London. . Das Spiel begann wegen eines Unwetter verspätet, aber davon ließ sich Sabine Lisicki nicht abhalten: Nach ihrem Sieg über Marion Bartoli erreicht sie als erste deutsche Spielerin seit zwölf Jahren das Halbfinale in Wimbledon.
Irgendwie kommt einem die Geschichte vor wie die eines kleinen Mädchens, das unter dem Weihnachtsbaum das erste Geschenk öffnet und dann noch eines, noch eines und noch eines findet. Knapp eine Woche nach ihrem großartigen Auftritt beim Sieg gegen die Chinesin Li Na kehrte Sabine Lisicki auf Wimbledons Centre Court zurück, spielte kaum weniger eindrucksvoll und eroberte das Publikum zum zweiten Mal. Mit ihrem Sieg gegen Marion Bartoli (6:4, 6:7, 6:1) landete sie zum ersten Mal im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers, sozusagen in historischer Mission, als erste deutsche Spielerin seit Steffi Graf anno 1999 an gleicher Stelle.
Beim Sieg gegen Li Na hatte Lisicki mit stürmischem Tennis gewonnen, diesmal tobten die Naturgewalten außerhalb des Arena. Wegen eines Regenschauers begann das Spiel mit einer Viertelstunde Verspätung, und dieser Schauer war der Bote eines Unwetters, das die Qualität des rund 100 Millionen Euro teuren und vor zwei Jahren eingeweihten Daches testete. Der Himmel öffnete alle Schleusen, ließ Blitze und Donner niedergehen, und im krachenden Donner waren die Geräusche des Spiels drinnen in der grünen Halle nicht mehr zu hören. Einer der Donnerschläge war so heftig, dass Sabine Lisicki zusammenzuckte – aber das war bis zu jenen drei Matchbällen, die sie gut eine Stunde später vergab, der einzige Moment kleiner Schwäche.
Bartoli nicht mehr in der besten Verfassung
Es war es über weite Strecken des Spiels kaum zu glauben, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich auf dem berühmtesten Tennisplatz der Welt bewegte. Dieser Centre Court, der mal das Wohnzimmer eines nicht ganz unbekannten deutschen Spielers war, könnte, wenn es so weitergeht, Lisickis Garten werden. Die Dynamik ihres Spiels hat sich inzwischen herumgesprochen, aber da Bartoli mit Dynamik allein nicht zu erschüttern ist, probierte sie es mit Variationen. Hier mal ein unkonventioneller Vorhand-Slice, da eine verzögerte Rückhand, schöner Wechsel von kurz cross gespielten und mit Karacho geradeaus geschlagenen Bällen und vor allem immer wieder der Stop. Der Versuch, Bartolis Rhythmus zu brechen, gehörte zum Konzept, und auch wenn sie damit nicht immer den Punkt machte, erreichte sie damit doch das Ziel, denn schon Ende des ersten Satzes pumpte die Französin wie ein Maikäfer.
Nach drei harten Dreisatzspielen in Serie, von denen das längste mehr als drei Stunden gedauert hatte, war sie ohnehin nicht mehr in der besten Verfassung, und den Rest erledigte Lisicki. Am Ende, gab Bartoli hinterher zu, sei sie einfach nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu wehren. „Mein Geist war noch in Ordnung, aber ich konnte mich nicht mehr bewegen.“
Drei Matchbälle vergeben
Für Sabine Lisicki schien alles in bester Ordnung zu sein – bis zu jenem Spiel beim Stand von 5:4 im zweiten Satz, in dem sie zum Sieg aufschlug. Zum ersten und einzigen Mal wirkte sie ein wenig zögerlich, schlug sie nicht konsequent auf, vergab die Matchbälle Nummer eins und zwei und vergab den dritten mit ihrem ersten Doppelfehler im Spiel. Die Frage war, wie sie sich davon erholen würde, aber sie löste die Aufgabe mit der Klasse eines Champions. Sie verlor den Tiebreak. Aber danach übernahm sie wieder das Kommando in der Partie. Und beim vierten Matchball nach zwei Stunden und 20 Minuten machte Lisicki dann den letzten Punkt.
Sie war kaum weniger von Glück überwältigt als nach dem Sieg gegen Li Na, aber nicht ganz so fassungslos. Nach dem Sieg in der Runde zuvor hatte sie gesagt, sie sei selbst erstaunt, wie gelassen sie sei. Und sie ist zuversichtlich, dass sich daran auch vor dem Spiel am Donnerstag gegen Maria Scharapowa nichts ändern wird, die beim 6:1, 6:1 im Viertlefinale gegen Dominika Cibulkova verlässlich gut in Form war.
Jetzt gegen Scharapowa
Sabine Lisicki kann sich nicht erinnern, wo sie war, als die Russin anno 2004 mit 17 völlig überraschend den Titel in Wimbledon gewann. Sie selbst war damals 14; ein ehrgeiziger Teenager mit dem Traum, irgendwann die Nummer eins zu sein. Keiner weiß, ob es dazu jemals kommen wird. Aber ihre Rückkehr unter die besten 25 der Welt nach zwei Jahren und einer Wanderung durch tiefe Täler ist im Moment alles, was zählt.