München. Nico Schlotterbeck verschuldete beim Spiel gegen England den Elfmeter zum 1:1. Der Abwehrspieler agiert manchmal noch zu ungestüm.

Das Münchener Stadion hat die bauliche Eigenschaft, dass sich die Spieler, wenn sie den Kabinentrakt verlassen, nicht an den Medienvertretern vorbeischummeln können. Daher blieb Nico Schlotterbeck am Dienstagabend nichts anderes übrig, als sich an den Journalisten entlang zu quälen, die ihn alle auf sein entscheidendes Missgeschick ansprechen wollten. „Auf gar keinen Fall sage ich etwas“, brummte der Verteidiger jedoch, kopfschüttelte sich in Richtung Mannschaftsbus. Hinter ihm scherzte Timo Werner: „Schlotti, was war denn?“ Ehe beide verschwanden.

Was war, das wusste Schlotterbeck natürlich. In der 87. Minute war der deutsche Verteidiger in Harry Kane hineingestolpert, der Stürmer klatschte auf den Rasen. Videobeweis. Elfmeter. 1:1. Deutschland entglitt der Sieg in der Nations League gegen England, stattdessen wartet Bundestrainer Hansi Flick weiterhin auf einen Erfolg über eine der großen Nationen - so bleiben von diesem Spiel vielversprechende Ansätze und Missgeschicke.

Und weil diese Gratwanderung vor allem Nico Schlotterbeck verdeutlichte, drängelten sich die Journalisten, um sich von dem 22-Jährigen eine Abfuhr einzuholen. Gegen England rumste der Abwehrspieler in die Zweikämpfe, wenn es nötig war, spielte Diagonalbälle, wenn das Zentrum versperrt war. Sein Talent dürfte jedem aufgefallen sein. Nur dürften die meisten auch registriert haben, dass der junge Fußballer in manchen Momenten zu Ungestüm verteidigt, dass es ihm manchmal an Ruhe mangelt.

Vom SC Freiburg zu Borussia Dortmund

Erst in diesem Sommer wechselt Schlotterbeck vom SC Freiburg zu Borussia Dortmund, an das höchste europäische Niveau muss er sich erst gewöhnen. Dies drückte sich in dem verursachten Elfmeter aus, selbst Schiedsrichters Carlos del Cerro Grande sprach von einer „dummen Aktion“, die ihm keine Wahl ließe. Soll es wirklich gelingen, bei der Weltmeisterschaft in Katar um den Titel mitzuspielen, dann darf ein Stürmer wie Harry Kane nicht kurz vor Schluss die Einladung erhalten, eine plumpe Berührung zum Hinfallen zu nutzen.

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„Das sind Sachen, die passieren. Ich glaube, dass er ihn gar nicht sieht, dass er irgendwie wegguckt. Ich mache ihm keinen Vorwurf“, sagte Flick. Schlotterbeck habe gezeigt, dass er eine Riesenverstärkung sei, weil er sehr selbstbewusst im Ballbesitz agiere. „Wenn er Fehler macht, was passieren kann, macht er einfach weiter. Das brauchen wir“, meinte der Bundestrainer, der überhaupt viele versöhnliche Worte formulierte, nachdem er am Wochenende zuvor nach dem 1:1 gegen Italien noch geschimpft hatte.

Diesmal sei das Spiel so verlaufen, „wie wir uns das vorgenommen haben. Die Art und Weise war für die Fans einfach toll“, sagte Flick. „Wir haben gegen England gespielt, eine ganz große Fußballnation, die Premier League ist die beste Liga der Welt - ich bin stolz auf die Mannschaft. Wir haben den Gegner unter Druck gesetzt und dazu gezwungen, die Bälle lang und oft ins Aus zu schlagen.“ Nun müsse seine Mannschaft jedoch daran arbeiten, sich für diesen Aufwand zu belohnen.

Auch Musiala fehlt noch die Reife

Es gab Gelegenheiten, das 2:0 zu erzielen, wie die von Thomas Müller (70.). Oder die von Timo Werner (75.). Die deutsche Offensive kann einem Gegner einen sehr ungemütlichen Abend bereiten, müsste dafür allerdings präziser arbeiten. Jamal Musiala (19), noch ein Spieler, dem Reife fehlt, schlängelte sich um seine Gegenspieler herum, vergaß jedoch häufig, rechtzeitig abzuspielen. Andererseits, das gehört zur Wahrheit, drängten die Engländer Flicks Elf in den letzten zehn Minuten in die eigene Hälfte, der eingewechselte Jack Grealish bereitete nicht nur Gegenspieler Lukas Klostermann Schwindelgefühle. Schon vor Kanes Elfmeter verhinderte Torhüter Manuel Neuer den Ausgleich, sogar ein zweiter englischer Treffer hätte fallen können.

„Wir müssen cooler sein, den Ball besser halten“, sagte Ilkay Gündogan. Es sei nötig, mal „ein bisschen Zeit“ zu schinden, etwas länger auf dem Boden liegen zu bleiben, wenn man gefoult werde. „Die abgezocktesten Mannschaften machen das. Es gibt noch einen Lernprozess für uns.“ Denn es sei ein wichtiger Schritt, „solche Spiele nach Hause zu bringen“.

DFB-Team spielt dreimal in Serie 1:1

Das schafft die deutsche Mannschaft derzeit nicht, die vergangenen drei Länderspiele gegen die Niederlande, Italien und England endeten alle 1:1. Was sich positiv deuten lässt, denn gegen keinen dieser großen Namen hat die Auswahl verloren. Oder negativ, denn nur durch Unentschieden ist noch keiner Weltmeister geworden. Das Gefühl eines Sieges habe eine enorme Bedeutung, sagte Hansi Flick. „Ich kenne es aus der Erfahrung mit der Nationalmannschaft, aber auch mit Bayern München, dass Siege wichtig sind für das Selbstvertrauen, für ein Selbstverständnis auch innerhalb der Mannschaft, dass man Spiele gewinnen kann, dass man die Qualität hat.“

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Die nächste Gelegenheit bietet sich am Samstag in Ungarn (20.45 Uhr/RTL). Eine Partie, in der die deutsche Mannschaft anders als gegen England in die Favoritenrolle rutscht und die Öffentlichkeit einen Sieg erwartet, der das Selbstwertgefühl steigern würde. Und im Übrigen bereiten den Spielern dann auch die Interviews mehr Freude.