Hamburg/Essen. DOSB-Präsident Alfons Hörmann äußert sich erstmals seit Bekanntwerden seines Rückzugs zu den Vorwürfen einer “Kultur der Angst“.

Seit im Mai in einem anonymen Brief vermeintliche Missstände im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) angeprangert wurden und der Vorwurf einer „Kultur der Angst“ letztlich zur vorgezogenen Neuwahl des DOSB-Präsidiums Anfang Dezember führte, hat sich DOSB-Präsident Alfons Hörmann in der Öffentlichkeit rar gemacht. Nun jedoch, da am Wochenende 13./14. November die Namen derer bekannt werden, die ihm nachfolgen könnten, bricht der 61 Jahre alte Allgäuer sein mediales Schweigen und nimmt im Exklusivinterview mit der Funke Mediengruppe Stellung zu allen Vorwürfen, der Bilanz seiner seit Dezember 2013 währenden Amtszeit – und der Frage, wie Leistungssport und dessen Organisationen in der Zukunft aussehen könnten.

Hörmann blickt mit Wehmut und Erleichterung auf acht Jahre als DOSB-Präsident

Herr Hörmann, das Ende Ihrer Amtszeit naht. Wie würden Sie die Gefühlslage beschreiben, die in Ihnen herrscht?

Alfons Hörmann: Es ist eine Mischung aus Wehmut und Erleichterung. Ich habe diese Aufgabe mit Leib und Seele ausgefüllt, und wenn man mit dieser Überzeugung unterwegs ist, so viele tolle Menschen kennen lernen darf und mit ihnen gemeinsam Wichtiges für die Gesellschaft und das Fortkommen des deutschen Sports leisten kann, wäre es traurig, wenn nicht Wehmut dabei wäre. Natürlich war nicht immer alles freudvoll, besonders die vergangenen Monate nicht. Aber es gibt auch noch so viel zu tun, um die bestmögliche Übergabe professionell zu organisieren, dass ich noch keine Zeit zur Rückschau und für eine finale Bewertung hatte.

Alfons Hörmann ist seit 2013 Präsident des DOSB, ab 4. Dezember wird sein Nachfolger gewählt.
Alfons Hörmann ist seit 2013 Präsident des DOSB, ab 4. Dezember wird sein Nachfolger gewählt. © DPA | Unbekannt

Ein anonymer Vorwurf, mittlerweile entkräftet von der Ethik-Kommission, droht Ihre gesamte Amtszeit zu überlagern. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt oder falsch beurteilt?

Alfons Hörmann: Insgesamt sind manche Diskussionen der vergangenen Monate nur schwer zu verstehen oder nachzuvollziehen. Dabei geht es vorrangig nicht um mich, sondern um das gesamte DOSB-Führungsteam, das diskreditiert wurde. Es entstand teilweise der Eindruck, es säßen in der DOSB-Zentrale in Frankfurt nur Unfähige, die dem Sport eher schaden als nutzen. Wir tragen mit Präsidium und Vorstand gemeinsam die Verantwortung, und da kann ich mit voller Überzeugung sagen: Das hat mein Team nicht verdient. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Arbeit der vergangenen acht Jahre mit etwas Abstand anders bewertet werden wird. Dauerhaft wird man an den Fakten nicht vorbeikommen.

Sie haben zu den Vorwürfen, insbesondere zur Thematik der „Kultur der Angst“, lange geschwiegen. Warum?

Alfons Hörmann: Weil gerade dieses Thema so bedeutend und vielschichtig ist, dass man es sehr präzise und umfangreich analysieren muss. Das braucht Zeit. Deshalb haben wir Mitte Juli mit der permitto GmbH einen externen Experten mit einer tiefgehenden und breit angelegten Kulturanalyse beauftragt. Das Ergebnis liegt nun vor. Laut Zwischenbericht gibt es keinen Beleg für eine „Kultur der Angst“. In 159 Einzelinterviews und 1272 Einzelbewertungen wurde ein einziges Mal diese Begrifflichkeit erwähnt. Das mag ein Mal zu viel sein, aber es zeigt klar, dass der pauschale Vorwurf nicht haltbar ist. Gleichzeitig hat die Untersuchung jedoch wertvolle Hinweise darauf gegeben, wo notwendiges Verbesserungspotenzial besteht.

