Aachen. Jessica von Bredow-Werndl gewann in Tokio doppeltes Olympia-Gold. Ein Gespräch zum CHIO über die Bedeutung von Titeln und Liebe zu Tieren.
Zweimal Olympia-Gold in Tokio, drei EM-Titel in Hagen am Teutoburger Wald – ohne falsche Scham könnte Jessica von Bredow-Werndl sagen, dass sie Isabell Werth (52/Rheinberg), mit sieben Olympia-Siegen erfolgreichste Reiterin der Welt, 2021 die Show gestohlen hat. So allerdings würde die 35-Jährige aus dem bayrischen Tuntenhausen das nie formulieren. Auch wenn sie mit ihrer Gold-Stute Dalera im Dressurviereck aktuell das Maß der Dinge ist. Vor ihren CHIO-Auftritten in Aachen am Freitag (8.30 Uhr) und Samstag (12 Uhr/ab 15.15 Uhr im WDR) erklärt Jessica von Bredow-Werndl, was Titel ihr bedeuten, was sie dafür tun musste – und worauf sie sich jetzt besonders freut.
Frau von Bredow-Werndl, ein Sommer voll mit Goldmedaillen, Ihnen gelingt derzeit alles. Haben Sie mal darüber nachgedacht, es nun beim CHIO in Aachen auch mal in einem Springen zu versuchen?
Jessica von Bredow-Werndl: (lacht) Ach, das sagen Sie doch jetzt nur, weil ich im ZDF-Sportstudio auch noch ein Tor geschossen habe.
Jessica von Bredow-Werndl gewinnt Olympia-Gold und trifft auch im Sportstudio an der Torwand
Wenn Sie dort schon in High Heels treffen, scheinen Sie ja nun wirklich ein Multitalent zu sein.
Jessica von Bredow-Werndl: Ich glaube tatsächlich, dass mir das Springen auch gelegen hätte. Aber seitdem ich Mama geworden bin, habe ich großen Respekt davor. Ich bin kein ängstlicher Typ, aber ich gebe zu, dass ich heute damit nicht mehr beginnen würde, auf 1,50 Meter hohe Hindernisse zuzureiten.
Haben Sie sich schon immer der Dressur verschrieben? Oder haben Sie auch mal Springreiten oder Galopp ausprobiert?
Jessica von Bredow-Werndl: In der Tat habe ich mich früh festgelegt. Obwohl ich nie ein Pony hatte, das mit tollen Bewegungen ausgestattet war. Aber dieses korrekte, schöne Reiten zu lernen, hat mich schon immer fasziniert. Für die ganzen Reitabzeichen habe ich aber auch A-Springen absolviert – aber um zu einem Turnier zu fahren, war der Anreiz nie groß genug. Wobei: Damit meine Dressurpferde auch mal ein wenig Abwechslung und Spaß haben, macht wir auch heute noch ein paar Sprünge; aber nur ganz kleine.
Ihr Weg in die Weltspitze war außergewöhnlich. Als Juniorin waren Sie sehr erfolgreich, sind dann aber in ein Loch gefallen, ehe Sie bei Lehrerin Isabell Werth wieder die Kurve bekamen.
Jessica von Bredow-Werndl: Sie hat uns aufgefangen, denn die Durststrecke ging noch ein paar Jahre weiter. Wir haben bei Isabell viel gelernt, sie hat uns gezeigt, wie man bei null anfängt und junge Pferde ausbildet.
Nach Olympia freut sich Jessica von Bredow-Werndl wieder auf ganz normalen Alltag
Wenn Sie „wir“ meinen, beziehen Sie Ihren Bruder Benjamin mit ein, mit dem Sie gemeinsam südlich von München das Gut Aubenhausen führen.
Jessica von Bredow-Werndl: Genau. Letztlich bin ich noch mal „all in“ gegangen, und mein Bruder hat mich immer auf diesem Weg begleitet. Wir haben beide nach dem Abitur studiert, Benjamin hat bei uns in der Immobilienfirma mitgearbeitet, ich im Sportstudio. Wenn ich das in der Kombination so weitergemacht hätte, wäre ich im Reiten aber niemals so weit gekommen. Dass ich mich noch mal mit ganzem Herzen der Reiterei gewidmet habe und mein Bruder die Entscheidung mittrug, hat den Weg geebnet, dass es richtig gut werden konnte.
Mit dem Ergebnis, dass Sie derzeit alle Titel abräumen.
