Berlin. .
Seit ein paar Wochen gibt es im deutschen Frauen-Nationalteam ein neues Ritual. Die letzte Ansprache vor einem Spiel hält nicht mehr Trainerin Silvia Neid, sondern eine Spielerin. Das hat sich Neid bei Jürgen Klinsmann abgeschaut, der damit 2006 bei der WM im eigenen Land seine Elf überraschte. Nun ist es nicht so, als würde Neid es dem Zufall überlassen, wer im Kabinenkreis den Ton angeben darf. Sie wählt aus vier, fünf Spielerinnen, und vor dem WM-Auftaktspiel gegen Kanada hat sie so schlecht nicht gelegen: Ariane Hingst heizte die Stimmung noch einmal an, Deutschland gewann 2:1 (2:0), und wenn auch noch nicht das ganze Spiel das Gelbe vom Ei war: Das Ergebnis ist ein Start nach Maß.
Ein bisschen darf sich die Bundestrainerin ruhig selber auf die Schulter klopfen. Zwei Personalentscheidungen waren mit größerer Spannung erwartet worden, eine dritte aber schrieb die Geschichte des Spiels. Dass Melanie Behringer auf der linken Mittelfeldseite für Lira Bajramaj spielen würde, hatte sich während der Vorbereitung angedeutet. Bajramaj ist das Glamour-Girl des deutschen Teams, doch auf dem Platz wirkte Bajramaj zuletzt arg überspielt.
Auch über die Position von Birgit Prinz war viel spekuliert worden. Neid hielt wenig überraschend an ihrer langjährigen Spielführerin fest. Dass hingegen die Duisburgerin Inka Grings auf die Bank musste und Celia Okoyino da Mbabi für sie begann, kam schon unerwartet – auch wenn Grings in den Testspielen nicht so oft getroffen hatte wie da Mbabi. Die letzten Trainingseindrücke, erklärte Neid, hätten entschieden: „Es geht eben rein nach dem Leistungsprinzip bei uns.“ Bitter blieb’s für Grings trotzdem: Bei der WM 1999 hat sie kaum gespielt, 2003 war sie verletzt, 2007 saß sie wegen eines Streits mit Neid vor dem Fernseher. Und nun, beim letzten großen Anlauf der 32-Jährigen, zum Auftakt die Bank.
Aber, wer denkt schon an Grings, wenn das Spiel läuft und Celia Okoyino da Mbabi sich zu einer seiner bestimmenden Figuren aufschwingt. Heute wird die Offensivspielerin 23 Jahre alt, es wird mittags einen Kuchen und ein Ständchen für sie geben. Man könnte auch das Vertrauen, das Silvia Neid ihr entgegen gebracht hat, als vorgezogenes Geschenk betrachten. „Ich hätte auch im Tor gespielt“, sagte da Mbabi bescheiden, aber im Sturm war sie dann doch wertvoller: Mitten in eine kurze Drangperiode der Kanadierinnen hinein hatte Kerstin Garefrekes die Angreiferin von der Mittellinie auf die Reise geschickt, Kanadas Abwehrspielerin Marie-Eve Nault hob dabei sträflich ungeschickt das Abseits auf – und da Mbabi erzielte abgeklärt mit einem Flachschuss das 2:0 für Deutschland.
Das war eine von drei Schlüsselszenen vor der Pause. Die anderen bestimmten früh die Richtung des Spiels. Kanadas Starstürmerin Christine Sinclair versagten nach sechs Minuten frei vor Nadine Angerer die Nerven, sie drosch den Ball frei stehend über den Kasten. Vier Minuten später köpfte Garefrekes nach einer schönen Flanke von Melanie Behringer das 1:0, Kanadas Torfrau Erin McLeod sah dabei nicht gut aus. Es waren die vier Minuten, in denen die Partie vielleicht hätte anderes laufen können.
So aber spielte es sich mit dem 2:0 zur Pause leichter. Alexandra Popp kam für Birgit Prinz, das wird man wohl öfter sehen in diesem Turnier, es ist der scheibchenweise Generationenwechsel, der mit dem Rücktritt von Prinz nach der WM amtlich wird. Was fehlte, war das dritte Tor: Popp traf die Oberkante, Simone Laudehr die Unterkante der Latte, Kerstin Garefrekes semmelte aus drei Metern drüber. Kanada hatte keine Chance mehr, bis Star-Stürmerin Christine Sinclair, die mit gebrochener Nase tapfer durchhielt, rund zehn Minuten vor dem Abpfiff einen Freistoß klasse im Eck versenkte.
Das Gezitter danach hätte sich Silvia Neid gerne erspart, aber unter dem Strich war’s das perfekte Ergebnis: Es bietet Anlass, um Kritik zu üben, es hebt Deutschland nicht turmhoch in den Himmel. Wichtiger aber: Es bringt drei Punkte.