Es bedurfte keiner großen Fantasie, um sich vorzustellen, dass nach Bekanntwerden des Dramas um den Fußball-Schiedsrichter Babak Rafati reflexartig an Robert Enkes Selbsttötung erinnert werden würde. Obwohl es bisher keinen einzigen Anhaltspunkt für vergleichbare Hintergründe der Verzweiflungstat der beiden gibt, die allein ihr Betätigungsfeld Fußball miteinander verbindet.


Natürlich wäre es naiv zu glauben, das individuelle Schicksal eines Menschen, der in der Öffentlichkeit steht, könne im Medienzeitalter noch als Privatsache behandelt werden. Aber kein noch so nachvollziehbarer Mechanismus darf einen daran hindern, den verantwortungsvollen Umgang mit ganz persönlichen Tragödien anzumahnen. Dieser Hinweis gilt – neben den Medien, versteht sich – explizit auch Theo Zwanziger. Der DFB-Präsident, der für seine einfühlsamen Worte unmittelbar nach dem Tod des früheren Nationaltorwarts Enke noch zu Recht gelobt worden war, scheint sich zunehmend als Teil einer Medien-Inszenierung zu fühlen.

Im aktuellen Fall sagte Zwanziger zunächst das einzige Richtige, dass sich nämlich alle Spekulationen um Rafatis Motive verbieten. Beinahe im gleichen Atemzug befeuerte er jedoch eben diese Mutmaßungen selbst, indem er offenbarte, er könne sich die Ausweglosigkeit des 41-Jährigen „nur so erklären, dass unsere Schiedsrichter einem unheimlich großen Druck ausgesetzt sind“.

Dazu passt, dass in der Sport1-Talkrunde „Doppelpass“, die keinem noch so populistischen Ansatz aus dem Weg zu gehen pflegt, Moderator Jörg Wontorra („Hallihallo, schön, dass Sie da sind“) dem Ernst der Lage nie gerecht wurde. Und als Konsequenz der Vermutung, Rafatis dreimalige Wahl zum schlechtesten Bundesliga-Schiedsrichter könne eine Rolle gespielt haben, die Frage aufwarf, ob man nicht umdenken müsse „aufgrund von inzwischen fast unmenschlichen Drucksituationen von Personen, die im öffentlichen Leben stehen“.

Lässt sich diese Aussage als allgemeine Einschätzung auch unterschreiben – sie im Zusammenhang mit Rafatis Suizidversuch zu stellen, ohne etwas zu wissen, ist nicht nur fahrlässig, sondern auch verantwortungslos. Zum notwendigen Umdenken in unserer Gesellschaft gehört eben, wie gesagt, auch der mediale Umgang mit Schicksalen, die jährlich Tausende von Menschen mit Babak Rafati teilen.

Dass in diesem Zusammenhang ausgerechnet der Dampfplauderer und Meister der Betroffenheitsgestik, Johannes B. Kerner, beim „Doppelpass“ die treffenden Worte fand, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Kerners Empfehlung, an die er sich selbst allzu selten hält: „Einfach mal den Mund halten.“