München. Vitali Klitschko bleibt Schwergewichts-Weltmeister. Der Ukrainer besiegte den englischen Herausforderer Dereck Chisora einstimmig nach Punkten. Das Punkturteil fiel zu hoch zu Klitschkos Gunsten aus - einige Runden mehr hatte der überraschend tapfere Chisora schon gewonnen.

Mit so einem langen Kampfabend hatte in der Münchener Olympiahalle niemand gerechnet. Doch es dauerte bis weit nach Mitternacht, ehe der englische Herausforderer Dereck Chisora einstimmig nach Punkten (118:110, 118:110, 119:111) geschlagen auf seinem Hocker saß und Schwergewichts-Weltmeister (WBC-Version) Vitali Klitschko als alter und neuer Champion feststand. Doch die Endlos-Dauer lag nicht nur am überraschenden Stehvermögen von Chisora, sondern auch an seinen Mätzchen vor dem Kampf.

So ließ der Engländer Vitalis Bruder Wladimir zuerst nicht in seine Umkleidekabine. Wladimir wollte als Sekundant wie allgemein im Boxen üblich das Wickeln der Bandagen kontrollieren, doch die Tür öffnete sich erst nach einem Wortgefecht und einer Viertelstunde. Danach dauerte es noch einmal eine halbe Stunde, bis Chisora überhaupt seine Handschuhe überstreifte. Da er auch noch sein Aufwärmprogramm absolvieren musste, kamen die beiden Kämpfer erst um 23.20 Uhr in den Ring.

Schon am Tag zuvor hatte der Engländer provoziert. Beim Wiegen in einem Münchener Kaufhaus hatte er Vitali Klitschko eine Ohrfeige verpasst. Klitschko blieb eiskalt, hatte sich im Griff und schlug nicht zurück. Doch er kochte, und seine Worte trugen die Abdrücke seiner Zähne. „Ich werde ihn im Ring bestrafen“, sagte der Weltmeister.

Geldstrafe von 50.000 US-Dollar gegen Chisora

Die erste Strafe hatte am Vormittag allerdings bereits der Weltverband WBC ausgesprochen. Eine Jury verhängte wegen der Ohrfeige eine Geldstrafe von 50.000 US-Dollar gegen Chisora. Ungefähr ein Drittel seiner Kampfbörse. Über eine mögliche Sperre wird der britische Box-Verband in den nächsten Tagen noch verhandeln.

Doch auch von dieser Geldstrafe ließ sich der 28-Jährige am Samstagabend in der Olympiahalle nicht beeindrucken. Immer weiter zögerte er seinen Auftritt hinaus. Pfiffe auf den mit 12.000 Zuschauern ausverkauften Rängen. In den Katakomben stand derweil Thomas Pütz, Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer, und versuchte es noch einmal mit einer eindringlichen Mahnung, doch die Betreuer von Chisora lenkten nicht ein. Sie ließen das Regelwerk kommen, und Pütz wurde es zu bunt. „Wir geben Chisora noch eine Viertelstunde“, meinte er. „Dann wird der Kampf abgesagt.“ Die Kosten für alle Schadensersatzforderungen würden in diesem Fall bei Chisora liegen.

Durch diese Forderungen in Millionenhöhe dürfte der Herausforderer dann wohl pleite gewesen sein, und so kam er schließlich doch noch aus seiner Kabinentür und marschierte zum Ring.

Eine Provokation wie aus dem Kindergarten. Zwei Männer im Streit. Hier der Fels, dort der Kiesel.

Chisora hatte getönt, er würde in der Nähe von Vitali Klitschko Angst riechen. Spötter vermuteten: Seine eigene. Falsch, denn Chisora kämpfte mutig. Er schlug von Anfang an mit und zeigte keine Angst vor der Hammer-Rechten des Weltmeisters.

Herausforderer übernahm das Kommando im Ring

Nach drei Runden übernahm der Herausforderer sogar das Kommando im Ring. Klitschko nahm sich eine Kunst-Pause, und Chisora traf. Sein Rezept: Er versuchte es mit rechten Schwingern über die tief hängende linke Führhand des Ukrainers. Oder Rezept Nummer zwei: Er sprang mit seinem Körper nach vorne und versuchte es mit einem linken Haken zum Kinn. Manche dieser Haken flogen vorbei, bei anderen bekam Klitschko den Handschuh rechtzeitig dazwischen.

Am Ende hatte Chisora überrascht. Im Gegensatz zu seinen Mätzchen im Vorfeld zeigte er sich im Ring als tapferer und harter Gegner, der Klitschko oft und hart traf. Das Punkturteil fiel daher zu hoch zu Klitschkos Gunsten aus. Kein krasses Fehlurteil, aber einige Runden mehr hatte Chisora schon gewonnen.

Wie geht es nun weiter mit der Karriere von Vitali Klitschko, der in diesem Jahr 41 Jahre alt wird und im Herbst in seiner Heimat Ukraine bei der Wahl zum Bürgermeister von Kiew antreten wird. Sollte er bei dieser Wahl siegen, werde er seine Box-Karriere beenden, hatte Klitschko bereits angekündigt.

David Haye denkt über eine Rückkehr ins Box-Geschäft nach

Doch auch im Fall eines Wahlsieges wäre vorher noch Zeit für einen Kampf. Am Ring in München saß David Haye. Der Engländer, der nach einer Niederlage gegen Wladimir Klitschko seine Karriere beendet hatte, denkt über eine Rückkehr ins Box-Geschäft nach. „Ich komme nach Deutschland und boxe gegen Vitali“, sagte er. Doch: „Wir haben verhandelt, wir waren uns im Dezember einig, und im Januar wollten sie meine Gage kürzen“, versicherte er. „Das kann ich nicht akzeptieren.“

Bernd Bönte, Manager der Klitschkos, stellt die Verhandlungen anders da. „Wir haben unser Angebot gemacht.“ Zwei Millionen Britische Pfund als Garantiesumme für Chisora sollen laut Bönte in dem Angebots-Paket liegen. Dazu eine Beteiligung an den Einnahmen aus den Pay-Per-View-Übertragungen in England. „Entweder nimmt er das Angebot an oder er lässt es“, so Bönte. „Wenn er will, dann sind wir für den Kampf bereit.“

Und wenn es soweit ist, kommen ja vielleicht beide Boxer auch pünktlich in den Ring…