Jessica von Bredow-Werndl: Ja, man muss sich solche Erfolge wirklich vorstellen können. Ehrlich gesagt: Ich hatte auch mal zwischendurch den Glauben daran verloren, ich war kurz davor, das Reiten als Leistungssport an den Nagel zu hängen. Aber das ist ein ganz normaler Athleten-Werdegang. Seinen Sport dann aber am Ende doch besser als je zuvor ausüben, noch mal mit ganzem Herzen bei der Sache sein zu können, war die beste Entscheidung, die ich vor gut zehn Jahren getroffen habe.
Was haben die vergangenen, so titelreichen Wochen mit Ihnen gemacht?
Jessica von Bredow-Werndl: Ich bin noch dankbarer – und auch erschöpft (lacht). Aber die Erlebnisse haben mich genauso auf dem Boden gelassen, wie ich es zuvor auch war. Ich habe in den zweieinhalb Wochen vor der Europameisterschaft keine Interviews gegeben. Das war so eine schöne Zeit, weil ich einfach mal wieder Alltag hatte, normal geritten bin und Zeit mit meinem Sohn verbracht habe. Was mir wichtig ist: Auch durch einen anderen Ausgang der Olympischen Spiele, ohne die Goldmedaillen hätte sich für mich als Mensch nichts geändert. Die Erfolge sind toll, aber ich definiere mich nicht darüber. Sie sind lediglich Anerkennung für meine Arbeit und eine Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Jessia von Bredow-Werndl ist eine Kandidatin für den Titel als Sportlerin des Jahres
Fehlt eigentlich nur noch ein Sieg zum Ausklang dieses Jahres, für den Sie aber nicht einmal im Sattel sitzen müssten…
Jessica von Bredow-Werndl: An was denken Sie da?
An die Sportlerin des Jahres. Als Doppelgold-Gewinnerin?
Jessica von Bredow-Werndl: Davon bin ich die einzige, gell? Ach, ich glaube, da gibt es mehrere, die das werden können und es verdient hätten. Aber cool wäre es allemal.
Können Sie in nächster Zeit auch mal runterkommen und reflektieren, etwas wegkommen von den Tieren und sich anderen Dingen zu widmen?
Jessica von Bredow-Werndl: Wir sind von der Sporthilfe in den Club der Besten eingeladen. Da freue ich mich richtig drauf, weil es in den vergangenen beiden Jahren leider nicht für mich geklappt hat. Diesmal aber packe ich meinen Mann und meinen Sohn ein, und wir fliegen Ende September mit. Und dann kann ich es kaum erwarten, einfach mal nur zu Hause zu sein. Ich liebe das, da schalte ich am besten ab, wenn ich nicht von Koffer zu Koffer denke, ein- und auspacke und dauernd auf Tour bin. Die Freunde sind zuletzt zu kurz gekommen. Und ich will ich jetzt auch mal Ausflüge mit meinem Sohn machen – der hat sie zuletzt mit mir gemacht und mich zur EM begleitet. Mit ihm im Wildpark oder auf dem Spielplatz zu sein, das genieße ich sehr.
Auch mit Sohne Moritz steigt Jessica von Bredow-Werndl ab und ans aufs Pferd
Moritz ist drei Jahre alt und saß – mit Ihrer Hilfe – auch schon mal im Sattel. Wächst da ein nächster Reiter heran?
Jessica von Bredow-Werndl: Aktuell sieht es nicht danach aus, er sitzt lieber auf einem Trecker (lacht). Aber er hat gar keine Angst, er setzt sich mit mir auf jedes Pferd, ich kann mit ihm leicht galoppieren, Pirouetten und Piaffen reiten – der findet alles lustig. Wir haben zwei Mini-Ponys, Resi und Rosi, auf denen reitet er auch gerne. Ich frage ihn jedoch nicht ständig, ob er heute aufs Pferd möchte. Wenn nichts von ihm kommt, pushe ich das nicht. Das muss von alleine kommen oder gar nicht. Nächste Woche fängt er mit Fußball an.
Sie betonen stets den gleichen Anteil von Pferd und Reiterin an Erfolgen. Beschreiben Sie doch mal Ihre besondere Beziehung zu Ihren Pferden.
Jessica von Bredow-Werndl: Ich war schon immer wahnsinnig tierverrückt – auch als ich noch ganz klein war. Ich habe auch tatsächlich deshalb mit vier Jahren aufgehört, Fleisch zu essen und lebe heute vegan. Weil es mir da schon nicht mehr vorstellen konnte, Tiere – oder für mich: Freunde – zu essen. Und so ist es heute noch: Ich bin glücklich, wenn ich von Tieren umgeben bin. Pferde sind für mich wie hochbegabte Kinder, die alle ihren eigenen Charakter haben. Es macht mir unheimlich viel Freude, einen individuellen Zugang zu ihnen zu finden, mit ihnen quasi eine Partnerschaft einzugehen, einen Weg gemeinsam zu beschreiten, der beiden Spaß machen soll.
