London. . Andy Murray erlöst sich und ganz Großbritannien mit seinem Triumph vom vermeintlichen Wimbledon-Fluch. Er ist der erste britische Sieger seit dem legendären Fred Perry im Jahr 1936. Ein Königreich feiert, und sogar die Queen gratuliert Murray zum Sieg gegen den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic.

Manchmal ist es nicht das Härteste, Matchbälle zu verwandeln oder Breakbälle abzuwehren. Montagmorgen um kurz nach acht fuhr Andy Murray bereits wieder im All England Club vor, in blauer Trainingsjacke, Wasserflasche in der Hand. Er sah ein bisschen müde aus, wirkte aber insgesamt deutlich frischer als vor zehn Monaten.

Damals hatte er sich nach seinem Triumph bei den US Open, seinem ersten Grand-Slam-Sieg, auf dem Heimflug ein paar Gläser Champagner gegönnt, und da er gewöhnlich keinen Alkohol trinkt, war die Wirkung bemerkenswert. Seine langjährige Freundin Kim Sears verriet der BBC für ein Porträt, der liebe Andy sei so durcheinander gewesen, dass er in der Bordtoilette beim Versuch, die Zähne zu putzen, Gesichtslotion erwischt habe.

Murray kommt wegen des Medienrummels kaum noch zu Schlaf

Diesmal ging offensichtlich alles gut. Mister Murray machte eine prima Figur beim Champions’ Dinner am Ende des größten Tages seiner Karriere, und dass er äußerlich im Vergleich mit der Gewinnerin des Frauentitels nicht punkten konnte, lag an deren unfairen Mitteln; Marion Bartoli trug halsbrecherisch hohe Louboutins und ein sehr, sehr, sehr kurzes Kleid.

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Bevor er am nächsten Morgen in den Medienmarathon startete, entstand auch ein sehr hübsches Foto, das ihn mit Pokal im Arm vor der Statue von Fred Perry zeigt. Er lächelte, meinte aber, lieber wäre ihm, wenn er sich hinlegen und ein wenig schlafen könnte. Das wird er sich in den nächsten Tagen noch öfter wünschen.

Briten mussten 77 Jahre auf heimischen Wimbledon-Sieger warten

Die Tat, mit der er am 7.7. um 17.24 Uhr die 77 Jahre währende Wartezeit der Briten auf einen Sieger aus ihren Reihen beendete, ließ das Königreich bis hinauf nach Schottland in Freude beben. Die BBC erreichte mit mehr als 17 Millionen Zuschauern und einem sagenhaften Marktanteil von 72,8 Prozent die mit Abstand höchste Einschaltquote des Jahres, und am Montag erschien keine Zeitung ohne das riesengroße Bild des glücklichen, stolzen Siegers auf der Titelseite.

Königin Elizabeth II. hat bereits Glückwünsche geschickt, und falls Majestät der Forderung diverser Blätter und des Premierministers David Cameron („Ich kann mir niemanden vorstellen, der es mehr verdient hätte“) nachkommt, den Triumphator zum Ritter zu schlagen, dann wird es irgendwann einen Sir Andrew Murray geben.

Murray: "Musste harte Niederlagen verdauen"

Der gestand nach dem Sieg gegen die Nummer eins des Tennis, Novak Djokovic (6:4, 7:5, 6:4), er sehe diesen ersehnten Titel vor allem als Belohnung dafür, sich beharrlich bemüht und hart gearbeitet zu haben. „Vermutlich ist das die Geschichte meiner Karriere. Ich musste ein paar harte Niederlagen verdauen, aber ich bin jedes Jahr ein bisschen besser geworden.“

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Er tat alles, was dafür nötig ist. Aus dem ehedem fast unsportlich wirkenden jungen Mann wurde im Laufe der Jahre dank eines rigorosen Fitnesstrainings ein muskulöser Athlet mit bemerkenswerter Ausdauer, aber der entscheidende Schritt war mit einiger Sicherheit die Verpflichtung des knurrigen Altmeisters Ivan Lendl, für den es der erste Job als Coach war. Lendl gab damals beim Beginn der Zusammenarbeit im Januar 2012 zu, mit einem anderen hätte er sich das nicht vorstellen können; er sei sehr beeindruckt von Murrays Professionalität.

Murray schafft das, was seinem Coach Ivan Lendl verwehrt blieb

Murray sagt, eine der Grundlagen für die erfolgreiche Zusammenarbeit sei die Bereitschaft, sich gegenseitig auch unerfreuliche Dinge mitzuteilen. „Er ist extrem ehrlich zu mir. Wenn ich hart arbeite, ist er zufrieden. Tue ich das nicht, ist er enttäuscht, und dann sagt er mir das auch.“

Finale erreicht: Andy Murray fordert am Sonntag Novak Djokovic heraus.
Finale erreicht: Andy Murray fordert am Sonntag Novak Djokovic heraus. © Stefan Wermuth / Reuters

Das Lob dieses Mannes bedeutete ihm nach dem Sieg mehr als vieles andere. Er sei stolz auf ihn, ließ Lendl seinen Schützling wissen, und Murray wusste, dass er in gewisser Weise auch eine Lücke in der Karriere des Coaches geschlossen hatte. Denn Lendl gewann zwar acht Grand-Slam-Titel, aber trotz heißkalten Bemühens keinen in Wimbledon. „Natürlich hätte er es lieber selbst geschafft“, sagt Murray, „aber das hier ist bestimmt die zweitbeste Lösung für ihn – und das meine ich ganz ernst.“

Fred Perry hat Murray nicht nur Titel voraus

Am Ende der glorios unberechenbaren 127. All England Championships blieb dann nur noch eine Frage. Ob er denn jetzt, nachdem er sein großes sportliches Ziel erreicht und die ganze Nation glücklich gemacht habe, daran denke, seine Freundin demnächst mit einem Heiratsantrag zu überraschen. Der Schotte wirkte kurz ein wenig verwirrt, dann meinte er in seiner gewohnt trockenen Art: Nein, darüber habe er noch nicht nachgedacht.

Ha, da haben wir’s – so bald wird er die Vergleiche mit dem guten, alten Fred Perry wohl doch noch nicht loswerden. Der letzte Wimbledonsieger vor Andy Murray gewann ja nicht nur zwischen 1934 und 1936 drei Titel in Serie beim berühmtesten Turnier der Welt, sondern er war auch viermal verheiratet. Es gibt also noch Arbeit.