Warschau. Polnische Hooligans lieferten sich in Warschau schwere Straßenschlachten mit den Russen. Es war der EM-Tag der schlimmen Bilder. Tausende Polizisten hatten Mühe, das Schlimmste zu verhindern. Es kam zu 180 Verletzten und 184 Festnahmen.

Es ist acht Uhr am Morgen danach. Vor dem „Bristol“ stehen noch zwei Polizeiwagen, aber alles ist ruhig. In dem Traditionshotel in der Warschauer Altstadt wohnt die russische Mannschaft während der EM. Hinter den Fenstern ist niemand zu sehen, die meisten Vorhänge sind noch zugezogen. Es scheint, als habe der kühle Regen, der seit Stunden fällt, die explosive Stimmung und die Krawalle der Nacht weggespült.

Um zu verstehen, wie es in Warschau zu der Randale mit 180 Verletzten (darunter ein Deutscher) und 184 Festnahmen kommen konnte, muss man die Zeit um einen Tag zurückdrehen: Es ist 16 Uhr, knapp fünf Stunden noch bis zum Anpfiff des Spiels Polen gegen Russland im Nationalstadion.

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Die Sonne bricht durch die Wolken und heizt die Atmosphäre auf. Die Straßen, die in die Stadt führen, sind verstopft. 60 000 Menschen strömen zur Arena an der Weichsel. Auf der Landstraße, die von Lodz nach Warschau führt, hat ein Russe eine zwei Meter hohe Russland-Fahne mit einem eisernen Gestänge an seiner Beifahrertür montiert. Er lenkt seinen Lada wie einen Streitwagen durch die Autos mit den kleinen polnischen Flaggen am Dach. Noch lachen die Polen und fotografieren den Verrückten aus Russland.

Zwei Stunden vor dem Anpfiff ist das Lachen gestorben.

5000 Russen haben sich im Zentrum getroffen. Es ist russischer Nationalfeiertag, und sie marschieren hinter einem Banner zum Stadion. Auf das Banner haben sie geschrieben: „This is Russia“. Nach den Kriegen zwischen beiden Nationen und der jahrzehntelangen russischen Besetzung Polens bedeutet dies nur eins: Provokation.

6000 Polizisten in der Stadt

Auf der Weichsel-Brücke vor dem Stadion fliegen die ersten Flaschen polnischer Hooligans in Richtung der Russen. Unten am Ufer des Flusses wollten friedliche Fans feiern. Es sind die, die keine 700 Euro auf dem Schwarzmarkt für eine Eintrittskarte bezahlen können. Sie flüchten und bringen sich in letzter Sekunde in Sicherheit. Oben sieht man Vermummte, die Fackeln und Steine werfen und auf unbeteiligte Zuschauer einschlagen. Gefühllos wie Panzerwagen. Sie prügeln immer weiter, auch wenn der andere schon am Boden liegt. Der polnische Innenminister Jacek Cichocki sagt: „Die Sicherheitsmaßnahmen rund um dieses Spiel sind die größte Herausforderung während des Turniers.“ Er hat für diese Nacht 6000 Polizisten in die Stadt geschickt.

Im Stadion fällt in der 37. Spielminute das 1:0 für Russland. Auf der Tribüne macht ein furchtbares Gerücht die Runde: Es soll bei den Krawallen einen Toten gegeben haben. Spätestens in diesem Moment hat der Tag alle Farbe verloren.

Die Werbetafeln der Uefa an der Stadionbande tragen die Aufschrift „Respect“. Sie sollen für mehr Verständnis unter den Fans sorgen, nun wirken sie wie ein naiver Traum.

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Das Gerücht über den Tod eines Zuschauers bestätigt sich zum Glück nicht. „Kuba“ Blaszczykowski hat in der 57. Minute für Polen das Tor zum 1:1-Endstand geschossen. Das Unentschieden heizt alles zumindest nicht noch weiter an.

Einsatzkräfte reagieren mit Gummigeschossen und Tränengas

Dann ist das Spiel aus, und in den Katakomben des Stadions sieht es nach dem Abpfiff aus wie vor einem Krieg. In den Kellergängen warten über 1000 Polizisten. Viele tragen Gewehre, auf die Ärmel ihrer Uniformen haben sie Patronen gesteckt. Jeder der schweigenden Männer wirkt, als könne er ein Loch in eine Mauer brechen, ohne ins Schwitzen zu geraten. Nicht nur der Anblick macht Angst. Sie setzen Gummigeschosse und Tränengas ein.

Was hat das alles mit einem Fußballfest zu tun?

Auf dem zwei Kilometer langen Weg vom Stadion in die Altstadt kreisen Hubschrauber über den Straßen. Ihre Lichtkegel zerschneiden die Dunkelheit. Die Menschen warten zehn Minuten vor der Weichsel-Brücke, weil sie sie nicht überqueren können. Die Einsatzkräfte sind derweil auf dem Weg zur Altstadt. Dort stellen sie sich in den Seitengassen auf. Man weiß, sie sind da. Und man weiß, sie werden sofort eingreifen, wenn es sein muss. Alles bleibt ruhig. Polnische Fans feiern auf den Straßen, Russen sind nicht mehr zu sehen.

Kurz nach Mitternacht biegt der russische Mannschaftsbus in die Zufahrt vom Hotel Bristol ein. Polnische Fans singen die Nationalhymne, während die russischen Spieler mit regungslosen Mienen in der Drehtür verschwinden.

Die dunkle Nacht geht zu Ende, in der Morgendämmerung setzt der Regen ein. Vielleicht hat er tatsächlich reinigende Kräfte.