Essen. Erst hat Weltmeister Vitali Klitschko angewidert das Gesicht verzogen, jetzt möchte er plötzlich doch einen Rückkampf gegen den Skandalboxer Dereck Chisora. Wie das Geldverdienen im Profiboxen funktioniert.
In der Skandalnacht von München sagte Wladimir Klitschko: „Dieser Mann passt nicht in unser Haus.“
Dieser Mann ist Dereck Chisora, der englische Schwergewichts-Boxer. Und das Haus ist die Welt der Klitschko-Brüder. Was Wladimir meinte: Chisora soll gefälligst abhauen nach England, und einen weiteren Kampf gegen einen Klitschko werde es für den 28-Jährige nicht geben.
Denn: Chisora hatte Vitali Klitschko vor dem WM-Kampf beim Wiegen geohrfeigt, Wladimir vor dem ersten Gong ins Gesicht gespuckt, den Titelkampf gegen Vitali verloren und war danach im Presseraum in eine Schlägerei mit Ex-Weltmeister David Haye verwickelt.
„Ich habe vor ihm als Mensch keinen Respekt“, sagte Vitali und verzog angewidert das Gesicht.
Mittlerweile hat sich die erste Aufregung gelegt, doch die Wut ist geblieben. Der 40-jährige Vitali meinte nun in einem Interview mit „Welt online“: „Mein Verstand sagt mir, dass ich ein Rematch nicht benötige. Aber mein Ego, mein inneres Ich sagt mir deutlich, dieser Mann braucht von mir noch eine Bestrafung. Ich möchte ihn im Ring ausknocken. Diese Rechnung ist noch offen.“
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Es ist genau der Mechanismus, der nach allen Boxskandalen der vergangenen Jahre gegriffen hat. Immer ist zunächst die Empörung riesig, und die Moralwelle schwappt durch die Boxwelt. Sobald sie verebbt ist, geht es im Boxen wieder ums Geldverdienen.
Beispiel Nummer eins: Im Jahr 1997 versuchte Mike Tyson, den Weltmeister Evander Holyfield zu besiegen. Wie schon im Hinkampf verpasste Holyfield dem Ex-Champ einen Kopfstoß, der nicht geahndet wurde. Tyson rastete aus. Er klammerte, damit war er nah genug an Holyfield dran. Dann biss er ihm das rechte Ohrläppchen ab und spuckte es auf den Ringboden.
Die Situation war so absurd, dass es zunächst niemand begriff. Erst in der Zeitlupen-Wiederholung sahen alle, was passiert war. Natürlich lautete die Forderung: lebenslange Sperre für Tyson. Was in Wirklichkeit passierte: Iron-Mike kletterte danach noch zu zehn Profikämpfen in den Ring.
Beispiel Nummer zwei: Dariusz „Tiger“ Michalczewski und Graciano Rocchigiani mochten sich nie. Bei ihrem ersten Kampf im Jahr 1996 auf St. Pauli gab der Ringrichter in der siebten Runde das Trennkommando: „Break!“ Rocchigiani feuerte noch einen Schlag ab, Halbschwergewichts-Weltmeister Michalczewski wälzte sich am Boden. Abbruch! Rocky tobte: „Schweine seid ihr, Betrüger!“
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Vor ihrem zweiten Kampf im Jahre 2000 hockten die beiden Boxer auf einem Podium nebeneinander. „Du bist doch nur ein dummer Pole“, sagte Rocchigiani. Im eigentlichen Kampf war Rocky später chancenlos, aber die Halle war zuvor innerhalb von Stunden ausverkauft gewesen.
Beispiel Nummer drei: Der polnische Schwergewichtler Andrew Golota kämpfte 1996 gegen Ex-Weltmeister Riddick Bowe. Nach wiederholten Tiefschlägen disqualifizierte der Ringrichter den Polen in Runde sieben. Golota verlor der Beherrschung, eine Massenprügelei begann. Stühle flogen, Bowes Trainer Eddie Futch erlitt eine Herzattacke und kam mit Blaulicht ins Krankenhaus. Die New Yorker Polizei räumte den Madison Square Garden, Golota sollte gesperrt werden.
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Fünf Monate später stand er zum Rückkampf gegen Bowe im Ring. Diesmal schlug der Pole in der neunten Runde unter die Gürtellinie. Erneute Disqualifikation. Golotas Lohn: Ein neuer Kampf gegen Weltmeister Lennox Lewis.
Niemand sollte sich also wundern, wenn Dereck Chisora irgendwann noch einmal gegen einen Klitschko im Ring steht. Und für welchen Kampf kann man bis dahin am besten und schnellsten Eintrittskarten verkaufen? Richtig: Chisora gegen Haye. Falls es diesen Kampf tatsächlich geben sollte, sollte man allerdings zur Sicherheit schon am Tag zuvor das Wiegen nicht verpassen...