Wie erklären Sie sich dann, dass ein solcher Vorwurf das ganze System zum Einsturz bringen konnte? Welche Versäumnisse müssen Sie sich vorwerfen?

Alfons Hörmann: Dass ich trotz meiner Lebens- und Führungserfahrung aus 40 Jahren in Wirtschaft und sportlichem Ehrenamt nicht erkannt habe, welche Wirkkräfte zwischen den verschiedenen Polen wie den Mitarbeitern in der Zentrale und den Mitgliedsverbänden entstehen. In der Pandemie, die uns alle vor nicht gekannte Probleme gestellt hat, sind großer Frust und menschliche Entfremdung entstanden. Es ist uns allen nicht gelungen, virtuell die offenen Diskussionen zu führen, die vorher gegeben waren. Aber dass durch einen anonymen Vorwurf ein solcher Mobile-Effekt entsteht, bei dem eine Bewegung das gesamte Konstrukt ins Wanken bringt, habe ich in vier Jahrzehnten in Führungsaufgaben nicht erlebt – und ich hätte auch gern darauf verzichtet.

DOSB-Präsident Hörmann weiß: Manche kommen mit seiner Art zurecht, bei anderen eckt er an

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Alfons Hörmann: Zunächst hat es mein Team und mich schockiert. Wir haben uns bei der Selbstanalyse gegenseitig gecoacht, uns immer wieder gefragt, wo jemand etwas so gegensätzlich anders empfunden haben könnte, wie wir es wahrgenommen haben. Nach unzähligen Gesprächen auf allen Ebenen wurde uns klar, dass es eine unabhängige Untersuchung braucht. Ich persönlich war mir nach einer gründlichen Gewissenforschung sicher, dass ich mir keine ethisch-moralischen Fehler vorzuwerfen habe. Insofern habe ich der folgenden Untersuchung der Ethik-Kommission zuversichtlich entgegengesehen.

Sie sehen also keine Fehler bei sich?

Alfons Hörmann: Ich versuche stets, mein Handeln selbstkritisch zu reflektieren. Ich habe mir dazu nun sechs Monate intensiv Gedanken gemacht und unzählige Gespräche geführt. Natürlich bin auch ich nicht frei von Fehlern. Und ich weiß, dass meine Art, mit offenem Visier und geradeheraus zu formulieren, von vielen als wohltuend empfunden wird, andere damit aber auch weniger gut zurechtkommen. Mir ging und geht es nur um die Sache, das Fortkommen des Sports und die Förderung einer Leistungskultur auf allen Ebenen. Wer die Vielschichtigkeit und Gegensätzlichkeit der Interessenslagen im Sport kennt, der weiß, dass wir im DOSB jeden Tag in spannende Diskussionen verwickelt, aber auch auf Minenfelder gelockt werden. Wie unsere Arbeit aktuell von außen dargestellt wird, ist bedauerlich, aber das, was kommentiert wird, bildet nur die eine Seite der Medaille ab. Ich habe über die vergangenen Monate auch sehr viele positive, konstruktiv-kritische Nachrichten bekommen, die aber unter vier Augen oder über zwei Ohren erfolgten.

Warum haben Sie dennoch entschieden, Ihr Amt zur Verfügung zu stellen, wenn doch kein ethisch-moralisches Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte?

Alfons Hörmann: Die Ethikkommission hat nicht nur eine ethisch-moralische Bewertung der Vorwürfe vorgenommen, sondern überraschenderweise auch eine sportpolitische Einschätzung getroffen. Die aktuelle Situation im deutschen Sport und die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen wurde dabei in Teilen kritisch bewertet. Die Empfehlung lautete, die Neuwahlen von 2022 ein Jahr vorzuziehen. Damit war wohl die Hoffnung verbunden, das amtierende Präsidium mit einem Vertrauensvotum zu stärken. Für mich kam das aus zwei Gründen nicht infrage.

