Dortmund. Julian Ryerson ist einer der Gewinner unter BVB-Trainer Tullberg. In Dortmund wird er plötzlich für eine weitere Fähigkeit geschätzt.
Vor Borussia Dortmunds Geschäftsstelle drängelten sich am Freitag noch mehr Autos als sonst. Die B1, Dortmunds Verkehrsknotenpunkt, verstopft häufiger. Insbesondere dann, wenn der BVB spielt. Aber vormittags? Unter der Woche? Der Grund ist ausnahmsweise mal nicht der Klub, der die Stadt bewegt. In den Westfalenhallen findet die Messe „Jagd und Hund“ statt, sie lockt hunderttausende Besucherinnen und Besucher an. Glücklicherweise an einem Wochenende, an dem die Borussia weit im Süden antritt. An diesem Samstag spielt der BVB beim 1. FC Heidenheim (15.30 Uhr/Sky).
Auch in Dortmunds Kader ist jemand, der sich gerne auf die Pirsch legt. Julian Ryerson aber macht am liebsten Jagd auf den Ball. Der Norweger ist beim BVB der beste Freund des Zweikampfes – und damit einer der Gewinner unter Interimstrainer Mike Tullberg. Attribute, die in unangenehmen Partien, wie sie in Heidenheim auf Dortmund wartet, besonders gefordert sind.
BVB: Julian Ryersons Laufstärke steht hoch im Kurs
Tullberg wird auf der Schwäbischen Alb seinen letzten Auftritt auf der BVB-Bank haben, dann wird Niko Kovac übernehmen. Beide legen wert auf eine starke Physis, Mentalität, ein hohes Laufpensum. Kovac formte bei seiner letzten Station den VfL Wolfsburg zum laufstärksten Team der Bundesliga, kein anderes absolvierte mehr hochintensive Läufe und Sprints. Tullberg hatte in seiner kurzen Zeit mit den Profis immer wieder gefordert, sein Team „marschieren“ sehen zu wollen.
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Ryerson, 27, musste sich darum sicherlich nicht bitten lassen. „Ich mag einfach seine Art, wie er Fußball spielt. Er brennt dafür, er lebt das“, lobte Tullberg am Freitag, mit einer Einschränkung: „Die Szene gegen Bremen war vielleicht ein bisschen drüber.“ Tullberg grinste. Da nämlich hatte Ryerson den Werder-Profi Romano Schmid ziemlich übermotiviert mit einer Grätsche abgeräumt. Gehört auch dazu, irgendwie.
Eine Szene nach Abpfiff des Champions-League-Spiels gegen Schachtar Donezk (3:1) am Mittwoch verriet viel über das gute Verhältnis der beiden Skandinavier. Tullberg, ein Däne, packte Ryersons Nacken, klopfte ihm auf die Brust. Ryerson lachte, als ihm Motivator Tullberg seine eigene Freude über den Sieg und die Leistung des Außenverteidigers ins Gesicht brüllte. „Ich habe ihm gesagt, dass er so weitermachen soll“, verriet Tullberg.
BVB: Julian Ryersons Standards kamen gefährlich
Das könnte auch in Bezug auf eine taktische Maßnahme gelten, die gegen Donezk gefruchtet hat: Ryerson trat, wie auch in der norwegischen Nationalmannschaft, anstelle von Julian Brandt, Pascal Groß oder Marcel Sabitzer die Standards. Tatsächlich flogen die Bälle nach Ecken oder Freistößen deutlich gefährlicher als sonst in den Strafraum. Beinahe wäre dadurch auch ein Tor gefallen. Ryersons Freistoßflanke auf den Kopf von Ramy Bensebaini kam perfekt, der Algerier traf den Ball optimal – doch Donezks Keeper Dmytro Riznyk zeigte eine sehenswerte Flugparade. Sehr wahrscheinlich wird Ryerson daher am Samstag weiterhin für die Standards zuständig sein.
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Normalerweise steht Julian Ryerson beim Klub aufgrund anderer Fähigkeiten hoch im Kurs. Die Fans schätzen Ryersons aufopferungsvolle Spielweise. Der Außenverteidiger ist eine Ausnahme, wenn der Mannschaft fehlende Bereitschaft, an die eigene Grenzen zu gehen, vorgeworfen wird. Für Trainer, egal ob es Edin Terzic, Nuri Sahin, Tullberg oder demnächst Kovac ist, zählt vor allem, dass Ryerson das exakte Gegenteil einer Schachtel Pralinen ist: Bei ihm weiß man immer, was man bekommt. Ohne Ausreißer in beide Sphären. Die fünf Millionen Euro Ablöse, die der BVB vor zwei Jahren an Union Berlin überwies, waren klug angelegtes Geld – für einen Rollenspieler, dachte man.
BVB: Julian Ryerson wird überraschend zum Dauerbrenner
Doch Ryerson ist zum Dauerbrenner auf beiden Verteidigungsseiten geworden, was nicht für Dortmunds Kaderzusammenstellung spricht. Raphael Guerreiro war oft verletzt, Ian Maatsen nur eine Leih-Lösung, Thomas Meunier und Marius Wolf spielten nur selten auf BVB-Niveau, Ramy Bensebaini steckte eine Saison lang im Tief. Ryerson spielte derweil konstant auf einem guten Niveau, aber hat eben auch Schwächen, vor allem offensiv. Daher ist Yan Couto im Sommer verpflichtet worden, doch der Brasilianer ist längst nicht angekommen in Dortmund. Ryerson durfte, bester: musste weiter ran. Auch das ist ein Grund, warum Trainer Sahins Konzept mit dem hochstehenden, am Spiel beteiligten Rechtsverteidiger, der zum zweiten Flügelstürmer wird, nicht optimal funktionierte. Als Jäger fühlt sich Julian Ryerson eben wohler.