Kritiker des Pferdesports sagen, dass genau das nicht der Fall sein kann.
Jessica von Bredow-Werndl: Mir ist es extrem wichtig, dass die Pferde mögen, was wir da gemeinsam tun. Das geht mit Anerkennung, Abwechslung und viel Zeit von unten – also wenn ich nicht im Sattel sitze, sondern mich mit der Seele des Pferdes beschäftige, mit seiner Persönlichkeit. Genau das ist ein großer Teil unserer Philosophie in Aubenhausen.
Für Olympia 2024 in Paris hat Jessica von Bredow-Werndl zwei potenzielle Toppferde
Ihr Erfolgspferd Dalera ist eine Trakehner-Stute. Der Rasse wird nachgesagt, eine besondere Bindung zu Menschen entwickeln zu können. Stimmt das?
Jessica von Bredow-Werndl: Ich kann das noch nicht so gut vergleichen, weil Dalera mein erster Trakehner ist. Ich weiß nicht, ob es nur daran liegt, dass wir eine Wahnsinns-Connection haben, aber sie gibt mir schon das Gefühl, dass sie alles unbedingt richtig und gut machen will. Selbst wenn sie mal vor irgendetwas Angst hätte, würde sie für mich über ihren Schatten springen. Aber das gleiche hat auch Zaire für mich gemacht, eine niederländische Stute. Daher glaube ich, dass es auch etwas ist, was ich mir erarbeitet habe: Dass sie ihr Herz vorauswirft, wenn wir bei einem Turnier einreiten. Trakehner sind sehr leistungswillige Pferde. Ihnen macht es Freude, zu arbeiten und sich mal anzustrengen.
Gibt es bei der sportlichen Erziehung der Pferde, beim Training auch mal Momente, bei denen Sie Dissonanzen mit den Tieren haben?
Jessica von Bredow-Werndl: Natürlich, aber meine große Stärke ist die Geduld. Wenn meine Mama mich beim Reiten beobachtet, sagt sie immer: Ich bewundere dich dafür, dass du so ruhig bleibst. Und wenn mal etwas nicht funktioniert, lasse ich es das Tier immer noch nicht spüren, dass ich mir selbst sage: Mein Gott, bin ich jetzt zu blöd, es dem Pferd zu erklären? Ich finde es wichtig, die Fehler immer bei sich selbst zu suchen. Wenn im Zweifel mal gar nichts geht, mache ich einmal „Aaaaaargh“, lasse die Zügel los und mache gar nichts mehr. Ehrlich gesagt: Das ist cool, dass ich mich und meine Emotionen da sehr unter Kontrolle habe, ich lasse nie Wut am Pferd aus. Das ist wahnsinnig wichtig – und ich wünsche mir, dass ich mir das immer erhalte.
Beim CHIO starten Sie mit Ferdinand. Dalera hat sich aber auch eine Pause verdient. Wird Ferdinand auch schon für Olympia in Paris aufgebaut?
Jessica von Bredow-Werndl: Es ist schön, den nächsten Schritt zu machen, die nächste Generation Pferde an den großen Sport heranzuführen. Ferdinand ist schon zwölf, ich habe ihn aber schon bei mir, seit der drei ist. Die Ausbildung war schwieriger, er hat einfach etwas mehr Zeit gebraucht, um alles zu verstehen. Inzwischen wird es aber auch für ihn immer leichter. Ich glaube, das kann die nächsten Jahre noch richtig spannend werden.
Jessica von Bredow-Werndls Pferde: Dalera reitet zu La-La-Land, Ferdinand zu Carmen
Dalera ist jetzt 14 Jahre alt und seit 2015 bei Ihnen. In drei Jahren in Paris dürfte sie noch im besten Alter sein, um die Tokio-Erfolge zu wiederholen.
Jessica von Bredow-Werndl: Beide, Dalera und Ferdinand, sind dann im besten Alter. Und momentan habe ich auch noch eine achtjährige Stute, die noch gar nicht im Grand-Prix-Sport ist, die ich aber ausbilden darf und der ich ganz viel zutraue. Da liegt es nahe, dass ich weitermache und in Paris dabei sein möchte.
Dalera triumphiert zur Musik des Hollywood-Blockbusters La-La-Land. Sollen wir uns bei Ferdinand schon mal eine andere Melodie merken?
Jessica von Bredow-Werndl: Ja, durchaus. Mit Ferdinand habe ich im Moment eine Klassik-Kür zu Georges Bizezs Carmen. Dazu haben wir auch schon unsere erste internationale Kür mit 82 Prozent gewonnen. Das war toll.