Welche waren das?

Alfons Hörmann: Zum einen, weil ich angesichts der drängenden Themen nicht innerhalb von zwei Jahren zwei monatelange Wahlkämpfe erleben wollte, was nötig gewesen wäre, da 2022 reguläre Wahlen anstehen. Zum anderen, weil ich in meiner zweiten Amtsperiode nach 2018 erlebt habe, dass Ruhe und Klarheit selbst dann nicht garantiert sind, wenn man eine Wahl mit 84 zu 16 Prozent der Stimmen gewinnt. Es gab dauerhaft Angriffe, gegen die man als Präsident nicht angehen kann, weil man qua System gar keine Möglichkeit hat durchzugreifen. Viele erwarten vom DOSB-Präsidenten, dass er sozusagen die Rolle des Bundeskanzlers spielt. Tatsächlich lässt das System aber „nur“ die Rolle des Bundespräsidenten zu, der mit Worten die großen Linien definieren kann, aber keinerlei Durchgriffsrecht besitzt. Wenn der Präsident permanent angegriffen und in seiner Integrität infrage gestellt wird, verliert er an Autorität. Deshalb habe ich mir die Frage gestellt, ob das noch die Form des Ehrenamts und der Aufgabenerfüllung ist, die ich angesichts der Fülle an Herausforderungen und der Zeitintensität in diesem Amt leisten will. Die Antwort habe ich dann selbstbestimmt damit gegeben, den Weg für einen echten Neubeginn freizumachen.

Ist das Ehrenamt noch zeitgemäß für den Präsidenten-Posten beim DOSB, Herr Hörmann?

Was zu der Frage führt, ob das Ehrenamt in dieser Form noch in die Zeit passt. Aus Ihren Tätigkeiten in der Wirtschaft sind Sie gewohnt, Entscheidungen zu treffen und diese schnell umzusetzen. Sind Sie an Ihrer Ungeduld gescheitert oder an den trägen Strukturen des Verbands verzweifelt?

Alfons Hörmann: Zunächst einmal halte ich nochmal fest, dass die aktuelle Zusammenarbeit zwischen Präsidium und Vorstand nach unserer gemeinsamen Beurteilung sehr gut und zielorientiert funktioniert. In den zwei Jahrzehnten ehrenamtlichen Engagements von der Basis bis an die Spitze des Sports habe ich auch gelernt, in den besonderen Strukturen des Verbands- und Vereinswesens partnerschaftlich und erfolgsorientiert zu wirken. In Bezug auf unsere Mitgliedsorganisationen sind wir der Überzeugung, diese sehr intensiv in Entscheidungen eingebunden und ausreichend Raum für Teilhabe geschaffen zu haben. Im Rückblick muss ich feststellen, dass die dafür notwendige Offenheit und Bereitschaft, Dinge konstruktiv-kritisch zu diskutieren, zumindest während der Pandemie stark gelitten hat. Es war in den vergangenen Monaten nicht mehr möglich, das Gemeinsame in den Mittelpunkt zu stellen und die Meinungen und Interessen der so unterschiedlichen Partner so zusammenzuführen, wie es zuvor über Jahre hinweg gut möglich war. Das sind aktuelle Erfahrungen, die uns in Gesprächen mit fast allen anderen Institutionen außerhalb des Sports bestätigt werden. Gemeinschaftsgefühl geht verloren, Egoismen nehmen stark zu, menschliche Entfremdung spielt eine enorm wichtige Rolle. Das wird für die kommenden Jahre die wohl größte Herausforderung werden.

Ist der DOSB dafür strukturell richtig aufgestellt, oder braucht es mehr Hauptamtlichkeit, um die zeitintensiven Ämter angemessen zu entlohnen?

