Essen.

Kurz vor Enkes erstem Jahrestag des Todestags kommt ein Buch über ihn heraus. Geschrieben hat es der Sportjournalist Ronald Reng. Es ist beeindruckend.

Es war kalt an diesem Novembertag im vergangenen Jahr. So kalt, dass die Menschen an dem Bahnübergang in den Feldern vor Hannover Wölkchen atmeten. Robert Enke, der Torhüter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, hatte sich dort in der Dunkelheit des Abends vor einen Zug geworfen. Die Nachricht raste durch Deutschland bis der graue Tag auch noch den letzten Rest seiner Farbe verloren hatte. Enkes Tod, so sagten alle, die darüber sprachen, werde die Welt des Fußballs verändern. Man wolle ab sofort besser aufeinander aufpassen, und wieder stiegen Wölkchen auf.

Doch es kam, wie es so oft kommt. Das Leben geht weiter, und das Schicksal von Robert Enke verschwamm im Laufe der Monate im Hintergrund. Im Fußball passen sie heute so gut oder so schlecht aufeinander auf wie vor fünf oder vor zehn Jahren.

Enkes Karriere

Robert Enke, der Junge aus Jena, konnte auf eine Karriere bei großen Vereinen zurückblicken. DerWesten zeigt seine sportlichen Stationen.
Robert Enke, der Junge aus Jena, konnte auf eine Karriere bei großen Vereinen zurückblicken. DerWesten zeigt seine sportlichen Stationen.
Der frühere Stürmer Enke begann seine Karriere bei Jenapharm Jena, bevor er 1985 zum FC Carl Zeiss Jena ging. Sein Debüt als Profi feierte der Keeper im November 1995 gegen seinen späteren Klub Hannover 96.
Der frühere Stürmer Enke begann seine Karriere bei Jenapharm Jena, bevor er 1985 zum FC Carl Zeiss Jena ging. Sein Debüt als Profi feierte der Keeper im November 1995 gegen seinen späteren Klub Hannover 96.
Robert Enke (li., hier mit Thorsten Ziegner und Mario Kanopa) durchlief fast alle U-Nationalmannschaften.
Robert Enke (li., hier mit Thorsten Ziegner und Mario Kanopa) durchlief fast alle U-Nationalmannschaften.
1996 wechselte Enke in die Fußball-Bundesliga zu Borussia Mönchengladbach.
1996 wechselte Enke in die Fußball-Bundesliga zu Borussia Mönchengladbach. © imago sportfotodienst
Zwei Jahre lang war er Stellvertreter von Gladbach-Urgestein Uwe Kamps...
Zwei Jahre lang war er Stellvertreter von Gladbach-Urgestein Uwe Kamps...
...bevor er in der Saison 1998/99 unter Friedel Rausch zum Stammtorhüter wurde.
...bevor er in der Saison 1998/99 unter Friedel Rausch zum Stammtorhüter wurde.
Enke spielte gut, konnte aber letztlich Mönchengladbachs Abstieg in die Zweite Liga nicht verhindern.
Enke spielte gut, konnte aber letztlich Mönchengladbachs Abstieg in die Zweite Liga nicht verhindern.
Im Sommer 1999 wagte Enke einen großen Schritt und wechselte nach Portugal zu Benfica Lissabon.
Im Sommer 1999 wagte Enke einen großen Schritt und wechselte nach Portugal zu Benfica Lissabon.
Unter dem deutschen Trainer Jupp Heynckes wurde er Leistungsträger und schließlich Mannschaftskapitän.
Unter dem deutschen Trainer Jupp Heynckes wurde er Leistungsträger und schließlich Mannschaftskapitän.
Robert Enke entstammte einer sportbegeisterten Familie. Sein Vater war Psychotherapeut und ein früher erfolgreicher 400-Meter-Hürdenläufer, seine Mutter Handballspielerin.
Robert Enke entstammte einer sportbegeisterten Familie. Sein Vater war Psychotherapeut und ein früher erfolgreicher 400-Meter-Hürdenläufer, seine Mutter Handballspielerin.
Er legte auf dem Jenaer Sportgymnasium sein Abitur ab. Ein in Erwägung gezogenes Studium gab er zugunsten seiner Karriere im Profifußball auf.
Er legte auf dem Jenaer Sportgymnasium sein Abitur ab. Ein in Erwägung gezogenes Studium gab er zugunsten seiner Karriere im Profifußball auf.
Für die Organisation PETA hatte sich Robert Enke für ein Plakat gegen Pelze zur Verfügung gestellt.
Für die Organisation PETA hatte sich Robert Enke für ein Plakat gegen Pelze zur Verfügung gestellt.
Enke wechselte daher 2002 nach Spanien in die Primera División zum FC Barcelona.
Enke wechselte daher 2002 nach Spanien in die Primera División zum FC Barcelona.
Allerdings konnte er sich in Spanien nicht durchsetzen und...
Allerdings konnte er sich in Spanien nicht durchsetzen und...
...kam nur zu einem einzigen Einsatz. (Hier gegen Sergio Almaguer von Galatasaray Istanbuld).
