Warschau. Der Geheimfavorit versagt beim 0:1 gegen Griechenland und scheidet aus. Trainer Advocaat zeigt sich ratlos. Er will nun den PSV Eindhoven übernehmen - sein Nachfolger in Russland wird jetzt gesucht und soll schon in Kürze präsentiert werden.
Dick Advocaat ist es nicht leicht gefallen in dieser Nacht, die desillusionierende Realität der EM-Gruppe A anzuerkennen. „Es ist richtig, wir haben ein Tor kassiert“, war eine der vielen banalen Aussagen, die der Trainer Russlands nach dem 0:1 gegen Griechenland formulierte. „Wir haben gut gespielt“, war ein anderer Satz ohne Belang, den er mehrmals wiederholte. Die Reporter suchten nach Erklärungen, sie wollten verstehen, was aus Sicht dieser stolzen Nation nicht akzeptabel ist: Das Aus gegen Griechenland!
Aber Advocaat lieferte keine plausiblen Erklärungen. „Wir hatten vorne nicht die Durchschlagskraft“, war dabei noch ein Satz mit etwas Subtanz. Aber das hatte jeder gesehen. Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn des holländischen Trainers, er drehte nervös seine Daumen, wie viele Russen stand er unter Schock. Irgendetwas war gewaltig schief gelaufen. Entweder wusste Advocaat nicht, was es war. Oder er wollte es nicht verraten.
Dabei hatten noch zwei Stunden zuvor nicht nur die russischen Fußballfreunde gedacht, dass diese Mannschaft – die älteste der EM – reif sein könnte für ein glanzvolles Turnier. Zumal die Spiele im ehemaligen Ostblock stattfinden, und solch eine räumliche Nähe kann nicht nur aufgrund der vielen mitreisenden Fans von Vorteil sein. Aber statt sich zu steigern, wurden die Russen von Spiel zu Spiel schlechter. „Vom Himmel auf die Erde“, titelte die Tageszeitung Iswestija. „Wir sind alle sehr traurig“, sagte Torhüter Wjatcheslaw Malafejew, und Denis Gluschakow meinte: „Eine Schande: Rausfliegen, wenn man hätte weiterkommen müssen.“ Dann verschwanden die Russen im herrschaftlichen Hotel Bristol, wo sie am Sonntag auszogen, um Polen endgültig zu verlassen.
Es fehlten gute Ideen
Zurück blieben entsetzte Fans und rätselnde Beobachter. War das Team zu überheblich? Hatte die Mannschaft ein Problem mit dem Trainer? Antworten wird es frühestens in den nächsten Tagen geben. Klar ist, dass die Russen in diesem bedeutsamen Spiel behäbig gewirkt hatten, fast leichtfertig. Als hätte die Mannschaft die Gefahr nicht erkannt. Auch als sie zurücklagen, fehlten gute Ideen von Andrej Arschawin. Und es gab keine Einzelaktionen von Alan Dsagojew, der schon drei Tore erzielt hatte. Die Mannschaft schien keine Freude zu haben an diesem Fußballspiel. Überhaupt wirkten die Russen in den Wochen von Warschau schlecht gelaunt.
Und das hat wohl auch mit Dick Advocaat zu tun. Der 64-Jährige ist bekennender Knurrer, dem dazu aber die herzliche Seite seines Landsmannes Huub Stevens fehlt. Wenn die Russen ein öffentliches Training abhielten und ankündigten, dass es danach Interviewmöglichkeiten geben würde, konnte es passieren, dass die Delegation wortlos an den Berichterstattern vorbeizog. Gute Laune fühlt sich anders an.
Heim-WM steht 2018 an
Advocaat wird nun in seine Heimat zurückkehren. Er hatte vor der EM angekündigt, den PSV Eindhoven zu übernehmen. Verbandschef Sergej Fursenko, über dessen Ablösung spekuliert wird, will hingegen weiter machen. Er werde alle Vorwürfe „mit zusammengebissenen Zähnen aushalten“ und noch vor dem EM-Finale einen neuen Trainer präsentieren. Schließlich geht es in Russland so langsam auch darum, ein sportliches Fundament zu schaffen, auf dessen Basis die Heim-WM in sechs Jahren stattfinden kann.