Melbourne. . Vor zwei Jahren trat Mercedes mit einem eigenen Team in der Formel 1 an – und mit dem deutschen Fahrer-Duo Michael Schumacher/Nico Rosberg. Drei dritte Plätze für Rosberg sind bisher eine bescheidene Ausbeute. In der neuen Saison, die am Sonntag beginnt, soll’s endlich aufwärts gehen.
Die Lokalität scheint mit Bedacht gewählt. „Encore“ heißt das Strand-Restaurant, in dem der Formel-1-Rennstall Mercedes seine Erwartungen für den Saisonstart beim Großen Preis von Australien am Wochenende formuliert. Mit der „Zugabe“ ist das noch so eine Sache für das deutsche Werksteam mit Fabrik in England. Drittes Werksteam-Jahr der Neuzeit, drei dritte Plätze bisher. Der geldwerte Vorteil muss erst dann versteuert werden, wenn aus dem Silberpfeil ein Siegerpfeil wird.
Vorsichtiger Optimismus wabert durch den lichten Raum, die Wolken über der Bucht haben Mercedes-Farben angenommen. Die Testzeiten waren ordentlich, im allgemeinen Sterndeuter-Ranking des Fahrerlagers wird Mercedes auf drei eingestuft, hinter Red Bull und McLaren, vor Ferrari. Das würde dem Stufenplan von Motorsportchef Norbert Haug entsprechen, der einen Sprung von vier auf eins für unmöglich hält. Für ihn beginnt die 20. Formel-1-Saison, und als Außenseiter hat Mercedes schon ein paar Mal in Melbourne die Rennwelt auf den Kopf gestellt. Nötig wäre das, denn noch zwei Jahre mag sicher keiner warten auf den ersten Grand-Prix-Erfolg des von Konzernchef Dieter Zetsche schon 2010 angekündigten „Dream Teams“.
2012 gehen sechs Weltmeister an den Start
Schon gar nicht Michael Schumacher, der muss sich schließlich in absehbarer Zeit entscheiden, ob er doch nochmal zwei Jährchen dranhängt. Das wird der Rekordweltmeister nur tun, wenn die Perspektive stimmt. Provozieren lassen sich vor dem ersten Rennen weder er noch das Team. „Wie wichtig diese Saison für mich ist“, fragt der 43-Jährige zurück in die Runde, „nun, genauso wichtig wie alle Jahre zuvor.“
Dass 2012 sechs Weltmeister im Feld stehen, tangiert Schumacher wenig, er hat Schwierigkeiten, sie auf Anhieb aus dem Kopf zusammenzukriegen. Aber die Einschätzung für die Chancen der anderen gilt genauso für ihn selbst: „Am Ende hängen wir alle vom Auto ab und können nur das schaffen, was uns das Auto erlaubt.“
Sein eigener Plan steht fest: „Wir haben unser Ziel und das ist, Mercedes zum Sieger zu machen. Daran arbeiten wir hart. Und ich will das erreichen.“ Einen Zeitplan für seinen persönlichen Optionsscheinhandel gibt es noch nicht, und Druck hat die Truppe auch so schon genug.
Brawn sieht bessere Ausgangsposition als noch vor einem Jahr
„Ich würde Michael gerne weiter bei uns sehen. Das würde nämlich bedeuten, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, orakelt der Schumi-Vertraute Ross Brawn. Nico Rosberg hat schon längerfristig unterschrieben, für ihn geht es nach 108 Rennen um den ersten Sieg seiner Karriere.
„Versagen ist keine Option“, titelt das Branchenblatt „autosport“ zum Saisonstart, in dem fünf führende Ingenieure, die anderswo schon als technische Direktoren Teams geführt haben, bei Mercedes auf der Lohnliste stehen. Ego-Probleme sieht Boss Brawn nicht, der mit dem „stillen Optimismus“ im Team momentan öffentlich noch zurückhaltend umgehen will. „Vielleicht sind wir für Siege an diesem Wochenende noch nicht gut genug, aber wir haben einen großen Schritt vorwärts gemacht und haben eine deutlich bessere Ausgangsposition als vor zwölf Monaten. Ich glaube, dass aufregende Zeiten vor uns liegen werden.“
Wundersamer Mercedes-Frontflügel wird erwartet
Das neue Rennauto lasse keinen grundlegenden Konstruktionsfehler erkennen, die Grundlage sei richtig und wichtig. Mit Spannung (und eventuellen Protesten) wird die Funktionstüchtigkeit des wundersamen Mercedes-Frontflügels erwartet, der einen F-Schacht genannten Aerodynamik-Schlitz hat.
„Präzise sein und ruhig bleiben“, wiederholt Haug, das sei die einzig richtige Herangehensweise. Laut wird es dann schon von ganz allein. Bisher genießt die Rennabteilung das Wohlwollen der Konzernspitze, für 2012 wurden 50 neue Stellen im Team geschaffen. Die längst fällige Investition in bessere Zeiten. Michael Schumacher schließt die Faust, dreht die Hand, spreizt dabei den Daumen und den kleinen Finger ab – „Hang loose“, der internationale Surfergruss. Bereit für die Erfolgswelle sind sie bei Mercedes.