Doha.
Andreas Bleicher kam von der Sporthochschule Köln nach Katar und leitet hier als Sportdirektor die Akademie Aspire. Im Interview spricht der 45-Jährige über das Projekt „Football Dreams“ und die WM-Vergabe.
Neben dem Schreibtisch von Andreas Bleicher hängen Vereins-Wimpel aus aller Welt. Mittendrin, friedlich nebeneinander: Der Wimpel vom 1. FC Köln und der Wimpel von Bayer Leverkusen, die erbitterten Rivalen vom Rhein. Der 45-Jährige lächelt. „Kann ich mir erlauben“, sagt er. „Ich habe zwar noch ein Haus in Köln, aber eigentlich bin ich ja Schwabe.“ Vor sieben Jahren ist er über eine Headhunter-Firma von der Sporthochschule Köln nach Katar gekommen und leitet seitdem als Sportdirektor die Akademie Aspire. 400 Angestellte aus 60 Ländern, darunter 45 Fußball-Trainer. Bei Aspire trainieren Talente aus allen Sportarten, aber Fußball ist die Nummer eins. Zumal Katar seit der vergangenen Woche feststeht als Ausrichter der Fußball-WM 2022.
War die Wahl Katars für Sie auch so eine Überraschung wie für Deutschland und den Rest der Welt?
Andreas Bleicher: Eigentlich nicht, es gab im Vorfeld gewisse Signale, dass es klappen könnte.
Arbeiten Sie deshalb schon seit Jahren an der Verbesserung der Nationalmannschaft Katars?
Bleicher: Das war damals nicht abzusehen, denn wir haben mit unserem Projekt „Football Dreams“ schließlich schon im Jahr 2007 begonnen.
Wie funktioniert das Projekt?
Bleicher: Wir haben in Afrika begonnen und es mittlerweile auf Asien und Lateinamerika ausgedehnt. In Ländern wie Nigeria, Mali, Kamerun, Senegal, Thailand, Vietnam oder Guatemala nehmen unsere 6500 Scouts jeweils einen kompletten Jahrgang der Nachwuchsfußballer unter die Lupe. In diesem Jahr zum Beispiel den Jahrgang 1997. Es gibt Ausscheidungswettbewerbe, in denen die Spieler zeigen, was sie können. Die besten 50 aus allen Ländern kommen im Januar für drei Wochen nach Katar.
Zur Belohnung?
Bleicher: Nein, dann gibt es das Finale. Wir testen weiter und entscheiden uns am Ende für drei Spieler, die in Katar bleiben können. Sie wohnen bei uns im Internat, gehen zur Schule, erhalten beste Trainingsbedingungen und bekommen Geld, um ihre Familie in der Heimat zu unterstützen.
Sie klauen also den Entwicklungsländern die Talente?
Bleicher: Wir klauen überhaupt nichts. Im Gegenteil, wir helfen den Ländern, indem wir die Talente finden. Wir geben den jeweiligen Verbänden die Liste mit den Namen der besten Spieler ihres Landes. Die drei Spieler jeden Jahres, die bei uns bleiben, kehren nach der Ausbildung zurück. Bisher sind 60 Stipendiaten nach Doha gekommen, 30 davon spielen bereits für die unterschiedlichsten Nationalmannschaften in Afrika.
Sehen die Nationen ihr Projekt auch so positiv?
Bleicher: Absolut. Bei mir auf dem Schreibtisch stapeln sich Briefe aus vielen weiteren Ländern, die auch ins Projekt aufgenommen werden möchten. Aber wir sind an der Grenze unserer Kapazität angelangt.
Drei ausgewählte Spieler pro Jahr sind aber nicht viel.
Bleicher: Richtig, es bleiben leider viele Talente zurück. Deshalb haben wir auch im Senegal eine Fußball-Schule eröffnet, die weitere 18 ausgesuchte Spieler pro Jahr aufnimmt.
Aber was hat Katar davon?
Bleicher: Wir können von den Besten lernen. Bei Aspire spielen die besten Jugendlichen ihres Jahrgangs unseres Landes. Aber wenn sie nur unter sich spielen würden, glauben sie schnell: Mensch, bin ich gut. Wenn sie dann merken, dass es in anderen Ländern Fußballer gibt, die besser sind, kann das bei der Entwicklung nur nützen.
Registrieren Sie schon Fortschritte?
Bleicher: Absolut, es geht nicht von heute auf morgen, aber in den Nachwuchsmannschaften merkt man es deutlich. Aus einem Polo kann man nicht über Nacht einen Ferrari machen, aber uns haut keine Mannschaft mehr weg. Nehmen wir zum Beispiel unsere U-16-Mannschaft. Die hat 4:0 und 3:1 gegen den FC Liverpool gewonnen.
Haben Sie schon Spieler in die Qatar Stars League gebracht, die Profi-Liga des Emirates?
Bleicher: Es geht gerade los, die ersten Jahrgänge sind soweit, aber es ist natürlich schwierig, sich im jungen Alter in einer Profi-Liga durchzusetzen. Doch es wird vielen gelingen. Dieses ist der erste Schritt, das Durchsetzen in unserer Liga und die Verbesserung des Niveaus. Der zweite Schritt ist dann, aus der Liga heraus de Sprung in die europäischen Ligen zu schaffen, dort zu lernen, und damit die Qualität der Nationalmannschaft langfristig zu verbessern.
Das dauert viele Jahre, gibt es Finanzierungssorgen?
Bleicher: Die Herrscherfamilie von Katar steht hinter Aspire, da mache ich mir keine Sorgen.
Werden Sie die WM 2022 noch als Sportdirektor in Katar erleben?
Bleicher: Das weiß ich nicht, ich will arbeiten, solange ich Spaß daran habe. Aber ich werde ganz sicher bei der WM in Katar sein. Ob als Sportdirektor oder als Zuschauer, ich werde dabei sein.
Ist Katar nicht überfordert mit der Ausrichtung einer WM?
Bleicher: Katar kann jetzt noch keine WM ausrichten, aber im Jahr 2022 wird Katar das können, ganz sicher. Und es freut mich ungeheuer, dass das Land die Chance gekriegt hat. Es geht doch nicht nur um den Sport dabei. Es geht doch auch um Völkerverständigung. Das ist doch die eigentliche Chance dieser WM in Katar: Verschiedene Kulturen begegnen sich und wenn es gelingt, die Vorurteile abzubauen, dann hat es sich doch absolut gelohnt.