Warschau. . Warum die Fußballer mit dem Erreichen des EM-Viertelfinales für die Menschen in der Heimat zu Helden wurden: Das 1:0 über Russland löste im Land des Sensations-Europameisters von 2004 heftige Jubelstürme aus.
Wahrscheinlich würde Fernando Santos sich nicht wundern, wenn die Uefa ihn für das Viertelfinalspiel am kommenden Freitag sperren würde. Der portugiesische Trainer Griechenlands hat sich nach dem ungeheuerlichen 1:0-Sieg gegen Russland und dem noch viel ungeheuerlicheren Einzug seines Teams in die Runde der besten acht Mannschaften Europas in den Katakomben der Nichtraucher-Arena von Warschau eine Zigarette angezündet. Und nach all der Willkür, die den Griechen – zumindest in ihrer subjektiven Wahrnehmung – widerfahren ist, würde eine solche Sperre fabelhaft ins griechische Mosaik der Ungerechtigkeiten passen.
In der Heimat haben derzeit ja viele Menschen das Gefühl, ganz alleine gegen eine böse Welt ankämpfen zu müssen, und diese Selbstwahrnehmung haben sich offenbar auch die Fußballer zu eigen gemacht. „Wir haben uns hier gegen alles durchgesetzt, wirklich gegen alles!“, sagte Kapitän Giorgios Karagounis in Anspielung auf angebliche Fehlentscheidungen der Schiedsrichter. Zwei Tore seien ihnen in der Vorrunde aberkannt worden, der Platzverweis im Eröffnungsspiel war zweifelhaft, und Karagounis sah gegen die Russen nach einem Sturz im Strafraum die zweite gelbe Karte, er ist im Viertelfinale gesperrt. „Alle Schiedsrichter waren gegen uns“, behauptet der Kapitän. Diese Sicht entbehrt zwar nicht jeder Grundlage, allerdings ist sie reichlich übertrieben.
Bei Deutschland wird die Stimme scharf
Aber das Gefühl, ohne eigenes Verschulden bestraft zu werden, ist in Griechenland weit verbreitet nach all der Kritik, ja der Verachtung, die die Leute seit Monaten aufgrund ihrer dramatischen Staatsverschuldung ertragen mussten. Als Trainer Santos auf das mögliche Viertelfinalduell gegen Deutschland angesprochen wurde, auf jenes Land also, von dem Griechenland sich am heftigsten gegängelt fühlt, wurde seine Stimme scharf. „Was uns inspiriert ist die Geschichte Griechenlands, die Werte der Demokratie kommen hier her, jeder muss dieses Land respektieren.“ Damit sprach er vielen Griechen aus dem Herzen, einem Volk, deren Fußballer nun Helden sind, die sich nicht haben unterkriegen lassen von den Widrigkeiten der Welt.
Und weil der Wunsch, genau das auch im richtigen Leben zu schaffen, im Augenblick zum griechischen Alltag gehört wie Olivenöl und Ouzo, gab es in dieser Nacht eine ganz besondere Symbiose zwischen dem Volk in der Heimat und den Fußballern im fernen Warschau. Karagounis sprach von „purer Magie“.
Brillante Abwehrarbeit
Der Sensationseuropameister von 2004 ist unglaublich schwer zu schlagen. In der gesamten Qualifikation ging keine Partie verloren, denn in der Tradition des ehemaligen Trainers Otto Rehhagel verteidigen die Griechen brillant. Bei dieser EM wird die gute Organisation nun im Gegensatz zu den Turnieren von 2008 und 2010 durch „unglaublich viel Leidenschaft“, veredelt, meinte Flügelstürmer Giorgis Samaras. Und dann sagte noch: „Das Wichtigste ist, dass wir große Freude nach Griechenland gebracht haben. Die Leute können jetzt zumindest für ein paar Stunden ihre Sorgen vergessen.“