New York. Erst um 2.26 Uhr zieht Philipp Kohlschreiber mit einem Sieg über John Isner ins Achtelfinale der US Open ein. Er begeistert mit atemberaubenden Bällen. Dieses Nachtspiel gegen die Nummer eins der USA gewonnen zu haben mache ihn überglücklich, sagte er.

Der Weg aus dem Corona Park in Flushing Meadows hinüber nach Manhattan kann tagsüber, wenn die Autos Stoßstange an Stoßstange stehen, schon mal eine Stunde dauern. Nachts ist die Sache einfacher, zumal bei einem bevorstehenden Feiertag. Breit und leer lag der Queens Midtown Expressway vor dem Fahrer, der Philipp Kohlschreiber in den frühen Morgenstunden nach seinem Sieg gegen John Isner ins Hotel fuhr. Und in Manhattan waren um diese Zeit ohnehin nur noch Taxis unterwegs; alle gelb, die Spuren ohne Warnung wechselnd wie Autoscooter auf dem Rummelplatz.

Viel später als Kohlschreiber kam noch nie ein Spieler von der Arbeit bei den US Open zurück. Um 2.26 Uhr war der letzte Return seines Gegners zum 6:4, 3:6, 4:6, 6:3, 6:4 im Netz gelandet, und damit steht die Partie ab sofort in den Rekordlisten des Turniers. Nur einmal in der Geschichte der Night-Sessions bei den US Open war ein Spiel auf die Minute gleich spät beendet worden, eine Partie der zweiten Runde anno ‘93 zwischen den Schweden Mats Wilander und Mikael Pernfors. Angesichts des engen, fast zwanghaften Verhältnisses der Amerikaner zu Statistiken und Zahlen ist damit klar, dass der Name Kohlschreiber in den Büchern des Turniers noch lange, lange auftauchen wird.

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Aber es gab Wesentlicheres in dieser feuchten, fast klammen Nacht. Dreimal hatte Kohlschreiber zuvor gegen den langen Amerikaner gespielt, jedes Mal hatte er in drei Sätzen verloren. Aber diesmal hatte er eine gute Taktik, und er zog sie durch bis zum geglückten Sprung ins Achtelfinale. „Ich wollte ihn bewegen, zermürben“, sagte er hinterher in einem tiefgekühlten, kleinen Interviewraum, „das sah vielleicht nicht immer schön aus, aber es hat funktioniert.“

Kohlschreiber war mit größter Konzentration bei der Sache

Dankenswerter Weise trug Isner einen Teil zum Gelingen des Planes bei. In den Sätzen eins und fünf landeten nur rund 50 Prozent seiner gefürchteten ersten Aufschläge im Feld, und für ein solches Entgegenkommen kann man sich als Gegner nur bedanken. Aber der entscheidende Fakt war ein anderer. Während es spät und später wurde, war Kohlschreiber mit größter Konzentration bei der Sache. Drei Breakbälle boten sich ihm in den fast dreieinhalb Stunden der Partie; Mitte des ersten Satzes, zu Beginn des vierten und Mitte des fünften. Alle drei Chancen nutzte Kohlschreiber, und besser, effektiver kann man das nicht machen. Kohlschreiber spielte selbst in gefährlichen Momenten bisweilen atemberaubende Bälle.

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Während andere Leute längst im Bett lagen, hielten von den anfangs 15 000 Zuschauern immerhin rund 3000 bis zum Ende der Partie engagiert durch, in der Hoffnung, ihr Mann würde die Sache noch irgendwie hinkriegen. Aber daraus wurde nichts, und Philipp Kohlschreiber freute sich. Dieses Nachtspiel gegen die Nummer eins der USA gewonnen zu haben mache ihn überglücklich, sagte er, schließlich sei er damit ja auch zum ersten Mal in der zweiten Woche der US Open gelandet.

Nun gegen Tipsarevic

Sieht so aus, als sei dies die Zeit der Meilensteine, nachdem er in diesem Sommer bereits in Wimbledon zum ersten Mal im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers aufgetaucht war. Die Bilanz bei den großen vier Turnieren hatte bisher nie zu seinen spielerischen Fähigkeiten gepasst, aber noch ist es ja nicht zu spät.

Die Aufgabe in der nächsten Runde ist logischerweise nicht leicht – aber sie könnte auch schwerer sein. Nach der Nummer neun der Welt wird er an diesem Dienstag gegen die Nummer acht spielen, den Serben Janko Tipsarevic. „Er wird mich sicher nicht vom Platz schießen“, meinte Kohlschreiber in der Kühlkammer. Mehr Gedanken mochte er sich mitten in der Nacht zu diesem Thema nicht machen, aber das war schon in Ordnung. Er war ja nicht der einzige, der noch rüber musste nach Manhattan.