Alfons Hörmann: Ich glaube, dass das Grundmodell durchaus die Option bietet, es vernünftig zu organisieren. Beim DOSB leben wir aktuell das klassische Aufsichtsratsmodell mit einem hauptamtlichen Vorstand aus aktuell vier Vorstandsmitgliedern unter Führung von Veronika Rücker, der eine sehr gute Arbeit macht und dafür angemessen bezahlt wird, und einem Präsidium, das für die Kontrolle des Vorstands zuständig ist. Mit dem entscheidenden Unterschied zwischen Wirtschaft und Sport, dass neben den strategischen Leitlinien dem Präsidium die schwerpunktmäßige Aufgabe zufällt, für die Repräsentation und die Außendarstellung verantwortlich zu sein. Das aktuelle Problem liegt darin, dass viele die Rollenverteilung nicht so wahrnehmen, wie wir sie intern umgesetzt und gelebt haben. Aus unserer Binnensicht funktioniert das Zusammenspiel perfekt, aber für manche Mitarbeiter und Mitgliedsorganisationen war das offensichtlich nicht mehr erkennbar. Auch da liefert die Kulturanalyse wichtige Ansätze für Veränderungsnotwendigkeiten, insbesondere in der Kommunikation über die unterschiedlichen Hierarchieebenen.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann (links) und der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi.
DOSB-Präsident Alfons Hörmann (links) und der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi. © DPA | Unbekannt

In den vergangenen Monaten wurden viele Stimmen laut, die das Konstrukt DOSB als Auslaufmodell bezeichnen und die Fusion von Deutschem Sportbund (DSB) und Nationalem Olympischen Komitee (NOK) zum DOSB als Webfehler betrachten. Ist das Modell DOSB tatsächlich überholt?

Alfons Hörmann: Dazu muss ich vorausschicken, dass ich 2006 in meiner damaligen Funktion als Präsident des Deutschen Ski-Verbands gegen die Fusion gestimmt habe, weil ich befürchtete, dass die sehr unterschiedlichen Interessen von Leistungs- und Breitensport kaum gemeinsam gemanagt werden könnten. Dennoch habe ich sieben Jahre später die Verantwortung an der Spitze des DOSB übernommen und will die Frage deshalb auch heute nicht mit richtig oder falsch beantworten. Wenn es gelingt, sich auf gemeinsame Ziele zu verständigen und diese im engen Schulterschluss umzusetzen, ist die Einheit im Sport ein hohes Gut, das es beizubehalten lohnt. Wenn es aber so läuft wie in der Pandemie, dass viele ihre ureigenen Interessen in den Mittelpunkt stellen und kaum noch Gemeinsames gesehen wird, dann muss die Sinnfrage einer Dachorganisation tatsächlich gestellt werden.

Was Alfons Hörmann seinem Nachfolger als DOSB-Präsident für die Zukunft rät

Ein Vorwurf an Sie lautet, Sie hätten zu wenig für die Entwicklung des Breitensports getan. Stimmt das?

Alfons Hörmann: Ich habe in meiner Amtszeit unzählige Regionen, Vereine und Veranstaltungen auf allen Ebenen besucht und mich immer als Mann der Basis verstanden. Man kann mir vieles vorwerfen, aber wohl kaum, dass ich mich nur in VIP-Lounges herumtreibe. Wenn ich die Fortschritte in der Bund-Länder-Vereinbarung sehe oder auch unsere zahlreichen gemeinsamen  Erfolge auf der Ebene der Sportministerkonferenz, dann glaube ich, dass wir stets auch von der Spitze in die Breite gedacht haben. Deshalb haben wir nach der großen Leistungssportoffensive im vergangenen Jahr auch sehr offen definiert, dass nun die Jahre des Breitensports und der Sportentwicklung folgen müssen und werden. Genau dafür haben wir in diesem Bereich des DOSB die Weichen neu gestellt.

Viele haben zum Beispiel in der Pandemie eine deutlichere Positionierung vermisst, klare Worte gegenüber der Politik ebenso wie Anleitungen für den Umgang mit der Krise. Die allgemeine Empfindung war: Der DOSB taucht ab.

