Sao Paulo. Nach dem Titeltriumph in der Formel 1 spricht der Weltmeister über Fragen der Ehre. Aus der Last des Titel-Hattricks entwickelt sich nach dem WM-Endstand 281:278 die pure Lust - am Reden. Das Talk-Podium am Autodromo Carlos Pace gehört Vettel ganz allein. Reichlich Platz für eine Abrechnung.

Für die Frage der Ära ist Sebastian Vettel nach dem 110-minütigen Drama namens Formel-1-Finale noch zu atemlos. Aber die Angriffslust, die sich 71 Zitter-Runden lang aufgebaut hat, die muss raus. Am besten ungebremst. Also stellt sich die Frage der Ehre.

Aus der Last des Titel-Hattricks entwickelt sich nach dem WM-Endstand 281:278 die pure Lust. Auch die am Reden. Sieben eng beschriebene DIN-A-4-Seiten umfasst die Abschrift seiner Sieger-Ansprache vor den Medien, das Talk-Podium am Autodromo Carlos Pace gehört ihm ganz allein, reichlich Platz für eine Abrechnung.

Sie beginnt ganz harmlos auf die Frage, ob es der härteste und daher befriedigendste seiner drei WM-Siege war. Ja, muss er sein. Der Titelgewinn 2010 gegen Alonso war einfach überraschend, die Verteidigung 2011 gelang früh mit einem überlegenen Auto, aber das Comeback und der Hattrick in diesem Jahr waren ein technischer, fahrerischer und mentaler Gewaltakt, mündend in diesen rettenden sechsten Rang von Interlagos. Was der 25-Jährige sagt, besitzt Zündstoff, über die erste Emotionalität hinaus, und der Zündstoff wird in die neue Saison getragen werden, wenn der geschlagene Gegner endlich auf eine gelungene Revanche sinnt.

"Immer wir selbst geblieben"

Vettel sagt nicht einmal Ferrari oder Fernando Alonso, aber es ist klar, wer gemeint ist – seit dem taktischen „Getriebewechsel“ bei Felipe Massa im vorletzten Rennen, durch den Alonso einen Startplatz gewann, vor allem aber wegen der ewigen Sticheleien der Scuderia über die Saison hinweg, dass Red Bull gegen den Wettbewerbsgeist und das technische Reglement verstoße. Blatt vier im Buch Vettel, Psalm drei: „Wir sind immer wir selbst geblieben und sind unseren Weg gegangen. Für uns, für mich, ist es wichtig, in den Spiegel gucken zu können, denn dort zeigt sich, ob man sich selbst betrügt.“ Aus dem Allgemeinplatz kristallisiert sich dann der Vorwurf an die Rivalen der Rennbahn: „Sie haben alles ver- sucht, um uns zu schlagen – innerhalb und außerhalb der Regeln. All die Fragen und Zweifel haben uns das Leben schwer gemacht. Ich bin nicht heilig, ich mache auch Fehler wie jeder andere, aber ich bin zur Ehrlichkeit erzogen worden und dazu, etwas zuzugeben, wenn ich etwas falsch gemacht habe.“

Auf die Nachfrage nach den schmutzigen Tricks will er aus dem schwelenden Konflikt aber kein Feuer werden lassen, nicht seinen ganz großen Moment ruinieren. Damit bleibt es philosophisch: „Ich denke, es ist klar, was ich meine, aber es liegt nicht in unseren Händen, das zu verurteilen.“ Aber gesagt sein soll es natürlich.

Alonso bleibt die Rolle des Twitter-Champions

Sebastian Vettel muss nur aufpassen, dass Red Bull Racing, dass in vielerlei Hinsicht ebenfalls am Limit operiert, die von ihm nun so krass gezogene Ideallinie nicht selbst einmal überschreitet. Fernando Alonso bleibt nur die Rolle des Twitter-Champions. Er steht im Nieselregen der Boxengasse, den Helm noch auf, und sieht starr zu, wie Vettel sich breitbeinig auf die Lufthutze seines RB 8 setzt und übermütig Rodeoreiten imitiert. Von ihm gibt es das Manifest dann schriftlich: „Ich würde mir für diese Saison zehn von zehn Punkten geben. Wenn ich alle 20 Rennen nochmal machen könnte, würde ich nichts, was ich oder das Team getan haben, anders tun. Wir mögen nicht die meisten Punkte geholt haben, aber wir haben anderes gewonnen – den Respekt von allen.“ Dass die öffentliche Gratulation an Vettel fehlt, passt irgendwie dazu: Besser kann ein Duell für die neues Saison wohl kaum beginnen. „Die Geschichte ist noch nicht vorbei“, ahnt Vettel.

Der Nachdenklichkeit von Sao Paulo folgen nun die fortgesetzten Jubelarien, „aber die nächste große Herausforderung“, so sagt es Vettel, „ist es einfach nur zu genießen.“ Vielleicht auch erst zu begreifen.