Herzogenaurach. Der Dortmunder Marco Reus fällt erneut verletzt aus. Für die WM kann er sich so nicht empfehlen. Er kommt nur auf 48 Länderspiele.

Am Donnerstag hatte Hansi Flick einen trainingsfreien Tag spendiert. Die Nationalspieler sollten regenerieren, die strapazierten Körper pflegen und den Kopf freibekommen nach knapp drei Wochen Trainingslager am Ende einer langen Saison und schon zwei Nations-League-Spielen gegen Italien (1:1) und England (1:1). Erst am Nachmittag begann mit einer Videositzung die Vorbereitung auf das Spiel gegen Ungarn in Budapest am Samstag (20.45 Uhr/RTL).

Allerdings ohne Marco Reus. Der hatte sich im Training einen Muskelfaserriss zugezogen. Zwar bleibt er zur Behandlung zunächst im DFB-Quartier in Herzogenaurach, weil auch der medizinische Stab bei Borussia Dortmund in der Sommerpause mal ein paar freie Tage hat. Für die verbleibenden beiden Spiele allerdings muss er passen, erwartet wird eine wochenlange Pause.

Geschichte voller Enttäuschungen, Rückschläge und Verletzungen

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Von Sebastian Weßling und Marian Laske

Dabei war Reus ja erst am Samstag angereist, ein Infekt hatte ihn zunächst außer Gefecht gesetzt. Und nun ist die Länderspielreise für ihn bereits gelaufen, die umfangreiche Krankenakte des gerade 33 Jahre alt gewordenen BVB-Kapitäns um einen Eintrag reicher – und Reus‘ schon fast tragische Geschichte mit der Nationalmannschaft bekommt ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Zwar taugen ein Muskelfaserriss und insgesamt vier verpasste Nations-League-Spiele an sich nicht zum großen Drama. In diesem Fall aber fügen sie sich ein in eine Geschichte voller Enttäuschungen, Rückschläge – und Verletzungen. „Natürlich tut einem das leid“, sagt Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff.

Reus und die Nationalmannschaft, das war schon eine Geschichte voller Pech und Pannen, als der noch gar nicht Nationalspieler war. Vier Mal wurde er eingeladen, erstmals im Mai 2010, vier Mal musste er absagen. Erst im Oktober 2011 klappte es mit dem Debüt. Es hätte das Ende der Pechsträhne sein können – stattdessen ging es erst richtig los: 2012 fuhr der noch recht junge Reus mit zur EM, zunächst als Ergänzungsspieler. Erst im Viertelfinale kam er zum Einsatz, lieferte beim 4:2 gegen Griechenland ein hervorragendes Spiel ab – und saß dann im verlorenen Halbfinale gegen Italien zunächst wieder auf der Bank.
Schwamm drüber, er würde ja noch viele Turniere spielen können.
Tja nun.

48 Länderspiele - absurd wenig

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2014, Testspiel gegen Armenien, am nächsten Tag soll der Flieger nach Brasilien gehen. Artak Jedigarjan trifft Reus am Fuß. Syndesmosebandriss, WM-Aus. Zwei Jahre später verhindert eine monatelange Schambeinentzündung die Turnierteilnahme. Und als es 2018 endlich klappt, spielt die deutsche Mannschaft das schlechteste Turnier seit 14 Jahren. 2021 sagte Reus ab, um seinem anfälligen Körper etwas Ruhe zu gönnen. So kommen insgesamt 48 Länderspiele zusammen – absurd wenig für einen Spieler dieser Qualität.

Wird es noch einmal etwas mit Reus und der Nationalmannschaft? Ja – wenn es nach Bierhoff geht. „Marco ist ein Ausnahmefußballer“, schwärmt er. „Er hat unglaubliche Qualität, kann der Mannschaft in jedem Moment durch ein Dribbling, durch sein intelligentes Spiel und durch seine elegante Art helfen.“ Deswegen sei der inzwischen 33-Jährige ja immer wieder dabei. „Und deswegen hoffen wir natürlich, dass er in Zukunft fit und gesundheitlich stabil bleibt. Seine Qualität steht außer Zweifel.“ Etwas Balsam für die geschundene Fußballerseele, aber die Worte sind nicht nur so dahergesagt: Auch Bundestrainer Hansi Flick schätzt den vielseitigen Angreifer sehr.

Wenige Gelegenheiten, sich zu empfehlen

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Da ist so ein Ausfall im EM-Jahr besonders ärgerlich. Flick will die Tage von Herzogenaurach ja nutzen, weiter an seiner Spielidee zu feilen, die Entwicklung der Mannschaft voranzutreiben und Erkenntnisse zu sammeln, welcher Akteur ihm dabei wie helfen kann. Im restlichen Jahr wird es dafür wenig Zeit geben, abgesehen von der Länderspielphase im September bleibt eine gute Woche unmittelbar vor dem WM-Start. Da hätte man seine Spieler gerne alle um sich.

So bleiben auch Reus wenig Gelegenheiten, sich für eine herausgehobene Rolle zu empfehlen. Seinen Platz im Kader hat er einigermaßen sicher, wenn er nicht verletzt ist. Die Stammplätze in der Offensive allerdings besetzen aktuell andere. Jüngere, schnellere, aktuell auch: fittere. Ob sich das änder? Eher ungewiss. „Er ist ein sehr leichtfüßiger Spieler, der auch mal eingewechselt werden kann und keinen längeren Spielrhythmus braucht, um seine Stärken hervorzubringen“, sagt Bierhoff – in dem Lob steckt der Platz auf der Ersatzbank schon drin.

Auch bei Borussia Dortmund unter Beobachtung

Der Kampf um die gewünschte Rolle – das steht Reus künftig auch beim BVB in verschärfter Form bevor. Zum Trainingsauftakt sollte er zwar wieder genesen sein – aber im Klub beobachtet man sehr genau, wie die Entwicklung des Ausnahmespielers in den kommenden Wochen und Monaten verläuft. Dessen Vertrag läuft 2023 aus und mit der Verlängerung haben es die Dortmunder bislang nicht allzu eilig. – der langjährige Borusse wird ihnen schon nicht weglaufen und man will schon abwarten, wie sich die Muskel, Sehnen und Gelenke weiterhin machen.

Reus muss beweisen, dass er auch künftig prägender Teil der BVB-Offensive sein kann. Die Konkurrenz ist groß: Donyell Malen, Giovanni Reyna und Julian Brandt sind schon da, ein Mittelstürmer soll kommen – und Karim Adeyemi ist bereits verpflichtet, mit 30 Millionen Euro Ablöse teuerster Zugang des Sommers. In der Nationalmannschaft ist er schon ein Reus-Konkurrent, wobei: Weder in Italien noch gegen England berief Flick den 20-Jährigen in den 23 Mann starken Spieltagskader.