Essen. Thomas Dreßen ist einer der besten deutschen Skirennfahrer. Doch weil sein Knie bereitet ihm Probleme. Er kämpft gegen seinen Körper.
Von hohen Geschwindigkeiten lässt sich Thomas Dreßen nur zu gerne berauschen. In seinem Hauptberuf sorgen dafür die Skier, auf denen der 27-Jährige in Schussfahrten mit teilweise 140 km/h die Eispisten herunterbrettert. An normalen Tagen sind dann nur wenige andere alpine Abfahrer zügiger als der gebürtige Garmischer, an guten Tagen ist es sogar niemand anderes. Ähnlich viel Faszination rufen schnelldrehende Reifen bei Dreßen hervor. Ob zwei oder vier, ob in der MotoGP oder bei der DTM und Formel 1: Abstecher ins Salzburger Land, wo sein größter Sponsor eine Rennstrecke betreibt, lassen beim leidenschaftlichen Motorsport-Fan das Herz höherschlagen.
Den Sommer, wenn in Österreichs Bergen bestenfalls noch die Gletscher weißgepudert sind, hat Dreßen wieder für solche Ausflüge genutzt. Das Tüfteln an den Motoren und Chassis kommt ja vom Grundsatz her seiner sportlichen Hauptbeschäftigung nahe: an den Skiern das richtige Setup finden, Mensch und Material perfektionieren für die Rennen.
Aktuell absolviert er allerdings kein Rennen gegen die Zeit, sondern eines gegen seinen Körper.
Ein schwerer Knorpelschaden
„Es geht ums große Ganze“, sagt Dreßen und drückt dabei den Rücken durch, als wolle er sich selbst den Kampf ansagen. „Es geht darum, ob das Knie überhaupt noch mal gescheit wird.“ Seit einem Sturz vor drei Jahren in Beaver Creek, als die erschütternde Diagnose Totalschaden lautete, bereitet das rechte Knie dem Skifahrer des SC Mittenwald Probleme. Das Kreuzband war gerissen, aber „das ist heute so, als wenn man sich den Finger bricht“, sagt Dreßen. Meniskus und Knorpel nahmen schon damals Schaden. Bei der Reha jedoch „habe ich gewisse Dinge zu stark forciert“, gibt er zu, „ich wollte zu sehr wieder zurückkommen.“
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Die Folge: immer wieder Schmerzen und eine weitere Operation im vergangenen Februar nach dem enttäuschenden 18. Platz bei der WM-Abfahrt in Cortina d’Ampezzo. „Das war schon ein schwerer Knorpelschaden, ein großer Eingriff.“ In den nächsten Tagen, vielleicht auch erst Ende des Monats, wenn die Abfahrtskollegen wie Andreas Sander und Romed Baumann übersee im kanadischen Lake Louise in die Saison starten, sollen finale Belastungstests zeigen, wie der Winter verläuft. Ob Thomas Dreßen Anfang Dezember wieder im Schnee sein, im Januar vielleicht Rennen fahren, im Februar bei den Olympischen Spielen in Peking dabei sein kann – oder gar nichts davon. „Ich habe Trainern und Ärzten klargemacht: Mich interessiert jetzt kein Zeitplan, sondern nur das Knie.“
Andere Profisportler kostete so eine Operation die Karriere
In manch anderen Sportarten wäre Dreßen schon 27 Jahre alt, in der Abfahrt ist er es erst. Er hat fünf Weltcups gewonnen, seinen ersten im Januar 2018 auf der Streif. Der hünenhafte Bayer bezwang die legendäre Hahnenkamm-Abfahrt als Schnellster, was ihm in der alpinen Welt größte Anerkennung einbrachte. Denn Kitzbühel-Sieger, glaubt man Österreichs Ski-Legende Hermann Maier, sind bei weitem bekannter als olympische Goldmedaillengewinner. Die besten Jahre – sportlich wie wirtschaftlich – liegen theoretisch also noch vor Dreßen: „Ich habe schon noch vor, acht bis zehn Jahre zu fahren, bestenfalls.“
Doch ob es dazu kommen wird, ist ungewiss. „Thomas wäre einer der ersten Athleten, die davon zurückkommen“, sagt Wolfgang Maier, Alpinchef des Deutschen Skiverbandes, sorgenvoll. Bei dem Eingriff Anfang des Jahres wurden die Knochen unter dem geschmolzenen Knorpel abgebohrt, austretendes Blut soll sich bei dieser sogenannten Mikrofrakturierung im Knorpel ablegen und so neue Schmiermasse bilden.
Denn die Knie wirken in der Abfahrtshocke wie Stoßdämpfer. Zwar melden sich die Gelenke derzeit weder in der Kraftkammer noch beim Konditionstraining, doch Thomas Dreßen weiß: „Knorpel kann man nicht oft reparieren – den muss man sinnvoll reparieren.“ Der ehemalige Fußball-Nationalspieler Piotr Trochowski hatte dies auch versucht, musste dann aber doch nicht allzu lange nach der vergleichbaren Operation seine Karriere beenden.
Ein 30. Platz ist für Dreßen kein Ziel
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Deutschlands bester Abfahrer ist kein Sportler, der mit Niederlagen langfristig plant. „Ich erwarte nicht von mir, dass ich das erste Rennen gleich wieder gewinne“, sagt er, „aber ich will auch nicht am Start stehen und nur um den 30. Platz mitfahren.“ Schließlich ginge es ja noch um mehr. Er hat im Sommer seine langjährige Freundin Birgit geheiratet, irgendwann soll Nachwuchs kommen. „Ich möchte mit meinen Kindern sicher auch noch mal skifahren.“ Um das zu erleben, würde sich Thomas Dreßen notfalls auch in seinem aktuellen Rennen geschlagen geben.