Rio de Janeiro. Für Brasiliens Star Neymar ist die Fußball-WM nach einem Foul des Kolumbianers Juan Zúñiga beendet. Das ganze Land fiel nach dem Bruch des dritten Lendenwirbels beim “großen Krieger“ in einen Schockzustand. Ohne den Heilsbringer der Selecao ist der Gewinn der WM unwahrscheinlicher geworden.
Als selbst die Präsidentin zur Feder griff und Neymar einen Brief schrieb, konnte man ahnen, wie es um den Seelenzustand einer ganzen Nation bestellt sein muss.
In einer Mischung aus Pathos und Peinlichkeit formulierte Brasiliens Staats-Chefin Dilma Rousseff nach dem 2:1-Viertelfinalsieg gegen Kolumbien ihren Brief an den verletzten Neymar, den Star der Seleção, den Hoffnungsträger einer Nation, für den die WM nach seinem Lendenwirbelbruch nun beendet ist: „Es hat mein Herz und das aller Brasilianer gebrochen, den Schmerz auf Deinem Gesicht zu sehen. Aber wir haben auch die große Kraft eines großen Kriegers gesehen, der nur kurz seinen Weg unterbricht, der aber schon seine unerreichbare Marke hinterlassen hat.“
Das WM-Aus für Neymar nach einem Foul des Kolumbianers Juan Zúñiga: Schlimmer konnte es für Brasilien wirklich nicht kommen.
Vielleicht ahnt Rousseff sogar schon, dass ohne den Heilsbringer der Nationalmannschaft, auf den das ganze Spiel zugeschnitten ist, der Gewinn der WM unwahrscheinlicher geworden ist. Und die Präsidentin hat schließlich ein persönliches Interesse an einem Triumph der Seleção: Wird Brasilien Weltmeister, steigen ihre Chancen stark, im Herbst wiedergewählt zu werden.
Brasilien aber ist nach dem Bruch des dritten Lendenwirbels beim „großen Krieger“ Neymar in einen kollektiven Schockzustand gefallen. Die üblichen Raketen und Böller wurden nach dem 2:1-Sieg gegen Kolumbien deutlich seltener abgefeuert. In der Nacht noch pilgerten Tausende Fans zum Krankenhaus São Carlos in Fortaleza, wo Neymar untersucht wurde. Es folgte ein Neymar-Tag, der im WM-Quartier „Granja Comary“ in Teresópolis seinen Anfang genommen hatte und vor seiner Familienvilla im Badekurort Guarujá bei Santos endete.
Die Videobotschaft des Stars
Darin enthalten: Neymar auf einer Trage, am Tropf mit den Schmerzmitteln, beim Abschied von der Mannschaft samt Abtransport mit einem Helikopter, kurz winkend. Später Papa Neymar auf dem Balkon der Familienvilla, davor Hunderte Fans.
Vor allem aber blieb Neymars Videobotschaft zurück, die den Aufbauplan von Trainer Luiz Felipe Scolari für das Halbfinale gegen Deutschland stützen dürfte. Denn der Versehrte trat darin immer noch in jener Rolle auf, die ihm für die Mission Hexacampeão, sechster WM-Titel, eigentlich auf dem Platz zugedacht war. Neymar gab den Hoffnungsträger – und nun zusätzlich den Motivator.
„Bedanken für den großen Zuspruch und die Herzlichkeit“ wolle er sich, sagte der 22-Jährige, und festhalten, „dass mein Traum noch nicht beendet ist“. Im Finale könne er zwar nicht spielen, aber „meine Mitspieler werden alles dafür tun, dass mein Traum wahr wird, Weltmeister zu werden“. Und dann sagte er aus seinem Rollstuhl, unter dem schwarzen T-Shirt das Stützkorsett: „Meine Kumpels werden diese WM gewinnen.“ Er werde dabei sein, „wir Brasilianer werden feiern. Das ist alles, danke. Ich umarme euch.“ Die Gespräche einer Psychologin mit den verbliebenen Nationalspielern am Sonntag wirkten danach beinahe unnötig.
Brasilien geschockt nach Neymar-Aus
Den Halbfinalgegner Deutschland erwartet in Belo Horizonte (Dienstag, 22 Uhr, live in unserem Ticker) ein Spiel, in dem gefühlt elf Neymars für die Seleção auf dem Platz stehen werden, zudem zehntausende Neymars auf den Tribünen und 200 Millionen vor den Bildschirmen im Land. Es wird ein Trotzspiel werden, und Scolaris Aufgabe besteht darin, die Wut zu kanalisieren sowie Personal und Taktik geschickt zu wählen. Wie Neymar ersetzt werden kann? „Schwierig“, sagt Scolari – und lächelt. Er wird das Problem lösen müssen, meistern müssen. Trotz allem.