...kam nur zu einem einzigen Einsatz. (Hier gegen Sergio Almaguer von Galatasaray Istanbuld).
Er verließ Barcelona und ein Ausleihgeschäft im Sommer 2003 in die Türkei zu Fenerbahçe Istanbul mit Trainer Christoph Daum half dem jungen Schlussmann auch nicht weiter.
Er verließ Barcelona und ein Ausleihgeschäft im Sommer 2003 in die Türkei zu Fenerbahçe Istanbul mit Trainer Christoph Daum half dem jungen Schlussmann auch nicht weiter.
Enkes erstes Spiel ging verloren und die eigenen Fans bewarfen ihn mit Gegenständen...
Enkes erstes Spiel ging verloren und die eigenen Fans bewarfen ihn mit Gegenständen...
...woraufhin er seinen Vertrag auflöste und vorübergehend vereinslos wurde.
...woraufhin er seinen Vertrag auflöste und vorübergehend vereinslos wurde.
Mit dem Torwarttrainer Peter Greiber vom 1. FC Köln (vorn) hielt sich Enke fit, bis er...
Mit dem Torwarttrainer Peter Greiber vom 1. FC Köln (vorn) hielt sich Enke fit, bis er...
...sich im Januar 2004 in die spanische Zweite Liga nach CD Teneriffa ausleihen ließ, wo er wieder an alte Leistung anknüpfen konnte.
...sich im Januar 2004 in die spanische Zweite Liga nach CD Teneriffa ausleihen ließ, wo er wieder an alte Leistung anknüpfen konnte.
Enke kehrte im Sommer 2004 mit seinem Wechsel zu Hannover 96 nach Deutschland zurück.
Enke kehrte im Sommer 2004 mit seinem Wechsel zu Hannover 96 nach Deutschland zurück.
Bei den Roten wurde Enke schnell zum Publikumsliebling und Leistungsträger von 96.
Bei den Roten wurde Enke schnell zum Publikumsliebling und Leistungsträger von 96.
Nicht nur das Fachmagazin Kicker wählte Enke in der Zeit mehrfach zum besten Keeper der Bundesliga.
Nicht nur das Fachmagazin Kicker wählte Enke in der Zeit mehrfach zum besten Keeper der Bundesliga.
1999 wurde er von Trainer Erich Ribbeck erstmals in die A-Nationalmannschaft berufen und reiste mit zum Konföderationen-Pokal 1999 in Mexiko, wo er jedoch nicht zum Einsatz kam.
1999 wurde er von Trainer Erich Ribbeck erstmals in die A-Nationalmannschaft berufen und reiste mit zum Konföderationen-Pokal 1999 in Mexiko, wo er jedoch nicht zum Einsatz kam.
2006 feierte Robert Enke (re.) ist mit seiner alten Teamkollegen Jenas Aufstieg und stößt mit Torsten Ziegner gemeinsam an.
2006 feierte Robert Enke (re.) ist mit seiner alten Teamkollegen Jenas Aufstieg und stößt mit Torsten Ziegner gemeinsam an.
WM 2006 wurde Enke von Nationaltrainer Jürgen Klinsmann in den erweiterten Kader der Nationalmannschaft berufen, nahm aber nicht am Turnier teil.
WM 2006 wurde Enke von Nationaltrainer Jürgen Klinsmann in den erweiterten Kader der Nationalmannschaft berufen, nahm aber nicht am Turnier teil. © imago sportfotodienst
Seit 2007 fungierte Enke auch als Mannschaftskapitän von Hannover 96.
Seit 2007 fungierte Enke auch als Mannschaftskapitän von Hannover 96. © imago sportfotodienst
Nach der WM setzte sich Enke zunächst wieder im Kader der Nationalmannschaft fest und fuhr als Ersatztorwart zu Länderspielen
Nach der WM setzte sich Enke zunächst wieder im Kader der Nationalmannschaft fest und fuhr als Ersatztorwart zu Länderspielen
Im März 2007 gab Enke sein Länderspieldebüt unter Jogi Löw in einem Freundschaftsspiel gegen Dänemark.
Im März 2007 gab Enke sein Länderspieldebüt unter Jogi Löw in einem Freundschaftsspiel gegen Dänemark.
Löw musste sich dem Konkurrenzkampf mit René Adler, Tim Wiese und Manuel Neuer stellen.
Löw musste sich dem Konkurrenzkampf mit René Adler, Tim Wiese und Manuel Neuer stellen. © imago sportfotodienst
Am 10. November 2009 endete eine tolle Karriere - viel zu früh.
Am 10. November 2009 endete eine tolle Karriere - viel zu früh.
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Am heutigen Donnerstag, gut einen Monat vor dem Jahrestag des Todestages, er­scheint das Buch „Robert En­ke – Ein allzu kurzes Le­ben“, das der Sportjournalist Ro­nald Reng geschrieben hat. Man wittert den üblichen Re­flex: Zum traurigen Jahrestag wird das Leben des Torhüters wieder prominent in den Me­dien auftauchen, und jemand möchte mit dem passenden Buch dazu schnelles Geld verdienen. Falsch. Rengs Buch gehört zu den besten Sportbüchern, die in den vergangenen Jahren in Deutschland erschienen sind.

