London. Als erste deutsche Tennisspielerin seit Steffi Graf hat Sabine Lisicki das Halbfinale in Wimbledon erreicht. Nun trifft sie auf die Weltranglistensechste Maria Scharapowa, die ihre Gegnerinnen bislang bemerkenswert kaltblütig aus dem Weg geräumt hat.
Die G-Frage musste kommen. Sie war unvermeidlich, jetzt da Sabine Lisicki das Halbfinale in Wimbledon (live im DerWesten-Ticker) erreicht hatte, als erste deutsche Tennisspielerin seit Steffi Graf. "Kennen sie Steffi?", wollten die englischen Reporter wissen, denn Tennis, Deutschland, Frauen, Wimbledon - das ist im All England Club auf ewig mit der siebenmaligen Turniersiegerin verbunden. Das mag nerven, ist aber auch eine Form der Anerkennung: Wer in Wimbledon nach Steffi Graf gefragt wird, der ist schon so weit gekommen beim wichtigsten Turnier des Jahres, dass er als mögliche neue Steffi Graf wahrgenommen wird.
Also? "Ja, ich habe sie getroffen", berichtete Sabine Lisicki zur großen Freude der neugierigen Meute. "Ich habe sie und Andre in Las Vegas getroffen. Wir sind zum Abendessen zu ihnen nach Hause gegangen. Sie sind wirklich nette Menschen. Es ist unglaublich zu sehen, was für nette und bodenständige Leute sie sind." Über Tennis sei übrigens nicht gesprochen worden bei diesem Dinner for Three. Und nein, sie habe Steffi Graf nie leibhaftig spielen sehen, daher sei sie früher auch nicht ihre große Heldin gewesen, erklärt Sabine Lisicki. Aber sie weiß: "Es ist einfach unglaublich, was sie getan hat."
Sie selbst hat freilich auch eine spannende Geschichte zu erzählen, und so erfährt nun auch England am Tag vor dem großen Halbfinale ausführlich, was der 21 Jahre alten Deutschen widerfahren ist. Dass sie sich im März 2010 in Indian Wells den Knöchel verletzte. Dass eine falsche Diagnose gestellt wurde und aus sechs Wochen Pause gleich fünf Monate wurden. Dass sie Wimbledon, wo sie 2009 schon mal im Viertelfinale gestanden hatte, daher auslassen musste und darüber todunglücklich war. Dass sie auf der Weltrangliste abstürzte, bis auf Rang 218 im März dieses Jahres. Dass sie nicht für Wimbledon qualifiziert war.
Durchmarsch mit Wildcard
Von den hohen Herren des All England Clubs hat Sabine Lisicki kurz vor Turnierbeginn eine Wildcard, also eine Freikarte für das Hauptfeld bekommen, und elfmal ist eine derart ausgestattete Spielerin bisher ins Halbfinale von Wimbledon gekommen, zuletzt 2008 die Chinesin Zheng Jie. Nur ins Endspiel der All England Championships hat es in 124 Jahren noch keine Wildcard geschafft. So weit will Sabine Lisicki lieber nicht denken. Selbstverständlich, "es war immer ein Traum, da auch hinzukommen", sagt sie, betont aber auch: "Ich muss erst mal mein nächstes Match spielen, darauf freue ich mich."
Das nächste Match, das Halbfinale gegen Maria Scharapowa, "wird schwer", prophezeiht Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner. Scharapowa, Nummer sechs der Weltrangliste, Wimbledonsiegerin 2004, ist für Rittner "die klare Favoritin", zumal im März beim bislang einzigen Aufeinandertreffen in Maimi "Sabine von ihr furchtbar auf den Arsch gekriegt hat." 2:6, 0:6, um genau zu sein. Aber Rittner sagt auch: "Träumen ist erlaubt." Lisicki habe ein "dominantes, erdrückendes Spiel, sie ist eine Rampensau. Wichtig ist, dass sie Scharapowa von Anfang an gleich unter Druck setzt."
Auch Scharapowa kann eine Geschichte erzählen, die damit beginnt, dass ein 17 Jahre junges Mädchen aus Sibirien in Wimbledon gewinnt. Seit diesem Tag ist ihr Leben aber praktisch kein Geheimnis mehr. Scharapowa wohnt in Florida, seit sie sieben Jahre alt ist, ihr Vater finanzierte die Anfänge der Karriere; die Tochter hat mittlerweile 23 Turniere gewonnen, darunter die US Open (2006) und die Australian Open (2008); sie müsste längst nicht mehr Tennis spielen, weil sie so viel Geld aus lebenslangen Werbeverträgen bekommt; sie hat außerdem eine Schulteroperation hinter sich, 2008 war das.
Im Doppel im Viertelfinale
Seit Beginn des Jahres wird Maria Scharapowa vom weitgereisten Schweden Thomas Högstedt trainiert, der auch schon für Nicolas Kiefer oder Tommy Haas tätig war. Es hat der Karriere gutgetan. Ihre bisherigen Matches in Wimbledon gewann die Russin, derzeit liiert mit dem slowenischen Basketball-Profi Sasha Vujecic vom NBA-Klub New Jersey Nets, mit der furchterregenden Kaltblütigkeit eines Serienkillers gewonnen. Und unter dem üblichen Gekreische, versteht sich. Es liegt wohl auch daran, dass das Publikum in Wimbledon in diesen Tagen eher begeistert ist von einer Deutschen - auch wenn sie nicht Steffi Graf heißt.
Im Doppel hat die Berlinerin das Viertelfinale erreicht. An der Seite ihrer australischen Partnerin Samantha Stosur besiegte Lisicki die Rumänin Sorana Cirstea und die Japanerin Ayumi Morita mit 6:4, 6:3. Lisicki und Stosur, die in der ersten Runde die topgesetzte Paarung Vania King/Jaroslawa Schwedowa (USA/Russland) ausgeschaltet hatten, treffen nun auf die an Nummer sechs gesetzten Russinen Nadia Petrowa und Anastasia Radionowa. (sid)