Alfons Hörmann: Wenn ich sehe, dass viele Vereine wegen Corona in ihrer Struktur bedroht sind, kann ich jeglichen Frust verstehen. Auch im Bereich Kinder- und Jugendsport tut es mir noch immer in der Seele weh, dass wir dort in der Aktivierung längst nicht so erfolgreich waren, wie wir es uns alle gewünscht hätten. Oft genug wäre ich gern laut geworden, hatte beide Hände in den Taschen zu Fäusten geballt. Aber es führt zu nichts, herumzupoltern, wenn man aufeinander angewiesen ist. Und viele der Instrumente, die wir in der Krise zur Bewältigung auf den Weg gebracht haben, werden anerkannt. Die Verantwortungsträger in der Kultur haben manches Mal neidisch auf den Sport geschaut und das auch offen kundgetan. Deshalb lasse ich den pauschalen Vorwurf, wir hätten uns zu wenig um den Breitensport gekümmert und diesem zu wenig Gehör verschafft, nicht gelten.

Unbestritten ist Ihr Verdienst, für den Leistungssport einen beachtlichen Mittelaufwuchs herausgeholt zu haben. Zu mehr Erfolg hat das nicht geführt, im Gegenteil. In Tokio war das Abschneiden von Team Deutschland so schwach wie zuletzt 1996. Warum?

Alfons Hörmann: Ich habe immer gesagt: Mehr Geld im System ist das Eine, aber dafür zu sorgen, dass es hochprofessionell genutzt wird, um messbare Ziele zu erreichen, ist die andere große Herausforderung. Die Entwicklung des wissenschaftlich fundierten Verbundsystems im Zuge der Leistungssportreform hat beispielsweise nun fünf Jahre Zeit gekostet, eine professionelle Struktur für eine wirksame Führung des Leistungssports gibt es dennoch bis heute nicht. Ich bin ein Verfechter von klaren Führungsmodellen wie z.B. einer Leistungssport GmbH nach Vorbild von UK Sports in Großbritannien, weil sich dadurch die Schlagkraft und Führungsfähigkeit nachhaltig entwickeln können. Wenn es nicht gelingt, in Kooperation mit dem Bundesinnenministerium und den Ländern zu deutlichen Verbesserungen zu kommen, wird auch noch mehr Geld nicht zu den Ergebnissen führen, die wir uns alle gemeinsam wünschen.

DOSB-Präsident Hörmann: Ohne Veränderungen "liegen die schwierigen Jahre eindeutig noch vor uns"

Das klingt nach einem düsteren Ausblick auf die kommenden Jahre.

Alfons Hörmann: Wenn nach dem erfreulichen Mittelaufwuchs der vergangenen fünf Jahre die Führungs- und Steuerungsstrukturen des Leistungssports nicht konsequent weiterentwickelt werden, liegen die schwierigen Jahre eindeutig noch vor uns. Bei Licht betrachtet haben wir in Deutschland an zu vielen Stellen einen weitgehend führungslosen Leistungssport. Doch nun gilt es optimistisch und zielgerichtet in die Zukunft zu blicken und mit den neuen politischen Verantwortlichen und einem neuen DOSB-Präsidium werden die Karten ohnehin neu gemischt. Wir alle im Sport müssen uns aber selbstkritisch die Frage stellen, welches das bestmögliche System für die Zukunft ist. Und insbesondere die Spitzenverbände sollten die Kräfte bündeln und den DOSB in seiner Führungsrolle wieder stärker anerkennen und unterstützen als das zuletzt der Fall war.

Glauben Sie, dass das Vermächtnis, das Sie und Ihr Team hinterlassen, auf diesem Weg hilfreich ist?

