Essen. Skiflug-Weltmeister Karl Geiger will bei gleich drei Großevents um Gold springen. Sein Trainer verrät, warum er noch besser geworden ist.
Natürlich ist es alles andere als ratsam, dass Karl Geiger am kommenden Wochenende am besten die Augen schließen soll, wenn er am Langen Berg die Anlaufspur der Tramplin-Stork-Schanze hinuntersaust. Skispringen ist ein gefährlicher Sport, minimale Körperdrehungen können enorme Auswirkungen in der Luft haben.
Geiger muss sich also bei den Springen am Samstag und Sonntag (je 16 Uhr/ARD) zum Weltcup-Auftakt im russischen Nishni Tagil irgendwie anders vergegenwärtigen, dass er zu den ersten Flügen der Saison gefühlt auch im chinesischen Zhangjiakou abheben könnte, wo es im Februar um olympische Medaillen geht. „Die Schanze dort schaut spektakulär aus, sie hat ein ähnliches, ein neues Profil wie Nishni“, sagt der 28-Jährige und kann sich eine Nebenbemerkung nicht verkneifen: „Ich hoffe mal, dass die weitgehend einzigartig bleibt.“
Geiger ist Titelverteidiger am Monster-Bakken
Die Olympischen Winterspiele (4. bis 20. Februar) sind für Geiger noch so weit entfernt wie Peking von seinem Heimatort Oberstdorf. Die Fünf-Ringe-Springen lösen im Kreis der DSV-Adler bisher wenig Kribbeln aus, schließlich bietet die 121 Tage lange Saison ja noch andere Höhepunkte: die Vierschanzentournee (29. Dezember bis 6. Januar) und die Skiflug-WM (10. bis 13. März) auf dem Monster-Bakken im norwegischen Vikersund. „Ich wüsste jetzt nicht, welches der drei Events ich höher gewichten würde“, sagt Geiger. Bei der Tournee „wird Skisprung-Deutschland hoffentlich bald mal wieder einen Gesamtsieger haben. Aber die Flug-WM? Als Titelverteidiger war ich noch nirgendwo unterwegs.“
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Das bezieht sich allerdings allein auf seine Titelsammlung als Einzelspringer. Jeweils mit dem Männer-Team als auch im Mixed gewann Geiger 2019 in Seefeld und im zurückliegenden Frühjahr vor der Haustüre in Oberstdorf WM-Gold. Im dazwischen gelagerten Winter gab es den Solo-Titel des Skiflug-Weltmeisters. Am liebsten würde der Flieger Geiger nun auf Autopilot schalten: „Wenn es ansatzweise wieder so wird, kann ich nur sagen: Habe die Ehre, das war genial.“
Geiger erlebte turbulente Saison
Die Titel, die Zuverlässigkeit haben den gerne so stillen Karl Geiger zum Vorzeigespringer im Team von Bundestrainer Stefan Horngacher gemacht. „Karls aktueller Stand ist besser als der im letzten Jahr“, sagte der 52 Jahre alte Österreicher. „Er hat sich sein Familienleben gut zurechtgelegt, er trainiert super – ich glaube, dass er wieder gereift ist.“
Hinter Geiger liegt eine turbulente Saison 2020/2021: Vor 14 Monaten ehelichte er seine Freundin Franziska, drei Monate später kam Tochter Luisa zur Welt. Nach einer Corona-Erkrankung vor der Tournee klappte es am Ende noch mit der Medaillenjagd bei der Heim-WM (zusätzlich zu den Team-Titeln gab es Silber von der Normal- und Bronze von der Großschanze). „Das letzte Jahr bot so ein breites Spektrum an Emotionen, manchmal wäre es mir lieber gewesen, es wäre etwas ruhiger verlaufen.“
Endlich neue Schuhe für Karl Geiger
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Regelmäßig auf dem Stockerl zu stehen, tröstet Geiger aber über die aufregende, teils aufreibende Weltcupreise durch zehn Länder hinweg. Die Horngacher-Crew gilt als ausgeglichen wie selten, für vorderste Platzierungen kommen aktuell aber nur Geiger und Markus Eisenbichler (30/Siegsdorf) infrage. Der Willinger Stephan Leyhe (29) tastet sich nach einem Kreuzbandriss wieder an den Weltcup heran; Andreas Wellinger (26/Traunstein) hat sein Comeback-Jahr hinter sich, kommt jedoch noch nicht auf Weiten wie beim Olympiasieg 2018 in Pyeongchang. Nicht zu vernachlässigen sind die DSV-Springer Pius Paschke (31/Kiefersfelden) und Constantin Schmid (21/Oberaudorf), aber die größte Konkurrenz hört daher wieder auf die Namen Halvor Egner Granerud (25/Norwegen) und Ryoyu Kobayashi (25/Japan).
Das Leistungspotenzial von Granerud und Kobayashi lockt den in sich ruhenden Geiger noch nicht aus der Reserve. Nervös wird der Allgäuer Schlaks nur, wenn es um seine Ausrüstung geht. Vor dem vergangenen Winter kam es nicht wie geplant zum alljährlichen Schuhwechsel, völlig ungewohnt musste Geiger das Vorjahresmodell auftragen. „Das war ganz schön ausgeschlappt“, sagt er und lacht. „Am Ende war es aber der beste Schuh, den ich je hatte – jetzt schaut es jedoch so aus, als könnte ich ihn in den Ruhestand schicken.“
Severin Freund muss warten
Acht Skispringer hatte Bundestrainer Stefan Horngacher zur Auswahl, sechs konnte er nur für Nishni Tagil, im mittleren Ural gelegen, nominieren. Zumindest vorerst müssen Severin Freund (33/Rastbüchl), Einzel-Weltmeister von 2015, und Martin Hamann (24/Aue) in den Continental-Cup absteigen. Der einstige Siegspringer Richard Freitag (30/Oberstdorf) spielt derzeit gar keine Rolle.
Mit neuem Paar geht es nun nach Nishni Tagil. Sollte es nicht auf Anhieb mit ihm und dem Schanzen-Double von Zhangjiakou klappen, bleibt Karl Geiger ja etwas Zeit, damit aus dem Ablauf der Olympia-Sprünge noch ein Schuh wird.