Essen. Sie sind die ganz Verrückten. Keine Reise ist zu beschwerlich, kein Kontinent zu weit entfernt. Sepp Anthofer und Henning Wedderkop folgen den Athleten überall hin. Ihr Motto: als Leichtathletik-Fan in fünf Erdteilen.

1952 war es um sie geschehen. Sepp Anthofer (69) und Henning Wedderkop (67) infizierten sich mit dem Leichtathletik-Virus. Mitreißende Radioreportagen über die Leichtathletik-Highlights während der Olympischen Spiele in Helsinki fesselten die kleinen Jungs ebenso wie die klare Struktur: „Messen oder stoppen und das Ergebnis steht fest“, sagt Henning Wedderkop.

Das Duo gehört zu einer Gemeinschaft von richtig eingefleischten Fans, die ein Ziel haben: Die große weite Welt der Leichtathletik in ihr Wohnzimmer zu verwandeln. Sie wollen alle Disziplinen verstehen, die Leistungsträger kennen und die Ergebnisse einordnen können. Stundenlang bereiten sie sich vor Wettkämpfen vor: Wer kommt aus welchem Land mit welcher Vorleistung zu einem Meeting? Kommt eine deutsche jugendliche Läuferin über 800 Meter nach 2:05 Minuten ins Ziel, nickt Sepp Anthofer anerkennend. Scheidet ein 17-jähriger Hochspringer bei 2,00 Metern aus, wiegt er bedächtig seinen Kopf. Keine deutsche Spitzenleistung. Wenn diese Fans nach einem langen Tag im Stadion abends bei einem Bier an der Bar fachsimpeln, ist Zahlenwissen und ein unheimliches Gedächtnis Trumpf.

Anekdoten aus dem Leben zweier Fans

Nach mehr als fünf Jahrzehnten in den Stadien der Welt können die Essener stundenlang Anekdoten erzählen. Aus Atlanta, als sie bei den Olympischen Spielen 1996 den deutschen Zehnkämpfer Frank Busemann anfeuerten und neben ihnen ein US-Amerikaner saß, der seelenruhig und gelangweilt stundenlang in seiner Football-Zeitung blätterte. Auch die „Dopingspiele“ 1988 in Seoul haben sie noch gut in Erinnerung, als sie sich noch etwas gutgläubig über tiefe Stimmen der Frauen und ihre extremen Muskelpakete wunderten.

Oder als sie vor rund 25 Jahren wagten, mit einem Athleten der DDR länger zu reden. Der Betreffende musste sich hinterher in zahlreichen Stasi-Verhören rechtfertigen. Der Kontakt zu diesem Athleten besteht bis heute. Das Duo fuhr auch zu den letzten DDR-Meisterschaften 1989: „Wir wollten mal wieder guten Sport sehen“, sagt Wedderkop. Dass die Leistungen mit Doping zustande kamen, habe man nicht wahrhaben wollen. Der Verdrängungsmechanismus funktionierte.

Jahresurlaub für die Leichtathletik

Für die Wettkampfreisen nutzten sie ihren Jahresurlaub: „Ich kann mich nirgendwo besser erholen als bei zwei Tagen Zehnkampf in Götzis“, sagt Anthofer, der bis heute noch als Steuerberater aktiv ist. Doch er fährt nicht nur zu solchen Highlights wie dem Mehrkampfmeeting im österreichischen Götzis. Auch der leichtathletische Nachwuchs ist vor ihm nicht sicher, sei es bei Junioren-Europameisterschaften oder bei Deutschen Jugendmeisterschaften in Rhede.

Der Jugend eine Chance zu bieten, ist auch das Ziel des Vereins „Freunde der Leichtathletik“, dem die beiden Essener angehören. Denn neben den gemeinsamen Reisetätigkeiten soll gerade der Nachwuchs von ihrer Begeisterung profitieren: Die „Freunde“ mit ihren rund 1000 Mitgliedern finanzieren Sichtungslehrgänge, FairPlayCamps und ein Jugendlager während der WM in Berlin. Rund 40000 Euro kosten sie die Maßnahmen jährlich: „Für die Jugendarbeit sind einfach mehr Gelder nötig, als an öffentlichen Mitteln bereit steht“, sagt Wedderkop. Aber bei aller Wertschätzung der Jugendarbeit: Jetzt ist es wieder Zeit für eine Reise und Berlin wartet auf die Leichtathletik-Fans. Das Essener Duo hat eine große Gruppe um sich geschart: 300 „Freunde“ fahren zusammen, sie werden in einem Block sitzen und sie werden alle die gleichen „Freunde“-T-Shirts tragen. Damit die richtig verrückten Fans auch zu erkennen sind.