Frankfurt. Acht Spiele unter Bundestrainer Hansi Flick - und jedes Mal stand Thilo Kehrer in der Startelf der Nationalmannschaft. Das hat Gründe.
Mit einem Mal geht die Tür noch einmal auf und der Bundestrainer erscheint zum zweiten Mal an diesem Tag. Dabei hat Hansi Flick doch gerade erst auf dem Podium im Hotel Kempinski im Süden Frankfurts gesessen, er hat über das Testspiel in Amsterdam gegen die Niederlande am Dienstagabend (20.45 Uhr/ARD) referiert. Aber eine Frage ist ja ungeklärt geblieben: Während der Pressekonferenz nämlich hatte Joshua Kimmich angerufen, und sehr zum Verdruss der Journalisten hatte der Bundestrainer ihn weggedrückt. Und deswegen steckt Flick nun noch einmal kurz den Kopf in den Presseraum. „Ihr müsst euch keine Gedanken machen, es ist noch alles ruhig“, sagt er grinsend.
Thilo Kehrer - die erstaunlichste Personalie in der Ära Flick
Soll heißen: Das Kind, auf das Kimmich und seine langjährige Freundin warten, ist noch immer nicht da. Und deshalb wird der Mittelfeldspieler nicht anreisen. „Ich habe ihm gesagt, dass er zu Hause bleiben soll“, erklärt Flick wenig später im ARD-Interview. „Er ist natürlich gespalten, er wäre gerne hier. Aber hier hätte er keine ruhige Sekunde gehabt. Fußball ist gerade auch in diesen Zeiten Nebensache, die Familie und die Geburt des eigenen Kindes sind viel wichtiger.“
Kimmich spielt also nicht – dafür wahrscheinlich wieder der Mann, der nach Flick auf dem Podium Platz nimmt: Thilo Kehrer. Der Abwehrspieler von Paris Saint-Germain ist die erstaunlichste Personalie der noch kurzen Ära Flick: Als einziger hat er alle acht Spiele unter dem neuen Bundestrainer bestritten. Mehr noch: Er stand stets in der Startelf. Nicht Kimmich, nicht Thomas Müller, nicht Manuel Neuer – Kehrer spielt immer.
Dank seiner Vielseitigkeit ist Thilo Kehrer eine feste Größe
Das erstaunt, zumal der 25-Jährige in Paris zwar regelmäßig spielt, aber nicht zum unumstrittenen Stammpersonal gehört. „Als Trainer kann man nie so vorausplanen, wie man es gerne würde“, sagt Flick. „Deswegen ist es umso wichtiger, dass man Spieler hat, die auf mehreren Positionen spielen können.“ Kehrer ist das Schweizer Taschenmesser unter den deutschen Abwehrspielern, er hat schon rechts, links und im Zentrum verteidigt. Bei seinem ersten Profiklub Schalke 04 lief er auch mal im defensiven Mittelfeld auf, beim früheren PSG-Trainer Thomas Tuchel sogar als Rechtsaußen. „Thilo ist eine der positiven Überraschungen“, sagt Flick. „Er hat sich festgebissen und hat mit der Art und Weise, wie er hier auftritt, viele Pluspunkte gesammelt.“
Und deswegen winkt nun auch gegen die Niederlande ein Startelf-Einsatz – zur ersten richtigen Nagelprobe für Kehrer, der gegen Israel solide gespielt, aber nicht geglänzt hatte. Das lag zum einen an der Aufgabenverteilung: Kehrer sollte vor allem seine rechte Seite absichern, während links David Raum für die offensiven Vorstöße zuständig war. Und doch: „Er war heute nicht ganz auf dem Niveau, wie ich mir das vorstelle“, tadelte Flick.
Die Niederlande sind die erste richtige Nagelprobe für Flick
Gegen die Niederlande gibt es nun aller Voraussicht nach eine neue Bewährungschance – und die erste richtige Nagelprobe der Ära Flick, nachdem es bislang nur gegen Mannschaften von eher niedriger Gewichtsklasse ging. „Das wird bestimmt ein anderes Spiel als gegen Israel“, sagt Kehrer, der als Redner eben nicht so variabel einsetzbar ist wie als Spieler. Das ist dann eben Aufgabe seines Vorgesetzten. „Wir gehen in jedes Spiel rein, um es zu gewinnen“, kündigt der Bundestrainer selbstbewusst an. Aber leicht wird das nicht: „Die Niederlande können sehr gut Fußball spielen, haben Topspieler in der Defensive, im Mittelfeld und im Sturm“, meint Flick. „Sie haben eine enorm hohe Qualität, das wird ein richtig guter Gradmesser – aber auch wir sind gut besetzt.“
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Und deswegen soll seine Mannschaft auch dieses Spiel aktiv gestalten. „Wir wollen sie unter Druck setzen, sie zu Fehlern zu zwingen und unser eigenes Spiel aufziehen“, fordert Flick. „Ich möchte gewinnen, denn jeder Sieg gibt uns noch mehr Vertrauen in die eigene Stärke – und das brauchen wir.“ Und deswegen kehrt auch der eine oder andere Platzhirsch in die Startelf zurück: Kapitän Manuel Neuer wird das Tor hüten, Antonio Rüdiger die Abwehr anführen. Thilo Kehrer aber wird seinen Platz wohl behalten – unter Flick ist er inzwischen selbst ein Platzhirsch.