Ruhpolding. . Die Hauptstadt des Biathlon ist ein 6500-Seelen-Dorf. Ruhpolding, das „Mekka“ des Sports. Es ist eine eindrucksvolle Geschichte. Und noch bemerkenswerter: Der Aufstieg vom beschaulichen Örtchen zum Nabel der Biathlon-Welt trägt einen gemeinsamen Namen – Pichler.
Ohne die Familie Pichler wäre das nicht möglich gewesen. Ohne Hans, den Holzknecht, ohne Claus, den Bürgermeister, ohne Wolfgang, den autodidaktischen Erfolgstrainer. Hans Pichler war ein Pionier. Unermüdlich setzte er sich für Biathlon ein, gab keine Ruhe, bis es endlich grünes Licht für eine Anlage gab. Hinten am Zirnberg. Stunden um Stunden werkelte er kräftig mit. 1972 fand der erste Wettkampf statt. „Zwölf Teilnehmer gab es und einen Zuschauer. Das war ich“, sagt Wolfgang Pichler, der Sohn vom Hans.
Der Wolfi, wie der heute 57-Jährige in seinem Ruapading gerufen wird, war dann 1979 bei der ersten Biathlon-WM in Ruhpolding nicht mehr allein. Ein paar Hundert Zuschauer waren schon gekommen. Vater Hans war der Stadionchef, Sohn Claus, der Oberstufenschüler, übersetzte die Pressetexte ins Englische, und der zweite Sohn Wolfi trug die schwedische Fahne bei der damals noch bescheidenen Eröffnungsfeier. „Ohne den Papa gäbe es das alles hier nicht. Er war ein Visionär“, sagt Claus Pichler.
Ohne den Claus gäbe es aber auch nicht diese WM 2012. Jedenfalls nicht in dieser perfekten Ausführung. Der SPD-Mann ist der Bürgermeister von Ruhpolding und Chef der Organisation. Der 51-Jährige kommt eigentlich aus dem Sommersport. In seiner Jugend war er Deutscher Hochsprung-Meister mit einer Bestleistung von 2,18 m. Mit 2,00 m hält er bis heute den Deutschen Schülerrekord.
„Den Dietmar habe ich meist besiegt“, sagt Claus Pichler, dessen Karriere früh von einer Wirbelverletzung gestoppt wurde. Der Dietmar heißt mit Nachnamen Mögenburg und holte 1984 olympisches Gold in Los Angeles.
Heute ist Claus Pichler der optimale Botschafter seiner Heimat. Wenn man es nicht anders wüsste, könnte man meinen, es liefen Klone von ihm herum. Gerade erst hat er Verteidigungsminister Thomas de Maiziere am Schießstand in die Feinheiten des Biathlons eingeführt und in bestem Oxford-Englisch mit norwegischen Journalisten parliert, da hält er schon im großen Festzelt in breitem Oberbayerisch eine zünftige Rede. Der Pichler Claus hat Charme, Witz und strahlt ehrliche Ursprünglichkeit aus. Ein Mann für die große Politik? Da winkt der Bürgermeister ab, der 2008 mit 64,3 Prozent gewählt wurde: „Mei Partei is Ruapading.“
Während der Claus auf jedem Parkett eine gute Figur abgibt, ist der Wolfi der Mann für die Loipe. Die hohe Diplomatie ist nicht sein Ding. Wolfgang ist ein Kauz mit großem Herz. Er kann so stur wie ein oberbayerischer Ochse und so einfühlsam wie ein guter Beichtvater sein. Wolfgang Pichler ist ein Autodidakt. Auch ohne Sportstudium führte er als Trainer die schwedischen Biathleten aus dem Nichts an die Weltspitze. Magdalena Forsberg machte er zur sechsmaligen Gesamtweltcup-Siegerin und holte 30 Medaillen mit den Schweden bei Olympia und Weltmeisterschaften. Im vergangenen Jahr sorgte Pichler für weltweites Aufsehen, als er als Trainer der Russinnen anheuerte.
Ausgerechnet Russland
Ausgerechnet in der russischen Mannschaft, deren Dopingpraktiken er anprangerte. „Russland. Ich wusste, das wird ein Riesenabenteuer“, sagt Pichler, „ich bin in eine andere Welt vorgestoßen. Normalerweise plätschert das Leben mit 57 so aus. Bei mir ist alles noch mal richtig in Schwung gekommen.“ Pichler trainiert sein Team in Ruhpolding. Seit Oktober wohnen die Russinnen im Zellerhof. Für sie ist es eine Heim-WM.
Und was ist mit dem Doping? Pichler glaubt, dass es unter der neuen Verbandsführung einen Meinungsumschwung gegeben hat. „I woiß, mei Mädels hia san clean“, sagt er, „i kenn die seit 15. Mai. Do woißt scho, ob die bscheißn.“ Und sollte es doch einen Dopingfall geben, dann ist er wieder weg. So steht es in seinem Vertrag, der so hoch wie kein anderer dotiert sein soll, wie es in der Szene heißt. Dann tritt er eben wieder seine Stelle als Zollbeamter an. Für einen Pichler findet sich in Ruhpolding immer was.