Dortmund. .
Das Wort Silberblick braucht an diesem Nachmittag eine neue Definition. Dimitrij Ovtcharov starrt auf den Boden, Patrick Baum an die Decke, Timo Boll ins Leere. Die deutschen Tischtennis-Herren haben gerade das Finale der Team-WM in der Dortmunder Westfalenhalle gegen China mit 0:3 verloren. Kein Gold, „nur“ Silber. In so einem Augenblick sind Gesichter wie Schaufenster. Man schaut in die Seele der Jungs, die am Morgen noch so große Hoffnungen hatten und die nun so enttäuscht sind.
„Schade“, murmelt Ovtcharov. 9:4 hatte die deutsche Nummer zwei im zweiten Satz gegen den Weltranglisten-Ersten Ma Long geführt. Dann verlor er sieben Punkte in Serie. Drei Fehler mit der Rückhand. Die Rückhand ist sein Paradeschlag, der im Finale verschwunden ist. „Schade“, wiederholt Ovtacharov.
Die heiße Rolle
Am Sonntagmorgen war die Welt noch in Ordnung. Timo Boll ging nach dem Frühstück zu Birgit Schmidt. Die Physiotherapeutin des deutschen Teams verpasste Boll die „heiße Rolle“. Die „heiße Rolle“ ist Bolls Ritual vor den großen Spielen. Schmidt rollt dabei ein Handtuch eng zusammen, gießt heißes Wasser darauf und lockert mit dieser heißen Rolle die Rückenmuskulatur des deutschen Top-Spielers.
Das Ritual, das vor dem 3:1-Triumph im Halbfinale am Samstag gegen Japan noch Glück gebracht hatte, nutzt im Endspiel nichts. Boll, der als erster Deutscher an den Tisch musste, verschläft den Auftakt. Als er aufwacht, liegt er gegen Zhang Jike bereits mit 0:2 Sätzen zurück
Von der Tribüne erkennt man nicht genau, warum der Einzelweltmeister aus China so viel stärker ist als Boll. Zhang Jike spielt unauffällig, aber erfolgreich. Es erinnert an das Nieseln in einer Frühlingsnacht. Man sieht es nicht, man hört es nicht, und trotzdem ist morgens die Wiese feucht.
Boll gewinnt die Sätze drei und vier, die 11 100 Zuschauer in der ausverkauften Halle wittern eine Chance. Doch es gibt sie nicht. Zhang Jike gewinnt den fünften Satz 11:6, Das 1:0 in der Gesamtwertung für China.
„Ein Geheimnis für ihren Erfolg“
„Die Chinesen haben ein Geheimnis für ihren Erfolg“, sagt Boll später und verrät es auch. „Das Geheimnis ist ihre Schlaghärte. Die ist einen Ticken größer als bei allen anderen Spielern der Welt.“
Von der Tribüne ist dieser Ticken, wie Boll es beschreibt, nicht zu erkennen. „Auf diese Härte kann man sich am Tisch zwar einstellen“, sagt Boll. „Aber bis du das geschafft hast, liegst du meistens schon 0:2 hinten. Und drei Sätze in Folge gewinnst du gegen die starken Chinesen nicht.“
Ovtcharov bekommt diese Härte und Präzision der Chinesen als Nächster zu spüren. Ma Long scheint den Tischtennisball dressiert zu haben wie einen Hund. Er gehorcht ihm jedenfalls in jeder Sekunde. Ovtcharov verliert gegen die Nummer eins der Welt 3:11, 9:11 und 11:13, seine Körpersprache verrät schon im ersten Satz durch das Hochziehen der Schultern: Was soll ich gegen diesen Kerl machen?
2:0 für China.
Patrick Baum, die deutsche Nummer drei, gewinnt danach zwar den ersten Satz gegen Wang Hao mit 11:8. Doch in der Pause hört der Team-Olympiasieger laute Worte seines Trainers. Auf Mandarin? Auf Kantonesisch? Wang Hao versteht auf jeden Fall und siegt 3:1 gegen Baum. Der dritte und letzte Punkt für China zum sechsten Titel bei einer Team-WM in Serie.
Keine Ausreden
Bundestrainer Jörg Roßkopf sucht nicht lange nach irgendwelchen Ausreden: „Respekt vor der Leistung der Chinesen, sie sind der verdiente Weltmeister.“ Ein Satz zum Umarmen, denn Offenheit ist im Profisport nicht immer so leicht zu finden.
Und im Sommer greift das deutsche Team dann wieder an. Bei den Olympischen Spielen in London soll sich das Finale von Dortmund wiederholen. „Wir tun dann auch dort alles, um unsere kleine Chance zu nutzen“, versichert Roßkopf. „Wir haben durch die Niederlage gelernt und werden uns verbessern. Daher ist die Erfahrung Gold wert.“
Vielleicht ja sogar Olympia-Gold.