Essen. . Der Essener Bob Hanning, Manager der Füchse Berlin, fordert tiefgreifende Reformen im deutschen Handball – unabhängig vom Abschneiden bei der Weltmeisterschaft. Hanning spricht über die Zielsetzung bei der WM, die Nachwuchsförderung und den Bundestrainer.
Nur als Außenseiter starten die deutschen Handballer in die WM, die heute in Spanien mit dem Spiel Kroatien gegen Australien beginnt. Der Essener Bob Hanning, der die Füchse Berlin zu einem europäischen Spitzenklub machte, analysiert, wie es zum Abstieg der deutschen Mannschaftssportart Nummer zwei gekommen ist und wie es wieder aufwärts gehen kann.
Vor sechs Jahren war Deutschland noch Handball-Weltmeister. Das Erreichen des Halbfinals war über viele Jahre das Minimalziel. Diesmal ist der Einzug ins Achtelfinale das offizielle Ziel des Deutschen Handball-Bundes. Steckt der Handball in der Krise?
Bob Hanning: Das Viertelfinale sollte die Zielsetzung sein. Und es sollte auch machbar sein. Ob wir in einer Krise stecken, weiß ich nicht. Wir sind für viele Fehler bestraft worden. Wir haben sie nicht 2007 gemacht, sondern bereits 2005, als wir uns ganz auf die WM im eigenen Land konzentriert haben, ohne visionäre Lösungen für 2009 zu haben.
Von welchen Fehlern sprechen Sie?
Hanning: Ein ganz banales Beispiel: Wir haben 2005 nicht daran gedacht, wer nach 2007 am Kreis Christian Schwarzer ersetzen könnte. Oder wer Markus Baur als Regisseur nachfolgen könnte und wie man ihn aufbauen müsste.
Wer ist dafür verantwortlich?
Auch interessant
Hanning: Wir alle. Es bringt jetzt nichts, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Auch die Handball-Liga ist im Präsidium des Deutschen Handball-Bundes (DHB) vertreten. Wir haben eine tolle Zeit in der Präsidentschaft von Ulrich Strombach gehabt. Die Ära Strombach war mit dem EM-Titel 2004 und dem WM-Gewinn 2007 sowie der Entschuldung des Verbandes erfolgreich. Es war nicht alles schlecht, aber es fehlte ein bisschen an der Vision. Wir haben es nicht geschafft, die Landesverbände, die Liga und den DHB zu vereinen. Es ist leider immer nach dem Motto gehandelt worden, warum in der Sache streiten, wenn es auch persönlich geht.
Sind zu viele Kleinkriege geführt worden?
Hanning: Es ist nicht das Miteinander gesucht worden. Man hat sich immer nur gegenseitig das vorgeworfen, was nicht läuft. Aber noch einmal: Man darf nicht alles schlecht reden, was in der Ära Strombach passiert ist. Doch alles hat seine Zeit. Strombach hört im September 2013 auf und jetzt muss man mal sehen, wer Präsident wird.
Ihr Name fällt auch als Nachfolger.
Hanning: Für dieses Amt fühle ich mich 20 Jahre zu jung.
Stefan Kretzschmar hat Sie als neuen starken Mann im Verband vorgeschlagen. Er sagt, Sie seien der richtige Mann, um als Generalsekretär die Marschrichtung vorzugeben, um neue Konzepte und Trainingssysteme zu entwerfen. Wäre das etwas für Sie?
Hanning: Ich will erst einmal sehen, was der DHB und die Landesverbände wollen. Zu gegebener Zeit werde ich mir dann auch meine Gedanken machen.
Welche Sofortmaßnahmen müsste ein neues Präsidium treffen?
Hanning: Die Einführung eines Generalsekretärs wäre eine Sofortmaßnahme, denn dieses Amt gibt es noch nicht. Wir müssen aus einem Tanker ein Schnellboot machen. Es reicht nicht, wenn man in Dortmund bremst und erst in Essen zum Stehen kommt. Wir müssen die Strukturen verändern. Dabei müssen alle mitgenommen werden.
Haben wir die Nachwuchsförderung verschlafen?
Hanning: Ein klares Ja. Aber die Liga hat mit der Einführung eines Jugend-Zertifikats richtig reagiert. Seit 2007 sind geschätzte 15 Millionen Euro in die Nachwuchsarbeit gesteckt worden. Wir fangen jetzt an, die Früchte zu ernten.
Ziehen denn jetzt alle Vereine mit?
Hanning: Nein, aber die meisten.
Bei wem hapert es noch?
Hanning: Ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Wir Füchse Berlin haben als Verein zum Beispiel alles getan, damit Sven-Sören Christophersen nach seiner Verletzung rechtzeitig zur WM fit wird. Wir haben als Klub doch einen Riesen-Mehrwert über ein erfolgreiches Nationalteam. Dieses Gedankengut müssen wir transportieren.
Das scheint aber nicht überall so zu sein. Es gab Unmut über die Absage des Flensburgers Holger Glandorf.
Hanning: Dazu will ich nicht mehr viel sagen. Diese Diskussion hätte der Verein verhindern können.
Ist Martin Heuberger der richtige Mann als Bundestrainer?
Hanning: Er ist der Leidtragende. Er muss alles auslöffeln, obwohl er einen Schritt auf die Vereine zugegangen ist. Heuberger hat auch für eine neue, sehr gute Stimmung im Team gesorgt.
Sechs deutsche Spieler waren noch nie bei einem großen Turnier dabei. Ist der Einbau von jungen Leuten der richtige Weg?
Hanning: Es war sehr richtig und sehr wichtig. In so kurzer Zeit ist natürlich nicht alles zu erreichen. Wir dürfen uns nicht alle hinter Heuberger verstecken, wenn es nicht laufen sollte. Wir alle sind Heuberger!
Wer sind die Favoriten bei der WM?
Hanning: Die Spanier sind als Ausrichter der klare Favorit, zumal sie in ihrer Liga nicht so belastet werden. Frankreich ist immer der natürliche Titelaspirant, doch diesmal habe ich ein komisches Gefühl. Ich bin gespannt, ob die Franzosen noch hungrig genug sind. Bei den Kroaten muss sich zeigen, wie sie den Umbruch verkraftet haben. Dann gibt es noch die üblichen Verdächtigen: Die Dänen und die Polen. Und vielleicht macht uns unsere deutsche Mannschaft viel mehr Spaß, als wir im Moment annehmen. Manchmal kann man aus so einer Außenseiter-Rolle auch gut operieren.