Daegu. Oscar Pistorius startet bei der Leichtathletik-WM mit Rennhilfen über die 400 m. Viele bewundern ihn dafür. Manche reden von „Techno-Doping“

Oscar Pistorius hat an diesem Nachmittag ein Lächeln, das man hören kann. Kaum zieht der Südafrikaner die Mundwinkel nur einen Hauch nach oben, rattern im Burgund-Saal des Novotels von Daegu fast 100 Fotoapparate. Der Saal liegt in der achten Etage, ein organisatorischer Fehler. Unten am Aufzug gibt es Rangeleien, alle wollen nach oben und hören, was der schnellste Mann der Welt ohne Beine zu sagen hat.

Man hört es aber zunächst nicht. Seine Worte ertrinken im Lärmangriff der Fotoapparate. Dann fällt das Mikrofon aus, dann übersetzt die koreanische Dolmetscherin. Ihre Worte kann man hören, aber nicht verstehen.

Schließlich setzt sich Oscar Pistorius doch durch. Er muss irgendwann in einen großen Zuber mit Willen gefallen sein, anders ist seine Lebensgeschichte gar nicht zu begreifen. Fotoapparate und Dolmetscherinnen müssen für ihn kleine Fische sein. Als er vor 24 Jahren in Johannesburg zur Welt kam, waren seine Füße verkrüppelt, und er hatte durch einen Gendefekt keine Wadenbeine. Die Ärzte amputierten beide Unterschenkel, als Oscar elf Monate alt war.

Heute rennt er die 400 Meter in 45,07 Sekunden, ist damit die Nummer 18 der Weltjahresbestenliste und startet bei der Leichtathletik-WM in Südkorea. Thomas Schneider, der schnellste Deutsche, hat in diesem Jahr eine Bestzeit von 45,60 Sekunden.

Prothese kostet 4000 Euro

Wer Pistorius in Jeans durchs Hotel gehen sieht, vermutet keine Prothesen. Pistorius nennt sie auch nicht mehr so, sondern sagt „ich wechsle meine Beine“, wenn er von der Alltags-Prothese auf die Karbon-Spezialanfertigung umsteigt, 4000 Euro das Stück. Sie heißen „Cheetah“ – Gepard, weil sie geformt sind wie die Hinterläufe der schnellsten Raubkatze der Welt. Für Pistorius ist dieser Wechsel die normalste Sache der Welt. „Als ich ein Kind war, hat mein Bruder seine Schuhe angezogen, ich saß daneben und habe meine Prothesen festgemacht“, sagt er. „Ganz normal.“ Er spielte Wasserball und merkte: „Hey, ich kann auch ohne meine echten Beine schneller rennen als die anderen Kinder.“ Als er 18 wurde, begann er, professionell die 400 Meter zu trainieren. Er gewann vier Goldmedaillen bei den Paralympics und fasste einen Entschluss: „Ich will bei der Weltmeisterschaft und bei Olympia starten.“

Die Probleme hinter diesem Gedanken wurden erst langsam sichtbar, wie früher die Konturen eines Fotos im Entwicklungsbad. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF sagte nämlich „Nein“ und bezog sich auf seine Regel 144, die besagt: Athleten dürfen keine technischen Hilfsmittel benutzen, die ihnen Vorteile gewähren.

Hat ein Mann, der keine Beine hat, tatsächlich Vorteile gegenüber gesunden Sportlern? In seinem Gutachten kommt der Kölner Biomechaniker und Orthopäde Gerd-Peter Brüggemann zu dem Schluss: Ja, Pistorius hat Vorteile durch die Geparden-Federn. Nach einem langsameren Start kann er das Tempo müheloser halten, da über den menschlichen Fuß fast 50 Prozent der Bewegungsenergie verloren gehe. Zudem brauche der Südafrikaner 30 Prozent weniger Sauerstoff und die Fußgelenke könnten auch nicht ermüden.

Der Weltverband lehnte den Start von Pistorius ab.

Doch der zog mit New Yorker Anwälten vor das Schiedsgericht CAS in Lausanne, das Urteil: Pistorius hat die WM-Norm unterboten, er darf in Daegu starten. Damit ist der schnellste Mann der Welt ohne Beine die bislang größte Geschichte der WM. Der Sportartikelhersteller Nike hat Fernsehspots mit ihm gedreht. Michael Johnson, 400-m-Weltrekordler und ebenfalls bei Nike unter Vertrag, ist nach Südkorea gereist, um zu sagen: „Ich halte mich an die Regeln, die erlauben den Start von Oscar, und daher wünsche ich ihm alles Gute!“ Und unter der Last der Kamerateams droht der Aufzug im Novotel zu versagen.

Kritiker verstummen nicht

Die Behinderten-Verbände haben Pistorius zum Vorbild erklärt, doch die Kritiker verstummen nicht. Es ist eine Wertediskussion. Darf man einen behinderten Sportler, der sich in der Welt der Nicht-Behinderten durchgesetzt hat, überhaupt kritisieren? „Zehn Prozent machen das“, sagt Pistorius. Er hat die Zugbrücke zu seinem Herzen hochgezogen. „Ich halte mich an die 90 Prozent, die meine Sache gut finden.“

In Daegu würde er es gerne ins Halbfinale schaffen. Was, wenn er noch erfolgreicher wird? Werden sich gesunde Menschen dann bald Geparden-Federn aus Karbon unterschnallen? Das Wort vom Techno-Doping flattert durch den Burgund-Saal, aber dann muss Pistorius zum Training. Er steht auf, die Fotoapparate rattern wieder, und das Wort geht zunächst einmal im Lärm unter.