Dresden. Die Tore von Lauren Cheney und Rachel Buehler sorgen für den 2:0-Sieg der US-Girls. Aber Nordkoreas Nationaltrainer Kwang Min Kim macht einen Blitzeinschlag für die Niederlage verantwortlich - seine Spielerinnen waren davon noch geschwächt.

In Südkorea heulen an jedem ersten Mittwoch des Monats um zwölf Uhr die Sirenen. Die Südkoreaner kennen das und flüchten mäßig eilig in die nächsten Häuser. Das Sirenengeheul ist Training, Training für einen möglichen Raketenangriff des feindlichen Nachbarn Nordkorea. Und dann passiert am Dienstagabend in Dresden ausgerechnet so etwas: Der orange lackierte WM-Bus der Nordkoreanerinnen fährt am Stadion vor, und die Spielerinnen steigen lächelnd aus. Dabei hat den Bus ein südkoreanischer Autohersteller gebaut.

Kim spricht in Rätseln

Im Kabinengang wartet bereits der nächste Klassenfeind: die USA. Die Spielerinnen begrüßen sich per Handschlag. US-Botschafter Philip D. Murphy hat gesagt: „Wir unterhalten keine diplomatischen Beziehungen, aber diese Auseinandersetzung wird auf dem Rasen ausgetragen, nicht auf den Rängen.“ Die Spielerinnen aus Nordkorea sagen nichts. Auch nach der 0:2 (0:0)-Niederlage gegen die USA durch Tore von Lauren Cheney (54.) und Rachel Buehler (76.) schweigen sie. Reden ist in Nordkorea, einer der hermetisch abgeschlossendsten Gesellschaften dieses Planeten, unerwünscht.

Trainer Kwang Min Kim gefällt sich sogar in der Rolle des Geheimnisvollen. Auf seinem schwarzen Jackett hat er einen kleinen Fleck am Kragen. Kommt man ihm etwas näher, sieht man: Der Fleck ist eine Anstecknadel mit dem Bild von Kim Jong-Il. Der Diktatur lässt sich in der Heimat „Geliebter Führer“ nennen und hat seinem totalitären Regime den Namen „Demokratisch“ gegeben.

Dank der Anstecknadel ist Kim Jong-Il fast hautnah in Dresden dabei, als Trainer Kim nach der Niederlage in Rätseln spricht. Angeblich seien mehrere seiner Spielerinnen in der Heimat am 6. Juni bei einem Spiel von einem Blitzschlag getroffen worden, daher seien sie jetzt noch nicht wieder so fit, wie es für eine WM nötig sei. Blitzschlag?

Fleißig, laufstark aber ohne Torgefahr

Wie auch immer: Der winzige Kim Jong-Il am Revers muss miterleben, wie an diesem Sommerabend eins der Geheimnisse seines Landes entblättert wird. Nämlich das, wie die Nordkoreanerinnen Fußball spielen. Niemand wusste es genau, denn bei einem letzten WM-Test ließ Trainer Kim vor dem abgesperrten Stadion sogar die Neugierigen aus den Bäumen holen. Zudem verordnete er seinen Spielerinnen Trikots ohne Rückennummern. Nie war das Wort „Geheimfavorit“ treffender.

In ihrem ersten Spiel dieser WM konnten die Frauen in Rot die Wahrheit allerdings nicht mehr verstecken. Heraus kam: Wären die Nordkoreanerinnen Fußballer, dann wären sie nicht Lionel Messi, dann wären sie Carsten Ramelow. Fleißig, laufstark, aber nicht torgefährlich. Sieben Spielerinnen der Startformation spielen für die „Sportgruppe 25. April“, an diesem Tag wurde im Jahr 1932 in Nordkorea die Volksarmee gegründet. Die Sportgruppe 25 ist eine Militärmannschaft, ein Kollektiv.

In Dresden erzielte das Kollektiv zwar keinen Treffer, aber es leistete sich eine Extravaganz: Das Team hat eine eigene Köchin dabei, die in der Hauptsache Reis auf den Tisch bringt. Markus Han sagt: „Die Spielerinnen sind mit dem Essen sehr zufrieden.“ Han ist Kölner, seine Familie stammt aus Südkorea, und er betreut die Nordkoreanerinnen auf ihrer Tour durch Deutschland. Er hält sich an die Medienpolitik und verrät nicht viel.

Keine Dresden-Stadtrundfahrt

Dabei war Theo Zwanziger vor einigen Wochen in Pjöngjang, der Hauptstadt. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes glaubt, dass Fußball Türen öffnen könne, und er schloss einen Deal: Der DFB zahlte ein zweiwöchiges Trainingslager vor der Weltmeisterschaft, dafür müsse sich das Team aus Nordkorea im Gegenzug ein wenig öffnen. Gab es eine Entwicklung? Natürlich nicht. Ändert ein Leopard seine Flecken?

Die Tür von Nordkorea klemmt. Trainer Kim verbot seinen Spielerinnen vor dem USA-Spiel sogar die Stadtrundfahrt in Dresden und sagte den Besuch zum Eintrag ins Goldene Buch der Stadt ab. Begründung: „Die Spielerinnen haben das nicht verdient.“

Dann ist der Abend in Dresden vorbei, die Spielerinnen sitzen nach der Niederlage wieder im orange lackierten Bus und schweigen. Nur Trainer Kim, der ganz vorne sitzt, hat seine eigenen Regeln, er darf alles. Wie man durch die Scheiben sieht, darf er sogar während der Fahrt mit dem Busfahrer reden.