Leipzig/Lausanne. Seit Beginn der Olympischen Spiele in der Neuzeit gehörte Ringen zum olympischen Programm. 1896 gewann der Berliner Carl Schumann die erste olympische Goldmedaille. Seit 2004 gehen die Frauen auf die Matte. Nun soll Ringen 2020 gestrichen werden. Der Schock sitzt tief.
Mit Fassungslosigkeit und Enttäuschung haben die deutschen Ringer auf das wahrscheinliche Olympia-Aus für 2020 reagiert. "Ich bin geschockt, ich kann es gar nicht glauben. Wir sind ein taktisch, technischer Zweikampfsport, der es nicht zum Ziel hat, den Gegner zu verletzen. Gerade in der Gewaltprävention ist diese Sportart so wertvoll", sagte Deutschlands langjähriger Vorzeige-Ringer Alexander Leipold am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa.
Der vor wenigen Wochen zurückgetretene Freistil-Bundestrainer sieht seine jahrelange Aufbauarbeit im Nachwuchs gefährdet - selbst seine Söhne Tim und Neo gehen mittlerweile auf die Matte. "Doch wie wollen wir unseren Nachwuchs, den wir in den vergangenen Jahren in mühsamer Kleinarbeit langsam wieder an die Weltspitze herangeführt haben, dieses Olympia-Aus vermitteln? 2016 und gerade 2020 waren ihre Ziele. Für einen Sportler ist es das Größte, Olympia zu erreichen", ergänzte der 21-malige deutsche Meister. Doch der 43-Jährige, der sich selbst nach drei Schlaganfällen als Stehaufmännchen zurückkämpfte, will nicht so einfach aufgeben: "Es ist nicht das Ende des Sports, Ringen wird es immer geben."
"Ringen ist Schach auf der Matte"
Leipold kann die überraschende Entscheidung der IOC-Exekutive am Dienstag in Lausanne nicht nachvollziehen. "Ringen ist Schach auf der Matte, Ringen ist die Traditionssportart, die von Anfang an dabei war. In den USA, im Iran, Aserbaidschan, Georgien, Russland oder Kasachstan sind es Volkssportarten. Man kann nicht nur aus westeuropäischer Sicht rangehen. Auch Deutschland ist da kein Maßstab", betonte der vierfache Europameister und zweimalige Weltmeister, der 2000 das olympische Turnier in der Kategorie bis 74 Kilogramm gewann. Nach einem positiven Dopingbefund wurde er gesperrt, dann wieder freigesprochen und mittlerweile rehabilitiert.
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In London kehrte Leipold im vergangenen Sommer als Bundestrainer an die olympische Matte zurück. "Es waren geniale Spiele. Die Halle war voll, wir hatten eine Klasse-Stimmung und haben packende Zweikämpfe gesehen", erinnerte sich Leipold. Doch das IOC begründete seine Empfehlung unter anderem mit den niedrigen Werten, die das Ringen bei einer detaillierten Analyse aller 26 olympischen Sommersportarten bekam.
Entscheidung "aus dem heiteren Himmel"
Manfred Werner, Präsident des Deutschen Ringer-Bundes, reagierte am Dienstag völlig überrascht: "Das kommt für mich aus dem heiteren Himmel. Wir müssen jetzt die Reaktion des Weltverbandes FILA abwarten." Der erst im Januar dieses Jahres neu berufene DRB-Sportdirektor Jannis Zamanduridis meinte: "Für mich ist das ein absoluter Schock, mit dieser Entscheidung stirbt ein Stück olympischer Gedanke."
Ähnlich sieht es der ehemalige Nationalmannschafts-Ringer Benedict Rehbein, heute Präsident des Ringer-Verbandes Sachsen: "Die Entscheidung des IOC hat uns sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist für mich vollkommen unverständlich, wie eine der olympischen Sportarten überhaupt aus dem Programm fallen kann, ohne den Sinn dieses Sportereignisses insgesamt infrage zu stellen. Damit hat das Komitee aus meiner Sicht die Tradition und den olympischen Gedanken im wahrsten Sinne des Wortes verkauft. Klar ist: Als Kampfsportler werden wir diese Entscheidung sicherlich nicht kampflos hinnehmen." (dpa)
Stimmen zum Olympia-Aus des Ringens
Manfred Werner (Präsident des Deutschen Ringer-Bundes): „Das ist fatal für uns. Es hat keinerlei Vorzeichen von Seiten des Weltverbandes gegeben.“
Jannis Zamanduridis (Sportdirektor des Deutschen Ringer-Bundes): „Für mich ist das ein Riesenschock. Es waren Veränderungen angedacht, aber nicht, dass man eine der traditionsreichsten Sportarten aus dem Programm nimmt. Gerungen wird auf der ganzen Welt. Damit stirbt für mich ein Stück des olympischen Gedankens. Die Meinung der Athleten zählt da nur wenig. Die Sportler sind natürlich enorm verunsichert. Da wird teilweise die ganze private Lebensplanung auf die Olympischen Spiele ausgerichtet.“
Michael Carl (Bundestrainer): „Das hat mich sehr überrascht. Es gab zwar in den letzten Jahren immer wieder Gerüchte darüber, aber ich bin erstaunt, dass es jetzt so schnell gegangen ist. Wir müssen jetzt in Ruhe analysieren, wie es dazu gekommen ist.“
Pasquale Passarelli (Olympiasieger von 1984): „Das ist traurig. Es ist eine der ältesten Sportarten. Das Ringen ist zwar in letzter Zeit schlechter geworden, auch durch die Regeländerungen. Aber ich hätte nie gedacht, dass das so schnell geht. Ich dachte, die Sportart kann sich noch erholen.“ (sid)