Frankfurt. .

Vor elf Monaten nahm sich der damalige Nationaltorwart Robert Enke das Leben. Die schockierte Fußball-Szene gelobte, stärker auf das Menschliche zu achten. Davon ist nicht mehr viel zu spüren.

Am Ende bleibt ein Bild. Es hängt in der Küche des alten Bauernhauses, das Robert und Teresa Enke in Empede bei Hannover bewohnt haben. Es zeigt den ehemaligen Nationaltorwart einen Tag vor seinem Selbstmord, aufgenommen im „Café Kneipe“ in Hannover, einem Ort, an dem sich Robert Enke wohlgefühlt hat. Die, die das Foto kennen, sagen, es zeigt einen gelösten Robert Enke. Lächelnd. Befreit.

Das klingt wie ein Trost, aber tatsächlich ist es verstörend. Denn es hinterlässt zu den öffentlichen Fragen, die Robert Enkes Tod aufwirft, eine private: die, ob er deshalb so gelöst wirkte, weil er sich bereits entschlossen hatte, sich am folgenden Tag das Leben zu nehmen.

Elf Monate ist es her, dass sich Deutschlands damaliger Nationaltorwart auf die Gleise gestellt hat, sich von einem 160 Kilometer pro Stunde schnellen Zug überfahren, ja zerstören ließ. Elf Monate sind kein Zeitpunkt für Erinnerungen, auch am Freitagabend, als Deutschland gegen die Türkei gespielt hat, ohne Robert Enke und mit Manuel Neuer in Tor, hätte vielleicht niemand mehr an Enke gedacht, wenn nicht in diesen Tagen einiges zusammen käme. Enkes Todestag jährt sich in vier Wochen, seine kleine Tochter Lara ist vor fast genau drei Jahren an ihrem Herzfehler gestorben und seit ein paar Tagen liegt die Enke-Biografie des Sportjournalisten Ronald Reng in den Buchläden.

Teresa Enke schweigt

Diese Ballung wühlt zuerst alle die auf, die Robert Enke wirklich nahe standen. Seiner Frau Teresa geht es nicht gut, hört man. Trotz ihrer großen Familie, trotz eines Freundeskreises, der sich kümmert. Wenn jemand gerade jetzt zum Leben und Sterben Robert Enkes schweigt, ist sie es.

Die, die weiter außen stehen, beschäftigt die Frage, was von der allgemeinen Erschütterung nach Robert Enkes Tod geblieben ist. Was geblieben ist vom Inhalt der viel beachteten Rede von DFB-Präsident Theo Zwanziger. Von einem Stadion voller schweigender Menschen. Von einer öffentlichen Anteilnahme, die so gewaltig war, dass sie vielen zu weit ging, obwohl sie nur Ausdruck der Hilflosigkeit war. Vom Versuch, die Krankheit Depression zu enttabuisieren. Und vor allem: was vom Vorsatz geblieben ist, im Profifußball menschlicher miteinander umzugehen.

Veränderungen im Kleinen

Es ist wohl nicht allzu viel. Enkes Berater Jörg Neblung spricht bei der Präsentation der Biografie in Frankfurt von Veränderungen im Kleinen. Aber die Beispiele, die er gibt, weisen weg vom Fußball: Viele Therapeuten hätten ihm erzählt, es sei etwas in Bewegung geraten, mehr Menschen als zuvor würden sich mit ihren Problemen in die Praxen wagen. Mit der eigenen Branche geht Neblung dagegen ins Gericht. „Wer vor 100 Jahren mit dem Schiff nach Alaska gefahren ist um Gold zu suchen, wird heute Spielerberater“, sagt er. Was heißt: Zu oft geht es Beratern nur um den nächsten Vertrag, die eigene Provision. Danach sind Spieler, auch die, die Betreuung bräuchten, sich selbst überlassen.

So bleibt es bei kleinen Schritten. Ronald Reng könnte nach Abschluss der Recherchen für sein Buch die Namen von drei Profis nennen, die an einer Depression leiden und sich nach Enkes Selbstmord zu erkennen gegeben haben. Zwei, immerhin, sind heute in Behandlung. Einer, erzählt Reng, sei auf einen erschreckend unverständigen Präsidenten gestoßen, dessen größte Sorge nicht dem Spieler galt, sondern der Möglichkeit, dass die Erkrankung öffentlich bekannt werden könnte. „Man kann“, sagt Reng fatalistisch, „nicht erwarten, dass ein einzelner Todesfall den Fußball ändert. Es geht immer noch darum, dass sich der Stärkere durchsetzt.“

Parallelen zu Adler

Oder ist es doch zu pessimistisch gedacht? Leverkusens Torwart René Adler, der wegen einer Rippenverletzung auf die WM verzichten und seinen Stammplatz im Tor der Nationalelf an Manuel Neuer abtreten musste, hat danach einen Satz gesagt, der vielen Beobachtern ganz normal vorkam, es aber vielleicht nicht war: „Ich muss mich erst einmal wieder hinten anstellen.“ Leute wie Reng und Neblung hören daraus Robert Enke sprechen. Die beiden Keeper hatten sich in der Nationalelf angefreundet. Adler gilt inzwischen als Spielertyp, der nicht bereit ist, seine Interessen so gnadenlos gegen sich und andere zu verfolgen, wie es die Generation Kahn und Lehmann tat.

Was also bleibt von Robert Enke, nachdem die Branche schnell zu ihrer ganz eigenen Normalität zurück gefunden hat? Es ist wohl deutlich weniger, als man sich gewünscht hätte. Es ist die Hoffnung, dass sich in einem Geschäft, in dem es Profitgier und Egoismus leicht haben, etwas verändert. Und es ist die Geschichte über ein verstörendes Bild eines gelöst lächelnden Menschen.