Santo André. .
Drei Männer sitzen an der Dorfstraße von Santo André und schimpfen. „Das lassen wir uns nicht gefallen“, ruft einer. „Die nehmen uns unsere Rechte.“ Die, das sind die Polizisten der Sondereinheit, die ein paar hundert Meter weiter mit Helmen, kugelsicheren Westen und Gewehren vor einem Schlagbaum stehen. Sie bewachen die Sperrzone, die rund um das Quartier der deutschen Nationalmannschaft errichtet wurde. Das nach den Wünschen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erbaute Domizil Campo Bahia im kleinen Küstenort nahe Porto Seguro – das „germanische Dorf“, wie es DFB-Teammanager Oliver Bierhoff nennt – ist seit der Ankunft der Deutschen am Sonntag ein Hochsicherheitstrakt.
Vor der DFB-Unterkunft sind 300 Meter der Hauptstraße, die nicht viel mehr ist als ein Sandweg, blockiert. Rein darf nur, wer eine Akkreditierung vorzeigen kann. Die Bewohner selbst dürfen nicht passieren, und nicht einmal diejenigen, die innerhalb der Sperrzone leben, können ohne weiteres ihre Häuser erreichen. „Deutschland errichtet eine Berliner Mauer in Bahia“, schrieb „Folha“, eine der größten brasilianischen Tageszeitungen, und zitierte eine Anwohnerin, die gegenüber dem deutschen Lager lebt: „Ich empfinde es als demütigend. Wer sich hier auszuweisen hat, sind die Zugereisten, und nicht ich. Ich bin hier geboren.”
Für die Sicherheitsbestimmungen sei das Ausrichterland der WM verantwortlich, sagt Bierhoff und ergänzt: „Wir haben nur sehr begrenzt Einfluss darauf.“
Dorfbewohner in Aufruhr
Es ist eine seltsame Realitätsflucht des DFB. Mit ein paar hübschen Bildern vom öffentlichen Training am Montag, bei dem ein paar Vertreter des Volkes der Pataxó medienwirksam ihre Tänze aufführten durften, soll der Eindruck vermitteln werden, die Deutschen seien willkommene Gäste in Santo André. Doch die Absperrungen rund um das deutsche Quartier hat das 800-Einwohner-Dorf in Aufruhr versetzt. „Wir werden wie Kriminelle behandelt“, sagt Thiago Paixão.
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Am Dienstag versammelten sich Thiago und 50 weitere Einwohner in dem kleinen Kulturzentrum, um mit dem Polizeichef über die Absperrungen zu debattieren. Sie widersprechen dem brasilianischen Recht, doch die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff hat mit einem WM-Gesetz die Regel verändert. Aus der Aussprache kam ein Kompromiss heraus: Die Sperrzone wird auf 100 Meter reduziert, die Anwohner dürfen passieren.
Bei einem Spaziergang durch den Ort zeigt Thiago den Dorfplatz – kleine Hütten, in denen es oft kein fließendes Wasser gibt, Kinder spielen barfuß Fußball. Vorn verlegen Leute aus dem Dorf Rasenstücke für einen Fußballplatz. Der DFB hat ihn gespendet. Thiago findet das gut. Ohnehin seien es eigentlich gar nicht die Deutschen, auf die die Leute hier wütend sind, sagt er.
Wut auf brasilianische Politiker
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Der Zorn richtet sich vielmehr gegen die Politiker, die den massiven Polizeieinsatz aus Steuergeldern bezahlen, aber bei den Themen Bildung und Gesundheit auf leere Kassen verweisen. Die kleine Arztpraxis habe nur drei Mal wöchentlich für ein paar Stunden geöffnet. „Am Wochenende solltest du hier besser keinen Herzinfarkt bekommen“, sagt Thiago.
Brasilien sei wie das alte Rom, findet er: Brot und Spiele. Am liebsten wäre ihm daher, wenn Argentinien Weltmeister würde. „Dann hätte der Fußball seine Kraft verloren. Die Leute würden sehen, dass dieses Land verändert werden muss.“