Alfons Hörmann: Um das zu bewerten, haben wir im Juli die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte beauftragt, eine professionelle und unabhängige Übergabebilanz zu erstellen. Darin wurden nicht nur Zahlen und Daten bewertet, sondern auch die wichtigen Projekte der letzten Jahre. Wer diese ca. 150 Seiten umfassende Studie liest, deren Ergebnisse wir noch in dieser Woche veröffentlichen werden, der wird erkennen, dass viel Gutes bewegt wurde, manches mittelprächtig gelaufen ist und wir mit den Olympiabewerbungen mit Hamburg und der Rhein-Ruhr-Region zweimal das gesteckte Ziel klar verfehlt haben. Unterm Strich lässt sich aber das Fazit ziehen, dass der DOSB wirtschaftlich, strukturell und organisatorisch deutlich besser aufgestellt ist als bei meiner Amtsübernahme 2013.

Glaubt man Ihren Kritikern, ist das Verhältnis zum Bundesministerium des Inneren und zum Internationalen Olympischen Komitee ge- oder gar zerstört.

Alfons Hörmann: Was das BMI angeht, entbehrt die Kritik jeglicher Grundlage. Ich habe drei verschiedene Innenminister erlebt und mehrere Staatssekretäre, mit allen haben wir partnerschaftlich, auf Augenhöhe, manchmal kontrovers, aber immer mit großer gegenseitiger Wertschätzung an einer guten Entwicklung des deutschen Sports gearbeitet. Dass man über Großprojekte oder schwierige Einzelthemen auch mal sehr kontrovers diskutiert, gehört zum Tagesgeschäft. Aber mit dem BMI gibt es eine positive und  kontinuierliche partnerschaftliche Zusammenarbeit.

Zwei Mächtige des Sports: DOSB-Präsident Alfons Hörmann (links) an der Seite von IOC-Boss Thomas Bach.
Zwei Mächtige des Sports: DOSB-Präsident Alfons Hörmann (links) an der Seite von IOC-Boss Thomas Bach. © DPA | Unbekannt

Mit dem IOC gibt es die nicht mehr?

Alfons Hörmann: Man muss das getrennt betrachten. Bis zur gescheiterten Olympiabewerbung mit der Rhein-Ruhr-Region hatten wir mit dem IOC über alle Ebenen hinweg eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die vom gemeinsamen Geist geprägt war, den Sport nach vorn zu bringen. Mit dem Scheitern der Bewerbung hat sich das atmosphärisch verändert, weil der DOSB plötzlich in die Rolle des Schuldigen gedrängt wurde, obwohl wir am wenigsten in das Projekt eingebunden waren. Auf dieser Ebene der Olympia-Bewerbung hat das Verhältnis deutlich und klar gelitten. In allen anderen Bereichen der intensiven Zusammenarbeit läuft jedoch alles punktgenau gleich wie in den Jahren zuvor, da muss sich niemand Sorgen machen. Und das wird auch so bleiben, weil beide Seiten wissen, dass sie einander brauchen. Den anderen Vorwurf, der deutsche Sport sei international nicht mehr gut vernetzt, können wir dank der Deloitte-Studie ebenfalls entkräften. Sie belegt, dass es wohl noch nie so viele deutsche Vertreter in internationalen Führungspositionen gab wie derzeit.

Sind die gescheiterten Olympiabewerbungen Ihre größten Niederlagen? Und welche Lehren sind daraus zu ziehen?

Alfons Hörmann: Das Scheitern mit Hamburg war zweifelsohne die schmerzhafteste Niederlage meiner Amtszeit. Dass wir es trotz der perfekten Vorbereitung aufgrund der damals widrigen Gesamtlage nicht geschafft haben, war der Niederschlag schlechthin, der bis heute schmerzt. Ich finde aber, dass Hamburg Vorbildliches aus dem Scheitern gemacht hat, das Erbe der misslungenen Bewerbung macht uns allen Freude, weil das Konzept der Active City greift und sich der Sport in der Stadt weiterhin positiv entwickelt hat. Das Wohltuende war, dass in Hamburg nicht nur in den guten Stunden, sondern insbesondere in der Niederlage eine Geschlossenheit herrschte, wie man sie sich nur wünschen kann. Das war in NRW völlig anders, als uns die Privatinitiative, die die Bewerbung angetrieben hat, nach der Vergabe der Spiele 2032 an Brisbane in weiten Teilen die Schuld für das Scheitern zuschreiben wollte. Wenn Sie also nach den Lehren fragen: Man kann den Weg mit einer solchen Privatinitiative gehen, wenn wechselseitig partnerschaftliches Denken gegeben ist. Ich persönlich würde aber nicht mehr auf ein privates Modell setzen, sondern dem DOSB dringend empfehlen, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen, wenn es zu einer erneuten Bewerbung kommt.

