Essen. Mehr rüde Fouls, weniger gelbe Karten: Bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Mit der offensichtlichen Anweisung an die Schiedsrichter, nachsichtiger zu sein, hat die Fifa dem Fußball keinen Gefallen getan. Ein Kommentar
Das Prinzip ist so einfach wie das Spiel selbst („Das Runde muss ins Eckige“): Wer die Hoheit über Fußball-Stammtische gewinnen will, muss möglichst intensiv über Trainer und/oder Schiedsrichter schimpfen. Wobei es bei den Sündenböcken nur einen Unterschied gibt. Die einen versagen schon vor dem Spiel, weil sie die, natürlich falsche, Aufstellung gewählt haben. Die anderen machen ebenfalls alles falsch, aber erst nach den Anpfiff.
Was die Schiedsrichter betrifft, so sehen diese sich bei großen Turnieren zusätzlich dem kollektiven Vorwurf ausgesetzt, sie hätten keine Linie, jeder würde bei Fouls andere Maßstäbe anlegen. Doch diese Kritik ist in Brasilien haltlos. Haben die Referees doch sehr wohl eine Linie. Nur eben die falsche.
WM-Gastgeber Brasilien mit auffälliger Foul-Statistik
Schließlich hat auch und gerade der einheitliche Kurs der Schiedsrichter etwas ermöglicht, was sich keine wahrer Fußballfreund gewünscht hätte: das Comeback der Blutgrätsche. Es ist nicht
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nur ein Gefühl, sondern statistisch belegbar, dass bei dieser WM mehr und vor allem heftiger foul gespielt wird als bei vielen vorangegangenen Turnieren, dies aber weniger hart geahndet wird. Selbst die deutsche Mannschaft, der Joachim Löw – um Freistöße in gefährlichen Zonen zu vermeiden – über Jahre ein eher körperloses Spiel verordnet hatte, hat die rustikale Gangart als Stilmittel wieder entdeckt, was schon in der Nominierung von Benedikt Höwedes zum Ausdruck kam.
Besonders auffällig ist die Foul-Statistik einer Mannschaft, die unter dem körperbetonten Kraftfußball ihrer Gegner lange Zeit besonders gelitten hat: Brasilien. Deshalb wirkt es wie eine Ironie des Schicksals, dass der fünfmalige Weltmeister im Spiel gegen die kaum weniger zimperlichen Kolumbianer zwar mehr Fouls als der Gegner beging (31 gegenüber 23), aber mit Neymar das größte Opfer der ruppig-aggressiven Spielweise beider Teams zu beklagen hatte.
Lieber ein Spiel kaputt pfeifen, als kaputte Knochen
Die Ursache allein in einer generell wachsenden Unfairness der Spieler zu suchen, wäre zu billig. Ausgebuffte Profis erkennen in der Regel sehr schnell, wie weit sie in einer Partie gehen können. Soll heißen: Wie hart sie ihren Gegenspieler attackieren können, ohne eine gelbe
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oder gar rote Karte zu riskieren. Obwohl es offiziell nicht zugegeben wird, zweifelt niemand daran, dass der Fußball-Weltverband Fifa seine Unparteiischen angehalten hat, sich mit Karten zurückzuhalten. Das grundsätzlich nachvollziehbare Ziel: das Spiel nicht kaputt zu pfeifen. Nur: Wenn daraus mehr kaputte Knochen resultieren, ist etwas foul im Fußball-Land. Und Fußball-Künstler à la Neymar, Robben und Messi haben schlechte Karten.
Brasilien geschockt nach Neymar-Aus