London. . Der Körper schmerzt, auch die Anspannung im Kopf ist noch nicht ganz gewichen: Lilli Schwarzkopf sagt einen Tag nach dem von einiger Aufregung begleiteten Gewinn der Silbermedaille im Siebenkampf: „Es war die Hölle.“ Die britische Kampfrichterin räumte ein: „Ich habe einen Fehler gemacht.“

Der Morgen danach in den Londoner Docklands. Die junge Frau im deutschen Olympia-Dress schaut noch ein wenig übernächtigt aus, aber das Lächeln ist wieder auf ihre Lippen zurück gekehrt. „Ich habe zwei Stunden geschlafen“, erzählte Lilli Schwarzkopf im Deutschen Haus, „mein Körper tut schon noch sehr weh und in meinem Kopf herrscht noch eine gewisse Anspannung.“

Elf Stunden vorher ist die mentale Anspannung der Lilli Schwarzkopf noch um ein Vielfaches höher gewesen. Was die 28-Jährige im Olympiastadion von London an Emotionen verarbeiten musste, erleben die meisten Sportler in ihrer gesamten Karriere nicht. Als Außenseiterin war sie in den olympischen Siebenkampf gegangen, nach einem fulminanten 800-Meter-Lauf hatte sie sich von Platz fünf auf den den zweiten Rang geschoben. Dann wurde sie disqualifiziert und nach einem an den Nerven zerrenden Hin und Her schließlich doch noch vor 80000 Zuschauern geehrt.

„Es war die Hölle!“

„Erst als ich auf dem Podest stand und mir die Silbermedaille umgehängt wurde, habe ich es richtig kapiert“, sagte die Sportlehrerin, „das ist unglaublich und das, wovon man als kleine Sportlerin träumt. Aber vorher war es die Hölle.“ Eine britische Kampfrichterin hatte Lilli Schwarzkopf in diesen emotionalen Ausnahmezustand versetzt. Gerade hatte sie den Siebenkampf ihres Lebens beendet. Endlich mal wieder schmerzfrei und ohne Patzer. Wie es in der großen Mehrkampf-Familie üblich ist, wollten die Sportlerinnen gemeinsam auf die Ehrenrunde gehen. „Da meinte die Kampfrichterin, ich habe einen Fuß jenseits der Linie gesehen. Ich muss Sie disqualifizieren. Ich habe gedacht, ich kippe aus den Hacken. Das können Sie doch nicht machen, habe ich erwidert. Es war nicht mein Fuß.“ Immer noch völlig aus dem inneren Gleichgewicht gebracht, reproduzierte Lilli Schwarzkopf in den Katakomben des Olympiastadions den Dialog mit der Britin, die sie fast um den größten sportlichen Erfolg ihres Lebens gebracht hätte.

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Aber so wie Schwarzkopf zwei Tage lang grandiose Leistungen in den sieben Disziplinen gezeigt hatte, so verbissen kämpfte sie in der achten, außersportlichen Übung, die sie noch viel mehr beanspruchen sollte. Während der Deutsche Leichtathletik-Verband einen Protest gegen die Disqualifikation vorbereitete, nahm Lilli die Sache selbst in die Hand und verlangte eine Video-Analyse des 800-Meter-Laufs. „Bei der Fernsehaufnahme hat man dann sofort gesehen, dass es nicht mein Fuß war“, erzählte Schwarzkopf, „und dann hat die Dame auch gesagt: Ich habe einen Fehler gemacht. Ich werde Sie dann in die Wertung wieder aufnehmen und Ihre Zeit wieder berücksichtigen. Wir müssen das Ergebnis im Stadion wohl noch mal einblenden. Ich habe ihr dann gesagt: Bitte machen Sie das.“

Fast ein Jahr Pause

Der Weg der Lilli Schwarzkopf zum Silber war aber nicht nur wegen dieses dramatischen Hin und Her ein äußerst schwieriger. Schwarzkopf hatte im Herbst nach hartnäckigen Achillessehnenproblemen für fast ein Jahr pausiert. Das große Ziel London 2012 verlor sie jedoch nie ganz aus dem Kopf und startete ein Comeback. Nach Monaten der Zwangsruhe ist es nicht einfach, dem Körper wieder die Höchstbelastungen abzufordern, die für eine Siebenkämpferin von Weltformat ein absolutes Muss sind.

Vertraut hat sie bei ihrem steinigen Weg zurück vor allem ihrem Vater. Lilli Schwarzkopf, die am 28. August 1983 in Nowopokrowka in der damaligen Sowjetrepublik Kirgisien geboren wurde und mit sieben Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland emigrierte, wird von ihrem Vater Reinhold trainiert. Er sei großartig, sagte die Silbermedaillengewinnerin, seine Religion sei der Mehrkampf. In die glücklichsten Stunden ihres Lebens schlich sich ein Hauch von Traurigkeit, weil ihr Vater keine Akkreditierung erhalten hat: „Es wäre hier schön gewesen, wenn ich eine Schulter gehabt hätte, an die ich mich legen kann.“ Aber Lilli Schwarzkopf hat sich auch allein durchgebissen. Mit herausragenden sportlichen Vorstellungen, die ihr nach sieben Disziplinen die neue Bestleistung von 6649 Punkten einbrachten, und einem energischen Auftreten gegen die Kampfrichterin. „Das war eine Art von britischem Humor, die ich bis an mein Lebensende nicht verstehen werde.“ Aber sie kann jetzt wenigstens darüber lachen.