Monte Carlo. Wie die Tour-Organisatoren dem umstrittenen Rückkehrer Lance Armstrong den roten Teppich ausrollen - ein gutes Geschäft für beide Seiten.
Ein Krebspatient liegt auf dem OP-Tisch, ein anderer dreht sich in einer Computer-Tomographieröhre, ein dritter lernt nach einer Beinamputation wieder gehen. Alles in Schwarz-Weiß. Im Hintergrund klimpert sentimentale Klaviermusik. Dazwischen sieht man, wie Lance Armstrong in Gelb als einziger Farbtupfer des neuen Nike-Werbespots auf leeren Straßen durch die frische Morgenluft radelt. „Die Kritiker nennen mich arrogant, einen Doper, ausgebrannt“, spricht der Meister selbst aus dem OFF. „Sie können sagen, was sie wollen. Ich fahre nicht für sie.“
Armstrong ist auf Attacke eingestellt, schon bevor die Tour de France begonnen hat. Seit er im September letzten Jahres sein Comeback bekanntgab, wird an seinen Motiven gezweifelt: Dass er nur die Tour fahre, um für seine Anti-Krebs-Kampagne zu werben, mochte ihm niemand abnehmen. Armstrong sagte den Skeptikern jedoch von Anfang an „to fuck off“ – sich zu verpissen, wie er es im Interview mit dem US Sportmagazin Outside drastisch formulierte. Jetzt zum Tour-Start streckt er ihnen noch einmal nachdrücklich den ausgestreckten Mittelfinger hin.
Verdeckte Motive
Eines der verdeckten Motive, das man Armstrong für sein Comeback unterstellte, war, dass die Meinung des europäischen Publikums und sein Ansehen in der Radsportwelt ihn „weit mehr interessieren, als er das zugeben will“, wie der britische Journalist David Walsh, einer der härtesten Kritiker von Armstrong, sagt.
Wenn Walsh Recht hat, hat Armstrong mit seiner Fuck- you-Geste dieses Ziel schon wieder aufgegeben. Vielleicht muss Armstrong aber auch nur so laut sagen, dass ihm die Skeptiker egal sind, um sich selbst davon zu überzeugen.
Nach ein paar Monaten zurück im Sattel hat er gemerkt, dass er durch nichts, was er auf dem Rad tut, das Jahr 1999 zurückholen kann, als die ganze Welt dem Krebsüberlebenden mit seiner wunderbaren Auferstehungsgeschichte zu Füßen lag und man ihn als Retter des Radsports feierte. Mittlerweile sieht man ihn eher als dessen Totengräber, und daran würde auch der unwahrscheinliche Fall eines achten Tour-Sieges nichts ändern.
Wenn man von der persönlichen Kränkung einmal absieht, können die Stimmen der Skeptiker Armstrong allerdings gleichgültig sein. Den handfesten Geschäftsinteressen, die das Großunternehmen Armstrong mit dem Comeback verfolgt, vermögen die Nörgeleien der Miesepeter kaum etwas anzuhaben. Die sitzen nämlich fast ausschließlich in Europa – Armstrongs Business baut jedoch fast ausschließlich auf den deutlich freundlicheren US Markt.
Der Wert der Marke
Armstrongs Biograph Dan Coyle hatte schon am Tag der Comeback-Ankündigung gesagt, dass Armstrong vor allem auch wieder fahre, um den Wert seiner „Marke“ zu steigern. Die war zuletzt in Mitleidenschaft gezogen worden, weil der letzte Tour-Sieg langsam in Vergessenheit geriet, die Klatschgeschichten über seine Affären in der öffentlichen Wahrnehmung in den Vordergrund traten und selbst in den USA immer mehr über Doping gesprochen wurde. Das Marketingtalent Armstrong spürte, dass etwas geschehen musste. Was er letztlich mit seiner Marke anstellen möchte, ob er tatsächlich, wie viele spekulieren, in die Politik geht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Erst einmal geht es nur darum, sich neu in Stellung zu bringen.
Das ist ihm bereits gelungen. Bei jeder Gelegenheit trägt Armstrong öffentlichkeitswirksam das Trikot seines Unternehmens Livestrong. Livestrong fördert die Krebsforschung, verkauft aber auch die Armstrong-Philosophie des intensiven Lebensstils sowie die ur-amerikanische Ideologie, dass jeder jede Hürde überwinden kann.Mehr als 260 Millionen Euro hat Livestrong seit der Gründung schon eingespielt.
Doch Livestrong ist nur ein Teil des Imperiums, das ausschließlich an der Person Lance Armstrong hängt und das Walsh in seinem neuen Armstrong-Buch „Le Sale Tour“ („Die schmutzige Tour”) im Detail beschreibt. Dort dokumentiert Walsh auch, wie willig die Tour für Armstrong den Steigbügelhalter gibt und warum. Zum einen geschah das laut Walsh um der Publicity willen, die Armstrong zwangsläufig verursacht, gleich ob positiv oder negativ. Zu dem Schulterschluss führten jedoch auch höhere Interessen: Die Tour weichte in diesem Jahr ihre Anti-Dopinghaltung auf und versöhnte sich mit dem vorher als zu nachlässig befundenen Radsportverband UCI, weil die Tour-Organisationsgesellschaft ASO Vermarktungsinteressen an den Olympischen Spielen hat. Dazu musste man sich mit dem IOC gut stellen, wo wiederum der ehemalige Radsportchef Hein Verbruggen eine mächtige Rolle spielt.
Armstrong ist das alles nur allzu recht. Er wird in den kommenden drei Wochen im Rampenlicht stehen, ganz gleich ob er gewinnt oder 100ter wird.