Leute dabei, die geschrieben haben: ‚Benji, das ist sehr schön, wo du herkommst, aber komme bitte zurück in den Ruhrpott.‘ Andere haben geschrieben: ,Benji, du bist wichtig.‘, ‚Du bist einer von uns.‘ oder: ‚Benji, wir brauchen dich.‘.
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Was haben diese Nachrichten mit Ihnen gemacht?
Stambouli: Ich finde das verrückt. Ich weiß gar nicht, ob ich diese Unterstützung verdiene. Ein Fan hat sogar ein Video von sich gepostet, in dem zu sehen ist, wie er unter eine Brücke geht und sagt: ‚Ich schlafe hier, damit Benji Stambouli seinen Vertrag verlängert.‘ Ich habe ihm eine Nachricht gesendet, mich bedankt, aber auch geschrieben, dass er verrückt sei und das nicht machen soll.
Sie haben Ihren Urlaub mit Familie und Freunden verbracht. Hat diese Ungewissheit den Urlaub gestört?
Stambouli: Nein, Schalke und ich – beide Seiten wussten von Anfang an, dass wir den Vertrag verlängern werden. Es war nur eine Frage der Zeit. Deshalb hatte ich keine Kopfschmerzen. Der Urlaub war nach meiner langwierigen Verletzung und der Corona-Pause sehr wichtig für mich. Ich bin sehr glücklich, Fußball zu spielen, für Schalke zu spielen. Aber ich bin auch ein großer Familienmensch und vermisse meine Familie immer sehr. Deshalb habe ich jede Sekunde genossen.
Sie haben es angesprochen. In der vergangenen Saison waren Sie lange verletzt. Als Sie in der Rückrunde lautstark auf der Tribüne mitgefiebert haben, wirkten Sie fast wie ein zusätzlicher Trainer…
Stambouli: (lacht) Nein, nein. Da war ich nicht Trainer, sondern Fan. Ein Mitspieler eben, der seine Energie für seine Kollegen geben will. Und dann bin ich einfach leidenschaftlich. Ich kann nicht anders.
Mit Ex-Trainer Domenico Tedesco haben Sie stundenlang über Taktik diskutiert. Wie ist das mit David Wagner?
Stambouli: Wir reden viel, auch über Fußball, aber nicht so taktisch wie damals mit Domenico. Da ist jeder Typ anders. Mein Opa, mein Vater, mein Onkel – alle waren Trainer. Das steckt in mir. Ob ich das später auch mache? Das weiß ich noch nicht.
Schalke-Profi Stambouli: "Wir sind bereit für den Saisonstart"
Nun geht mit David Wagner eine ungewöhnliche Vorbereitung zu Ende. Es gab einen Corona-Fall im Team, abgesagte Testspiele, ein ausgefallenes Pokalspiel – wie haben Sie die sechs Wochen empfunden?
Stambouli: Ungeachtet der ungewöhnlichen Umstände war aus meiner Sicht eine gute Vorbereitung. Wir sind bereit für den Saisonstart und für diese außergewöhnliche Spielzeit ohne Winterpause. Dass wir Testspiele verloren haben, ist ein Ärgernis für Fans und Journalisten, aber wir konnten in diesen Spielen neue Taktiken ausprobieren, an Automatismen arbeiten.
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Am ersten Spieltag geht es zum Triple-Sieger Bayern München. Können Sie verstehen, dass die Fans Angst vor einer hohen Niederlage haben?
Stambouli: Ja, das kann ich. Aber als Spieler musst du daran glauben, dass du etwas erreichen kannst, auch wenn du gegen die beste Mannschaft der Welt spielst. Und das ist Bayern München als Champions-League-Sieger.
Stört es Sie, dass in Verbindung mit der Schalker Mannschaft immer von den 16 Spielen in Folge ohne Sieg die Rede ist?
Stambouli: Ich persönlich lese die Zeitung nicht, übrigens auch in Frankreich nicht – weder in positiven noch in negativen Zeiten. Das hilft dir nicht. Spielst du nicht gut und liest etwas Negatives, dann verlierst du den Mut. Gewinnst du und wirst gelobt, denkst du, du bist der König.
Und die 16 Spiele – sind die ein Thema in der Kabine?
Stambouli: Wir haben Fehler gemacht, das dürfen wir nicht vergessen. Aber wir müssen jetzt nach vorne schauen und uns auf die bevorstehenden Herausforderungen fokussieren, positiv sein. Die vergangene Saison ist abgehakt.
Schalke hat viele bekannte Namen in der Mannschaft. Was spricht dagegen, mutigere Ziele auszusprechen?
Stambouli: Es stimmt, wir haben große individuelle Qualität im Kader. Und wir dürfen auch mutig sein, aber wir müssen von Spiel zu Spiel denken, denn man weiß nie, was im Laufe einer Saison passiert. Und große Qualität zu haben, ist nicht alles. Als ich in Montpellier gespielt habe, hatten wir auf dem Papier keine Spitzenmannschaft, dennoch sind sind französischer Meister geworden. Aber damit will ich jetzt niemandem Hoffnung machen (lacht).
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Zur Mannschaft gehören viele Spieler, die nach Leihen zurückgekehrt sind. Einer von ihnen ist Nabil Bentaleb. Sie verbindet eine besondere Beziehung, weil sie sich schon aus gemeinsamen Zeiten in Tottenham kannten.
Stambouli: Nabil ist einer meiner besten Freunde. Er ist ein guter Typ und ein sehr guter Fußball-Spieler. Ich habe immer an ihn geglaubt. Viele Sachen, die über Nabil erzählt und geschrieben wurden, sind falsch. Außerdem sind Menschen nicht perfekt – er nicht, ich genauso wenig. Inzwischen sind wir erfahrener geworden. Jedes Jahr gewinnst du etwas mehr Persönlichkeit dazu.
Sie haben in einem früheren Interview mal gesagt, in Deutschland würde viel mehr Wert auf Physis gelegt als in Frankreich. Da kannten Sie Werner Leuthard, den neuen Athletiktrainer, noch nicht…
Stambouli: Werner… (lacht) Er ist ein Supertyp. Er ist sehr intelligent und weiß exakt, was er macht. Ich weiß es sehr zu schätzen, jeden Tag mit ihm zu arbeiten. Er ist hart aber fair.