Peking. Die Enttäuschung über das Olympia-Aus der deutschen Eishockey-Cracks ist riesengroß. Bundestrainer Toni Söderholm lässt Zukunft offen.
Der Arena-DJ im National Indoor Stadium hatte ein feines Gespür für Ironie. Nicht mehr ganz zehn Minuten waren in der Play-off-Partie zu spielen, deren Sieger ins Viertelfinale einziehen sollte, als es Bully vor dem Tor der Slowakei gab. Sabotage von den Beastie Boys dröhnte aus den Lautsprechern, und für die deutschen Eishockeyspieler war ja wirklich etwas faul im Staate China. Sie lagen in der Partie gegen die Slowakei bereits mit 0:3 hinten, das sollte es doch nicht schon gewesen sein, oder?
Korbinian Holzer enttäuscht nach dem 0:4 gegen die Slowakei
Doch kurz danach war die Niederlage besiegelt – mit 0:4 (0:1, 0:2, 0:1) sogar –, das olympische Turnier nach insgesamt nur knapp 110 Stunden von Donnerstagabend bis Dienstagmittag für das mit Medaillenhoffnungen gestartete Team von Bundestrainer Toni Söderholm beendet. „Dass man mal auf die Schnauze fällt, heißt ja nicht, dass man vorher eine große Klappe hatte“, sagte Abwehrrecke Korbinian Holzer auf dem Weg in die Kabine, denn: „Wir haben immer hohe Ansprüche an uns.“
Ansprüche und Ziele, die seit ziemlich genau vier Jahren enorm gewachsen sind – intern wie extern. „Es war nicht unser Turnier, das kann man nicht schönreden“, sagte Sportdirektor Christian Künast. Toni Söderholm hatte am 1. Januar 2019 den Posten des Bundestrainers von Marco Sturm übernommen, der mit der Auswahl des Deutschen Eishockeybundes (DEB) zehn Monate zuvor in Pyeongchang Sensations-Silber gefeiert hatte. In der wieder NHL-freien Neuauflage 2022 war die Hoffnung, einen vergleichbaren Lauf hinzulegen, am Ende vielleicht sogar wieder dekoriert mit Edelmetall.
Bundestrainer Toni Söderholm lässt Zukunft beim DEB offen
„Wir waren nicht hart, nicht schnell gut“, kommentierte der 43 Jahre alte Finne den Rückschlag seiner womöglich bald schon wieder endenden Zeit als Bundestrainer. Sein Vertrag beim DEB läuft im Mai nach der WM in seinem Heimatland aus. Ein offenes Geheimnis ist, dass Söderholm mit einem lukrativeren Engagement bei einem europäischen Spitzenklub liebäugelt, vielleicht sogar wie Sturm, der nach Olympia 2018 Assistenzcoach beim NHL-Klub Los Angeles Kings wurde, in Übersee in der stärksten Liga der Welt unterzukommen hofft. Wie die eigene eigene Perspektive nun aussehe? „Ich weiß nicht“, antwortete Söderholm mit versteinertem Gesicht.
Das Verpassen des Achtelfinals ist kein Grund, den Stab über die deutsche Mannschaft zu brechen, die noch im vergangenen Jahr das Halbfinale der Weltmeisterschaft erreicht hatte. „Wir wünschen uns alle, dass Toni weitermacht“, erklärte Kapitän Moritz Müller (35) von den Kölner Haien. „Ich fände es falsch nach all der Aufbauarbeit der letzten Jahre und jetzt einem schlechten Turnier, alles ändern zu wollen.“
Deutsche Eishockey-Auswahl nicht immer eine Einheit
Das Turnier in Peking war viel mehr Beleg dafür, dass im Eishockey eine Weltrangliste keinerlei Aussagekraft über die Kräfteverhältnisse auf dem Eis hat: Die deutschen Kufen-Stars, aktuell Fünfte der Liste, waren 2018 nicht so gut, wie viele dachten – und auch wenn viele ihr Potenzial diesmal ausschöpften, sind sie jetzt nicht so schlecht, wie manche sie machen. Deshalb schlug Marcel Noebels auch noch mal den Bogen zum Turnier in Südkorea. „Da haben wir uns auch gesteigert, waren am Anfang nicht die Mannschaft, die wir am Ende waren“, sagte der 29-Jährige von den Eisbären Berlin enttäuscht. „Mit Siegen wächst man zusammen, aus Niederlagen wie heute muss man lernen.“
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Zehn Olympia-Zweite von Pyeongchang hatte Söderholm nominiert, ebenso viele seiner verdienten Spieler sind inzwischen jenseits der 30-Jahre-Grenze. Denkbar, dass nach Peking ein Schnitt kommt. „Es ist oft so, dass mit einem Olympiazyklus eine Generation beendet und eine neue reingespült wird“, sagte der Münchener Patrick Hager (33). „Wir hatten einen guten Mix aus neuen und erfahrenen Jungs.“ Auf dem Eis präsentieren sie sich nur nicht immer als Einheit. Der Mannheimer Adler Holzer (33) giftete so manches Mal seine Mitspieler an, gab sich nach dem Aus immerhin selbstkritisch: „Als Führungsspieler muss ich den Anspruch haben, besser zu spielen.“
DEB-Kapitän Moritz Müller: Kein Selbstvertrauen aufgebaut
Ein Grund für das frühe Scheitern war sicherlich, dass sich die deutschen Spieler auf der im Vergleich zur Deutschen Eishockey-Liga kleineren Spielfläche nicht zurecht fanden. „Wir waren von der Spielschnelligkeit her und in den Entscheidungen, die in engen Räumen zu treffen sind, nicht gut genug“, befand Söderholm. Deswegen sei das Team auch zum Auftakt von Kanada „überrannt worden“, sagte Müller, „wir haben uns dann im Kopf nie freigeschwommen, nicht das Selbstvertrauen aufgebaut wie in den letzten Turnieren.“ Bis zur Weltmeisterschaft gibt es viel aufzuarbeiten für Söderholm. Hager wird Peking 2022 als „Tiefpunkt“ in Erinnerung behalten. „Aber auch darüber werden wir wegkommen.“