Gibt es weitere Empfehlungen, die Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin an die Hand geben? Und wen wünschen Sie sich an der DOSB-Spitze?

Alfons Hörmann: Zu personellen Fragen äußere ich mich weiterhin nicht. Oberstes Gebot sollte sein, dass jemand in die Verantwortung kommt, der oder die eine möglichst breite Zustimmung erfährt. Ein knappes Wahlergebnis wäre das Schlechteste, was dem Sport in diesen Zeiten mit den großen Herausforderungen passieren könnte. Es wäre wichtig, eine Person zu finden, die möglichst neutral und völlig frei von eigenen Interessen agieren kann. Denn die Frage der geschlossenen Unterstützung wird auch entscheidend für eine erfolgreiche Wiederwahl in einem Jahr sein. Dafür muss mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin in maximaler Geschwindigkeit und Professionalität Kontakt zur Basis aufnehmen, schnell Verbindungen aufbauen und eine gesunde Mischung aus dem Bewahren wertvoller Elemente und dem Mut, weiterhin nötige Veränderungen anzustoßen, finden.

Und sie oder er muss die Aktiven noch mehr einbinden, die im Verein „Athleten Deutschland“ mehr Mitbestimmung fordern, um dringende Themen wie die Klimakrise oder Menschenrechte auf die Agenda zu bringen.

Alfons Hörmann: Ich habe mit dem kürzlich abgetretenen Präsidenten von Athleten Deutschland, Max Hartung, stets auf Augenhöhe und mit großem gegenseitigen Respekt agiert. Er hat mir zu verschiedenen Gelegenheiten sehr wertschätzende persönliche Zeilen geschrieben. Ich bin überzeugt, dass seine Nachfolgerin Karla Borger eine exzellente Wahl ist. Ich kenne sie aus konstruktiv-kritischen Diskussionen und bin überzeugt davon, dass sie im engen Dialog mit der neuen DOSB-Führung arbeiten wird. Und das ist sehr wichtig, denn wir brauchen den engen Schulterschluss, um den großen Herausforderungen der Zukunft erfolgsorientiert zu begegnen. Letztlich geht es auch um die grundsätzliche Frage welche Form von Leistungssport wir künftig wollen. Und ebenso dringend ist die Zukunftssicherung für unsere 90.000 Sportvereine, die die Basis von Sportdeutschland bilden. Es braucht nicht nur eine verstärkte Anerkennung ihrer ehrenamtlichen Leistungen für Gesundheit, Gemeinschaft, Inklusion und Integration. Gefragt ist auch und vor allem echte Unterstützung. Hier muss der Sport stärker in politische Entscheidungen eingebunden werden und konkrete Hilfe erhalten. Hierfür ist eine hohe Geschlossenheit aller Verantwortungsträger im Sport notwendig.

In welcher Form werden Sie diesen Prozess noch begleiten?

Alfons Hörmann: Ich muss zunächst einmal verarbeiten, was ich in den vergangenen Monaten erlebt habe. Ich bin zuversichtlich, dass ich auch künftig gute Möglichkeiten finde, mich zum Wohle der Gesellschaft zu engagieren. Über meine eigene Stiftung im karitativen und sozialen Bereich zum Beispiel und weitere Engagements in Gremien der Wirtschaft und der Gesellschaft. Ich werde mich auch künftig dort aktiv einbringen, wo es Sinn ergibt und wo Wert auf meine Mitwirkung gelegt wird.