London. Bei Betty Heidlers Wurf auf 77,13 Meter schlafen die Kampfrichter. Erst als die Maßbänder geholt werden, bekommt die Hammerwerferin die Bronzemedaille. Das Finale ist eine einzige Zitterpartie.

Der Unterschied zwischen Miss Erfolg und Misserfolg liegt bei Betty Heidler normalerweise an ihren Nerven, die bei ihr oft genug versagt haben. In London lag er an den Kampfrichtern. Nach einem Olympischen Hammer-Skandal war Heidler erst traurige Achte, dann jubelte der Hammerwurf-Weltrekordlerin am Ende des Abends doch noch über Bronze. „Jetzt ist mir alles egal“, sagt sie.

Dabei erinnerte das Szenario zunächst an ein Dorfsportfest: Die Männer in den beigen Hosen und den blauen Jacketts, die mit den Maßbändern auf dem Rasen stehen, hatten den fünften Versuch von Weltrekordlerin Betty Heidler nicht gemessen. Es war der Versuch, der ihr eine Medaille eingebracht hätte. Doch es erschien einfach keine Weite.

Gelächter im Stadion

Heidler wollte es kaum glauben. Die Anzeigentafel blieb dunkel, und dunkel, und dunkel. Dann blendete die Jury eine Weite von 72,37 Metern ein. Hohngelächter im ausverkauften Stadion. Die Weite verschwand sofort wieder von der Tafel und auch aus den elektronischen Listen im Olympischen Computersystem.

Heidler stemmte die Arme in die Hüften. Sie begriff nicht, was vor sich ging. Niemand begriff es, ein möglicher Medaillenwurf im Hammerwurf-Finale der Frauen nicht gemessen. Haltet die Welt an, damit Heidler aussteigen kann.

Der Wettbewerb geht weiter. Heidler steht am Kampfrichter-Tisch. Sie beschwert sich. Alle schauen ratlos in die Luft. Die Frankfurterin soll einen neuen Wurf erhalten. Albern. Sie ist an diesem Abend nicht in Form. Der neue Wurf bringt ihr gar nichts. Mit den 73,90 Metern aus ihrem ersten Versuch hat sie sich gerade mal als Letzte ins Finale der beste acht Werferinnen gezittert.

In Helsinki als Goldfavoritin gescheitert

Wieder mal die Nerven. Bei der EM vor wenigen Wochen in Helsinki war die Goldfavoritin mit drei Versuchen in der Qualifikation gescheitert. Bei der WM 2005 hatte sie genau das Kunststück schon einmal geschafft. Jetzt ist sie bei Olympia nervös.

Die Polizistin quält sich, sie legt alles in ihren fünften Versuch. Die Eisenkugel an dem Stahlseil bohrt sich hinter der Marke von 75 Metern in den Rasen, jeder der 80.000 im Stadion kann es sehen. Nur die Kampfrichter schlafen. Ein Blindenhund würde bellen, wenn er in die Nähe der Jury käme.

Auch Stabhochspringer holen Medaillen

Neben Heidlers Bronze-Medaille holten die deutschen Leichtathleten am Freitag noch weitere Medaillen: Renaud Lavillenie aus Frankreich gewann zwar Gold im Stabhochsprung, die weiteren medaillenplätze aber gingen an die beiden deutschen Springer Björn Otto und Raphael Holzdeppe. Der Europameister entschied das hochklassige Finale mit eingestellter Weltjahresbestleistung von 5,97 Meter für sich. Silber sicherte sich Otto mit 5,91 Meter vor dem höhengleichen Holzdeppe, der mit persönlicher Bestleistung Bronze gewann, weil er insgesamt mehr Fehlversuche hatte. Malte Mohr übersprang nur schwache 5,50 Meter und wurde Neunter. Für Pekingsieger Steven Hooker aus Australien endete das olympische Finale sogar mit drei ungültigen Versuchen vorzeitig. (dapd/sing)

Lysenko wirft Olympischen Rekord

Heidler schüttelt wieder und wieder den Kopf. Die Konkurrenz ist auf und davon gezogen. Die Russin Tajana Lysenko, die nach einer Dopingsperre zurückgekehrt ist, führt mit dem Olympischen Rekord von 78,18 Metern. Die Weite reicht am Ende für Gold. Silber geht an die Polin Anita Wlodarczyk (77,60), Wengzu Zhiang aus China (76,34) geht auf die Ehrenrunde, sie fühlt sich als Bronze-Frau.

Doch auf einmal beruhigt sich Heidler. Später erzählt sie: „Die Engländer haben mir signalisiert, dass sie den Wurf und die Weite im System haben, ich wusste, dass er weit war, nur nicht genau, wie weit.“ Die Lage bleibt unklar, keiner weiß genau, was nun passiert. Als Heidler aus dem Stadion-Innenraum geht, ist sie noch Achte.

Skandal wie bei Schwarzkopf

Es ist ein ähnlicher Skandal wie im Siebenkampf, als Lilli Schwarzkopf plötzlich disqualifiziert wurde. Angeblich hatte sie eine Linie übertreten. Nach einem Protest stellte sich heraus: Es war eine andere Läuferin, die über die Linie getreten hatte. Schwarzkopf erhielt plötzlich doch noch Silber.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband legte wie bei Schwarzkopf unmittelbar nach Ende des Wettbewerbs in den Katakomben des Olympiastadions Protest ein. Das Problem: Bei den Wurfdisziplinen gibt es keinen Videobeweis. Anhand der Fernsehbilder lassen sich die Weiten nicht zentimetergenau bestimmen.

Nach einer halben Stunde die Erlösung für Heidler. Still und leise taucht im Computer-Ergebnisdienst hinter ihrem Namen plötzlich die Zahl: 77,13 Meter auf. Bronze! „Danke“, sagt Heidler. „Vielen Dank an die Briten, dass sie alles korrigiert haben. Jetzt kann ich feiern.“ Dann verschwindet sie in die Nacht.