Dennoch: Gießen wir vor dem Aufblättern der ersten Seite noch einmal Wasser in den Wein. Reng, der in Barcelona lebt, für viele seiner Reportagen berechtigte Auszeichnungen erhielt und der auch für diese Zeitung schreibt, war mehr als ein guter Bekannter des Torhüters. Aber darf ein Freund über das Innenleben des anderen schreiben? Darf er die persönlichen Geheimnisse nach dem furchtbaren Tod ausbreiten? Gehört sich das?

Wunderbare Anekdoten

Nein, es gehört sich nicht. Doch es ist in diesem Fall die Ausnahme, die es in allen Regeln gibt. Reng erklärt auf den ersten Seiten des Buches, warum er nach langen Überlegungen und heftigen Zweifeln das Buch schließlich doch geschrieben hat. Er hat oft mit Enke über ein Buch gesprochen, das beide am Ende der Karriere des Keepers gemeinsam schreiben wollten. „Ich habe mir schon Notizen gemacht, damit ich nichts vergesse“, hat Enke einmal zu Reng gesagt.

Es finden sich wunderbare Anekdoten, wie die aus der Kabine von Borussia Mönchengladbach, wo Enke seinen ersten Bundesliga-Vertrag unterschrieb. Der damalige Borussen-Manager Rolf Rüssmann kam nach dem Training zu den Spielern, klagte über trockene Haut und fragte die Spieler nach einer Gesichtscreme. Nationalverteidiger Stephan Paßlack reichte Rüssmann eine Tube, und fünf Minuten später konnte der Manager keine Miene mehr verziehen: Paßlack hatte ihm eine Tube Haargel in die Hand gedrückt.

Doch wo Anekdoten in Sportbüchern oft Selbstzweck bleiben, dienen sie in diesem Fall zur Einordnung und zum Versuch, Enkes Weg in die Depression zu erklären. „Enke“, so schreibt Reng, „machte nie Scherze. Aber er war auf wunderbar schwerelose Weise glücklich, wenn andere in seiner Nähe albern waren.“

Fußball ist die Folie, vor der ein Mensch verzweifelt versucht, seine Krankheit zu besiegen. Selbst die schönen Momente, die Glanzparaden oder die Nominierung für die Nationalmannschaft ziehen oft an Enke vorbei wie Lastkähne, keine Eleganz, keine Leichtigkeit, nur Trägheit und Schwere. Wo findet sich der Weg aus der Dunkelheit?

Es ist beklemmend zu lesen, wie Enke einen Millionen-Vertrag bei Benfica Lissabon unterschreibt, eine Stunde später weinend auf seinem Hotelbett liegt und seine verzweifelte Frau Teresa für den nächsten Morgen die Flucht aus Portugal organisiert. Es ist ein Buch darüber, wie ein Mensch in unserer Leistungsgesellschaft an seiner Krankheit, der Depression, scheitert. Dass dieser Mensch der Nationaltorhüter war, macht die Geschichte für die Öffentlichkeit interessant, ansonsten ist dies reiner Zufall.

Beerdigungs-Tourismus

Doch genau dieser Zufall führt auch noch zu einem letzten Missverständnis im Tode vom Enke. Sein Leichnam wird im Mittelkreis des Stadions von Hannover 96, seinem letzten Verein aufgebahrt. Die komplette Nationalmannschaft erscheint zur Trauerfeier, die Tribünen sind voll, der Ministerpräsident von Niedersachsen spricht. Über dem Stadion kreisen Leichtflugzeuge mit Foto-Reportern. Manchen Gästen erscheint dieser Beerdigungs-Tourismus suspekt. Enkes Mutter erzählt Reng Monate später bei einem Gespräch in ihrer Küche in Jena von ihrem Unwohlsein, als der Sarg ihres Sohnes mitten im Stadion steht. „In diesem Moment dachte ich mir: Mensch, er ist doch nicht Lenin.“