Sinsheim. Beim 2:0 gegen Israel durfte der Nationalspieler von Beginn an spielen. Bei seinem Klub PSG ist er nur ein hochbezahlter Bankdrücker.
Es lief nicht alles rund an diesem Abend in Sinsheim. Der 2:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Israel war zwar nie wirklich in Gefahr – danach aber streikte die Technik: Von der Pressekonferenz, in Corona-Zeiten eine rein digitale Veranstaltung, bekamen die Journalisten kein Bild zu sehen, die kritischen Worte aus den Stadionkatakomben wurden nur akustisch übermittelt. „Die Situation im Verein ist nicht einfach“, klang es aus den Lautsprechern, als die Rede auf Julian Draxler kam. Der brauche dringend mehr Rhythmus und deutlich mehr Spielpraxis, um bei der Weltmeisterschaft zum Jahresende eine Rolle zu spielen.
Es war eine deutliche Ansage, aber Julian Draxler dürfte sie dem Experten, der sie sprach, nicht übelgenommen haben. Denn der Experte war auch ohne Bildübertragung zweifelsfrei erkennbar als: Julian Draxler. Der 28-jährige Offensivspieler hatte eine der Geschichten rund um dieses erste Testspiel des WM-Jahres gegeben. Schon seine Nominierung war umstritten, weil der frühere Schalker bei Paris Saint-Germain nur noch hochbezahlter Bankdrücker ist, der den Superstars Neymar, Lionel Messi und Kylian Mbappé beim Zaubern zusieht.
Ex-Schalker Julian Draxler: "Ich muss mehr spielen"
Nun hatte er gegen Israel sogar in der Startelf gestanden und wie die meisten Kollegen ein diffuses Bild hinterlassen. Einerseits deutete er an, dass man ihn durchaus gebrauchen kann auf dem rechten Flügel, weil er gegen den tiefstehenden Gegner die eine oder andere brauchbare Idee hatte. Technik und Tempo bringt Draxler ohnehin im Übermaß mit – aber eben keine Spielpraxis, auch das war ihm anzusehen.
Und wer im Winter nicht fit und im Rhythmus ist, fliegt auch nicht mit zur WM – das hatte Bundestrainer Hansi Flick seinen Spielern in seiner ersten Ansprache zum Beginn der Trainingswoche unmissverständlich klargemacht. Draxler hatte sich angesprochen gefühlt, und deswegen sprach er Worte, die klar erkennen ließen, dass er über einen Tapetenwechsel im Sommer nachdenkt: „Man wird sehen, was passiert“, meinte er. „Ich muss mehr spielen als in dieser Saison.“
Auch Timo Werner spielt bei Chelsea kaum
So klar wollte Flick das nicht sagen, er sei „weit davon entfernt, dass ich Spielern Ratschläge zu Vereinswechseln gebe“. Aber die Situation im Klub sei nicht einfach für Draxler – und ebenso wenig für Timo Werner, der beim FC Chelsea kaum spielt, nun aber einen Treffer zum 2:0 beisteuerte (45.+1). Das 1:0 hatte Kai Havertz gemacht (36.), der in Chelsea meist Werners Lieblingsposition im Sturmzentrum besetzt. Für Werner wie für Draxler sollte der Abend in Sinsheim nun einerseits therapeutische Wirkung entfalten, andererseits die Chance sein, ihr Können mal für mehr als nur ein paar Minuten vorzuführen. „Es ist wichtig, dass sie ihre Leistung bringen, wenn sie hier spielen“, sagte Flick. „Und das war ein erster guter Schritt.“
Der Bundestrainer war milde gestimmt nach diesem wenig mitreißenden Spiel, statt der Unzulänglichkeiten betonte er lieber, was schon geklappt hatte: „Die Mannschaft hat versucht, den Gegner immer wieder unter Druck zu setzen und hat das gut gemacht“, urteilte er. „Wir haben hoch gepresst und uns gute Chancen herausgespielt. Nur die Effizienz hat heute gefehlt, da haben wir Luft nach oben.“ Thomas Müller etwa setzte einen Elfmeter an den Pfosten (89.) – aber auch Israel vergab in Person von Yonatan Cohen in der Nachspielzeit noch einen Strafstoß.
Wie stark ist die Nationalmannschaft wirklich?
Ein Gegentor mit der einzigen ernsthaften Torchance – das hätte Flicks Laune schon getrübt. So konnte er sich darüber freuen, dass seine Mannschaft den Gegner mit zwei Standardsituationen geknackt hatte. Sein Vorgänger Joachim Löw hatte den ruhenden Ball über weite Teile seiner Amtszeit als Waffe der kleinen, spielschwachen Mannschaften verachtet und entsprechend ignoriert. Flick ist da pragmatischer, hat im Sommer sogar den Standardtrainer Mads Buttgereit mit zum DFB gebracht. „Dabei haben wir uns schon was gedacht“, freute er sich nun nach dem sechsten Standardtor im achten Spiel – und dem achten Sieg – seiner Amtszeit.
Aber was sind die Zahlen wert? Israel, auf Rang 77 der Weltrangliste platziert, war ja nur ein besserer Sparringspartner. Bemüht zwar, aber fußballerisch zweitklassig – und damit auf dem Niveau der bisherigen Gegner Armenien, Nordmazedonien, Island oder Liechtenstein. Nach acht Spielen unter Flick kann noch niemand sagen, wo diese Mannschaft wirklich steht, ob der von den Spielern als Ziel ausgerufene WM-Titel tatsächlich realistisch ist. Nähere Erkenntnisse dürfte erst die Partie in Amsterdam gegen die Niederlande am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) bringen.
Julian Weigl zeigt sich als solide Alternative
Zumindest aber weiß Flick nun, dass seine Mannschaft einen unterlegenen, tiefstehenden Gegner jederzeit seriös bespielen kann. Und er hat auch diese Partie genutzt, um sich Alternativen in seiner Auswahl zu schaffen. Julian Weigl, nach fünfjähriger Abstinenz erstmals wieder dabei, glänzte zwar nicht, zeigte sich aber als grundsolide Alternative, falls im zentralen Mittelfeld die Platzhirsche Joshua Kimmich und Leon Goretzka fehlen. Der Mainzer Anton Stach, einer von zwei Debütanten, bringt auf dieser Position eine andere Note mit, mehr Körperlichkeit und Dynamik und einen gewaltigen Schuss. David Raum gefiel als Linksverteidiger mit schnellen Flankenläufen und gefährlichen Hereingaben – er schlug die Ecke zum 1:0 und dürfte sich mit Robin Gosens künftig ein Duell um den Platz auf der linken Seite liefern. Und der zweite Debütant Nico Schlotterbeck gefiel als selbstbewusster, moderner Innenverteidiger mit starkem Spielaufbau – bis er sich in der Nachspielzeit einen kapitalen Blackout leistete, den Ball an Cohen verschusselte und den Israeli dann im Strafraum umtrat.
„So ein Fehler kann bei der WM tödlich sein“, kritisierte Flick. „Das sind die Dinge, aus denen wir lernen müssen. Es war der vorerst letzte Beleg, dass es trotz acht Siegen in acht Spielen noch einiges zu tun gibt.